Sparverhalten in Krisenzeiten
Sparquote ist coronabedingt so hoch wie zuletzt in den 90er-Jahren. Die Wirtschaftsforscher sprechen von atypischen Effekten, die Banken sind wenig erfreut und für die Konjunktur ist die Konsumzurückhaltung ein Problem.
Anders als in klassischen Wirtschaftskrisen hat die Coronapandemie die Sparquote der Österreicher nicht gedrückt, sondern steigen lassen. Mit 14,9 Prozent schnellt sie auf einen ähnlich hohen Wert wie in den 1990er-Jahren hoch. Grund dafür sind der Lockdown im Frühling und die große Unsicherheit, wie es weitergeht.
Am Beginn der Coronakrise konnten die Österreicher kein Geld ausgeben, weil Geschäfte und Hotels wochenlang geschlossen waren und das Reisen unmöglich war. Jetzt wollen sie es nicht ausgeben, weil niemand so recht weiß, wie es mit der Pandemie nächstes Jahr weitergeht. Zwangssparen sowie Angstsparen nennen die Ökonomen solches Verhalten. In der Praxis hat es dafür gesorgt, dass die Sparquote – also der Anteil des verfügbaren Haushaltseinkommens, der auf dem Konto oder Sparbuch bleibt – heuer auf knapp 15 Prozent nach oben schnellt. So hoch war die Sparneigung der Österreicher zuletzt Mitte der 1990er-Jahre, noch höher nur in den 1970er-Jahren.
In Haushalten mit mittleren und höheren Einkommen sollte sich im Lockdown „ein gewisser Polster ergeben haben“, sagt Josef Baumgartner, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), „und das hat sich danach fortgesetzt“. Wer in der aktuellen Rezession nicht arbeitslos wurde oder nicht ohnehin jeden Euro zum Leben braucht, hat bestenfalls für die Verschönerung der Wohnung und des Gartens mehr Geld ausgegeben oder sich Wanderschuhe oder ein Fahrrad angeschafft. Andere Bereiche – vom Modegeschäft bis zum Friseurladen
– haben die Umsatzausfälle bis heute nicht wettmachen können.
Mittlerweile habe sich die Konsumtätigkeit zwar erholt, sie sei aber nach wie vor „relativ mau“und auch im dritten Quartal um drei bis vier Prozent unter dem Vorjahr, sagt Baumgartner. Zugleich haben die verfügbaren Haushaltseinkommen trotz Krise und massenhafter Kurzarbeit
Josef Baumgartner,
nominell leicht zugenommen (real sind sie ganz leicht gesunken). Eine Folge staatlicher Unterstützungsleistungen wie Familienbonus, Einmalzahlungen an Arbeitslose oder Eingangssteuersatzsenkung. Das in Kombination mit rückläufigem Konsum (–6,8 Prozent im Gesamtjahr) hat die Sparquote von 8,2 Prozent im Vorjahr auf voraussichtlich 14,9 im Coronajahr 2020 nach oben katapultiert – der stärkste Anstieg bisher.
Ein „untypischer Effekt“– mitten in der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, sagt der WifoExperte. Das hat auch mit der Ursache zu tun. In klassischen Abschwungphasen greifen Haushalte auf Erspartes zurück, um das Konsumniveau zu halten. Jetzt gehe es um die Folgen von gesundheitspolitischen Maßnahmen – etwas vollkommen Neues und „gewisse Verhaltensänderungen“, die das auslöse, weil die Unsicherheit groß sei.
Zwar rechnet das Wifo in der aktuellen Prognose für 2021 wieder mit einem Rückgang der Sparquote auf knapp über zehn Prozent. Insgesamt werde die Coronakrise die Wirtschaft aber noch länger begleiten, daher gehen die Ökonomen von einem zwar steigenden, aber doch „verhaltenen Konsumpfad“aus. „Wir erwarten schon, dass Konsum in den nächsten Jahren stärker steigen wird als die verfügbaren Haushaltseinkommen“, sagt Baumgartner. Insgesamt werde die Sparquote aber nur sehr langsam auf Vorkrisenniveau zurückgehen.
Dass die Sparquote sprunghaft ansteigt, hatte in der Vergangenheit oft mit Steueränderungen zu tun: Werden etwa Steuern erhöht, kommt es zu Vorziehkäufen, werden sie gesenkt, bleibt den Haushalten mehr übrig. Typischerweise landen kurzfristig 50 Prozent von zusätzlichem Geld auf der Bank, dann werde langsam der Konsum erhöht, erklärt der Ökonom – außer Zukunftssorgen oder andere Gründe überwiegen: „Das ist das, wovon wir jetzt ausgehen müssen.“Die Sorgen sind nicht unberechtigt: Die
Wirtschaftsforscher erwarten, dass die Arbeitslosigkeit erst 2025 wieder auf Vorkrisenniveau sinkt.
Für die Versuche der Politik, mit Transfers und Steuersenkungen die Konjunktur anzukurbeln, ist die Kaufzurückhaltung nicht gut. Die Regierung könne die Konsumenten nicht zwingen, das Geld auszugeben, sagt der Experte. Außer die Programme zielten nur auf Haushalte, die in der Krise jeden zusätzlichen Euro ausgeben müssen.
Auch die Banken sind über die covidbedingte Sparneigung wenig erfreut, auch wenn traditionsbedingt in den Filialen Weltspartag bzw. Weltsparwochen propagiert werden. In Zeiten von Nullzinsen für Anleger und Negativzinsen für Bankeinlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) macht man mit Erspartem auf Konten und Sparbüchern Verlust. „Alle verlieren“, sagt Franz Rudorfer, Geschäftsführer der Bundessparte Banken in der Wirtschaftskammer. Es gehe aber nicht um Millionen und „nicht alle haben etwas zur Seite zu legen“. Laut Daten der Oesterreichischen Nationalbank sind die gesamten Einlagen der privaten Haushalte seit Jahresbeginn um rund vier Mrd. auf 265 Mrd. Euro gestiegen. Eine hohe Sparquote sei immer ein Indikator von Verunsicherung, sagt Bankenvertreter Rudorfer. „Wir müssen durch dieses Tal durch.“