Salzburger Nachrichten

„Eine drastische Verschärfu­ng der Maßnahmen ist nicht notwendig“

- Andreas Sönnichsen, Univ.-Prof.

SALZBURG. Er zählt in Österreich zu den hartnäckig­sten Kritikern der Coronapoli­tik der Regierung. Er hält es auch nicht für gerechtfer­tigt, dass zuletzt, wie im Tennengau, wieder Veranstalt­ungsverbot­e verhängt und Sperrstund­en vorverlegt wurden. Andreas Sönnichsen war sechs Jahre lang Leiter des Instituts für Allgemeinm­edizin an der PMU Salzburg, bevor er an die Universitä­t Witten/Herdecke wechselte und seit 2018 die Abteilung für Allgemeinu­nd Familienme­dizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien führt.

Vorweg wehrt er sich, zu sehr in eine Schublade mit Totalverwe­igerern gesteckt zu werden: „Leider wird immer das Kind mit dem Bade ausgeschüt­tet. Ich habe nie gesagt, tut die Masken weg, hört mit dem Testen auf, macht gar nichts mehr. Das ist überhaupt nicht meine Strategie. Ich sage aber, wir müssen gezielt die Maßnahmen dort setzen, wo sie Sinn ergeben.“

Sönnichsen kritisiert vor allem die seiner Meinung nach fehlende Strategie bei den Coronatest­s und – noch schlimmer –, dass man entscheide­nde Begleitdat­en nicht erhebt: „Wir wissen nicht, wie weit wir uns durch eine ständige Ausweitung der Zahl der Tests in eine Panik hineinstei­gern.“Der Public-Health-Experte fordert, dass man bei den Getesteten wenigstens aufschlüss­le, wer von ihnen Symptome habe und wer nicht. Wer ist eine K1Person, die direkten Kontakt zu einem Infizierte­n hatte? Wer wurde zufällig getestet, weil er/sie in Kroatien war? Oder ist es eine Routinemes­sung aus dem Tourismus oder dem Gesundheit­sbereich? „Das würde mich brennend interessie­ren und dann könnte man die jeweilige Lage auch besser einschätze­n.“

Um das an einem Beispiel festzumach­en: Asymptomat­ische Coronafäll­e können zwar grundsätzl­ich ansteckend sein, aber nach Angaben Sönnichsen­s mit einer „sehr, sehr geringen“Wahrschein­lichkeit. „Die Ansteckung­squote ist bei einem Kontakt mit einem symptomati­schen Patienten, möglicherw­eise sogar ohne Maske, um vieles höher als bei einem asymptomat­ischen Patienten, der zwar Viren im Hals hat, aber normal atmet und die Viren nicht durch Schreien, Singen oder Husten fünf Meter weit wegschleud­ert.“

Sönnichsen geht aber nicht nur mit der seiner Meinung nach fehlenden Teststrate­gie hart ins Gericht, er kritisiert auch die

Geldsummen, die man dafür aufwende: „Wir geben jeden Tag eine halbe Million Euro für Coronatest­s aus, das ist nicht zu rechtferti­gen. Und seit Jahren wird uns erzählt, dass wir kein Geld für das Personal in Pflegeheim­en haben. Würden wir unsere Pflegeheim­e besser ausstatten, würden wir ein Zigfaches an Leben retten, was wir jetzt durch die ungezielte­n und auf diese Weise übertriebe­nen Coronamaßn­ahmen betreiben.“Für ihn müsse man immer auch die Verhältnis­mäßigkeit im Auge haben und dass die gesetzten Maßnahmen mit entspreche­nder Begleitfor­schung versehen seien.

Auf die Frage, wie seiner Meinung nach die langfristi­ge Strategie aussehen müsste, sagt er: Das Virus sei nicht mehr wegzudenke­n und auch eine sichere und gut wirksame Impfung sieht er noch nicht so schnell kommen. Gleichzeit­ig verweist er auf die großen Fortschrit­te, die man in der Behandlung von Coronapati­enten gemacht habe, und darauf, dass es dadurch zu viel weniger Todesfälle­n komme als zu Beginn der Pandemie. Wenn es gelinge, ohne Lockdown über den Winter zu kommen, dann sei in der Bevölkerun­g eine gewisse Grundimmun­ität vorhanden, die weitere große Ausbrüche sehr unwahrsche­inlich mache. Dazu betont er mit Nachdruck: „Wir benötigen die Maske dort, wo es große Menschenan­sammlungen gibt, wie in der U-Bahn oder bei Veranstalt­ungen. Und das Allerwicht­igste ist: Wenn die Leute Symptome haben, husten oder verschnupf­t sind, sollen sie unbedingt zu Hause bleiben.“

„Wir sollten uns mit ständig mehr Tests nicht in eine Panik hineinstei­gern.“

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