Sportvereine werden zu TV-Sendern
Weil die Zuschauerzahlen beschränkt werden, erleben Livestreams aus den Hallen und von Sportplätzen einen Boom. Für die Übertragung reicht mitunter ein Handy.
Weil die Zuschauerzahlen beschränkt werden, boomen Livestreams aus Hallen und von Sportplätzen.
SALZBURG. Es sind harte Zeiten für Sportvereine. Der coronabedingte Lockdown im Frühjahr brachte die Meisterschaften zum Erliegen. Dem neuerlichen Anstieg der Infektionszahlen wird nun mit Zuschauerbeschränkungen, Maskenpflicht und Kantinenschließungen begegnet. Online-Livestreams von den Sportplätzen und aus den Hallen erleben deshalb gerade einen wahren Boom. Die Vereine und Verbände schlüpfen selbst in die Rolle von Programmanbietern, Regisseuren und Kameraleuten.
Dem Trend voraus war die österreichische Volleyball-Bundesliga. Bei sämtlichen Spielen von Frauen und Männern sind die Streams schon seit der vorigen Saison fixer Bestandteil. Die Begegnungen können kostenlos live und als Aufzeichnung angesehen werden (www.volleynet.at). „Wegen der aktuellen Situation haben wir das Angebot noch einmal extra gepusht“, sagt Philipp Seel, der Generalsekretär des Volleyballverbands ÖVV. Die Übertragungstechnik liefert praktischerweise der britische Statistikdienstleister des Verbands mit.
Ähnlich aktiv bedient die Tischtennis-Bundesliga (www.ttbundesliga.at) ihr Publikum. Die Vereine bekommen Kamera und Technik zur Verfügung gestellt. Bei den Spitzenspielen übernimmt ein professionelles Team samt Regie und überträgt mit bis zu vier Kameras. Bundesliga-Vorsitzender Frank Mair betont: „Uns ist wichtig, dass das Tempo und die Attraktivität von Tischtennis auch gut rüberkommen.“
Einer der Partner der Tischtennis-Bundesliga ist Streamster
(streamster.tv). Dahinter verbirgt sich die Vision einer TV-Plattform für sämtliche Sportarten jenseits des Mainstreams, vergleichbar dem Angebot Sportdeutschland TV, das im Nachbarland einer Reihe von Randsportarten eine Plattform gibt. Streamster-Initiator Christopher Wagner ist selbst Junioren-EMDritter im Judo. Er sagt: „Wir wollen
Athleten in weniger beachteten Sportarten ermöglichen, viele Zuschauer zu erreichen.“
Absoluter Klickhit von Streamster war erstaunlicherweise eine Seilspring-Meisterschaft. Das Meisterstück aber bildete der zweitägige Livestream von der LeichtathletikStaatsmeisterschaft in der Südstadt (Niederösterreich). Acht Kameras, Kommentatoren und ein Regieteam präsentierten Ivona Dadic und Co., wie es ein klassischer TV-Sender kaum besser machen hätte können. Apropos: Der ORF ist weniger Konkurrent als vielmehr ein dankbarer Abnehmer von Streamster-Inhalten für sein eigenes Programm.
Vor allem für Fußball-Unterhausvereine hat der Wiener Streaminganbieter Platin-Sport die Handy-App Ynhald (im Google-Playstore erhältlich) entwickelt. Damit können die Vereine mit geringstem technischen und personellen Aufwand ihre eigene Liveübertragung mit der HD-Kamera eines normalen Mobiltelefons erstellen. PlatinSport-Geschäftsführer Alexander Zajic erklärt: „Wir geben den Vereinen ein Werkzeug in die Hand, mit dem sie die aktuelle Zuschauersituation überbrücken und sogar Einnahmen generieren können.“
Bahnbrechend seien vor allem die Möglichkeiten beim Ausspielen: Der Verein kann Werbung einblenden, seinen Anhängern „Tickets“für die Freischaltung des Streams verkaufen oder die Übertragung nur auf einen bestimmten Bildschirm spielen – etwa zu einem Public Viewing für die Fans des Gastvereins. „Bei einem Derby im Salzkammergut wurde der Stream in ein Altersheim gespielt“, berichtet Zajic. Ursprünglich hätten die Senioren in das Stadion geladen werden sollen, was sich aber wegen der Covid-19-Gefahr zerschlug.
Auch wenn Corona derzeit das Interesse an Streamingmöglichkeiten enorm belebt, sehen die Akteure für die Zeit nach der Krise weiterhin großes Potenzial. TischtennisFunktionär Frank Mair sagt: „Die Plattformen brauchen Inhalte. Daher wird sich vieles in den nächsten Jahren auf diese Felder verlagern.“Und Georg Franschitz, Pressesprecher des Leichtathletikverbands, sagt: „Es ist mit vergleichsweise wenig Aufwand viel möglich. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass Online-Streams weniger wert sind als ,echtes‘ TV.“
„Online-Streams sind nicht weniger wert als ,echtes‘ TV.“Georg Franschitz, Österreichischer Leichtathletikverband