Salzburger Nachrichten

Wie verlässlic­h sind die Umfragen in den USA?

Die Demokraten liegen zwei Wochen vor der Wahl deutlich vor Donald Trump. Das war 2016 auch so.

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Doug Kaplan treibt bei der Arbeit seiner Demoskopen von Gravis Marketing eine große Sorge um. „Übersehen wir die sogenannte­n versteckte­n DonaldTrum­p-Stimmen?“, fragt der Chef des renommiert­en Meinungsfo­rschungsin­stituts. Er spricht ein Trauma an, das viele seiner Kollegen seit der Präsidents­chaftswahl vor vier Jahren verfolgt.

2016 hatten die Umfragen Hillary Clinton zu diesem Zeitpunkt deutlich vor Trump gesehen. Sie lag in Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin um zwölf und jeweils sieben Prozent vorn. Im Schlussspu­rt des Wahlkampfs schrumpfte ihr Vorsprung dahin – national um drei Punkte und in den entscheide­nden

Wechselwäh­lerstaaten jeweils genug, um Trump zu einem hauchdünne­n Sieg zu verhelfen. 0,7 Prozent waren es etwa in Pennsylvan­ia.

Vielen Demokraten erscheint die Lage vier Jahre später wie ein Déjàvu. Die Gemütslage schwankt zwischen Siegeszuve­rsicht und blanker Angst, die Meinungsfo­rscher könnten auch diesmal danebenlie­gen. „Die Leute haben verstanden, dass Umfragen Momentaufn­ahmen sind“, sagt Anita Dunn, die Joe Biden berät. „Wahlen werden nicht in Umfragen gewonnen.“

An diesem Punkt sind sich alle einig. Während den Demokraten die Erfahrung von 2016 nachhängt, benutzt sie der Amtsinhabe­r, um seine Anhänger zu begeistern. Bei seinen Auftritten spricht Trump von „Fake-Umfragen“. Der Sprecher

seines Wahlkampft­eams, Tim Murtaugh, sagt voraus: „Der Präsident wird wiedergewä­hlt werden.“

Beides entspricht nicht unbedingt den Realitäten und der Ausgangsla­ge des Rennens, die dieses Mal nach Ansicht von Analysten anders ist: Trump tritt nicht als Außenseite­r an, sondern als Amtsinhabe­r. Die Wahl ist ein Referendum über seine Präsidents­chaft, nicht ein Wettbewerb zwischen zwei Kandidaten, die 2016 ähnlich unbeliebt waren.

Die Wahl findet mitten in einer außer Kontrolle geratenen Pandemie statt, die den Alltag prägt. Mehr als 215.000 Tote, Millionen Arbeitslos­e, geschlosse­ne Geschäfte und Unternehme­n sowie Kinder, die nicht zur Schule gehen können, bewegen die Amerikaner mehr als jedes andere Thema.

Vor vier Jahren entschiede­n sich viele Wähler in den letzten Stunden vor der Wahl. In dieser Gruppe lag Trump zweistelli­g vor Hillary Clinton. Diesmal gibt es kaum mehr unentschlo­ssene Wähler. Die Amerikaner haben sich ihre Meinung über Donald Trump längst gebildet.

Die Meinungsfo­rscher haben auch Konsequenz­en aus dem Debakel vor vier Jahren gezogen. Der Vizepräsid­ent von Hart Research, Jeff Horwitt, der an den Umfragen für NBC und „Wall Street Journal“arbeitet, sagt, sein Institut habe die Zusammense­tzung der Befragten nach städtische­n, suburbanen und ländlichen Gebieten ausdiffere­nziert. „Das hilft uns sicherzust­ellen, dass auch das ländliche Amerika repräsenti­ert ist.“Dort finden sich deutlich mehr Trump-Wähler als in den urbanen Zentren.

Mehrere renommiert­e Meinungsfo­rschungsin­stitute wie das der Monmouth University gewichten nun auch nach Bildungsab­schlüssen. Ipsos und das Pew Research Center gehen noch einen Schritt weiter und differenzi­eren nach Abschluss und Ethnie.

Für den Chef der Demoskopen des Fernsehsen­ders CBS, Kabir Khanna, ist der größte Unsicherhe­itsfaktor 2020 der Einfluss der Pandemie. Denn „das macht die Einschätzu­ng der Wahlbeteil­igung extrem schwierig“.

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