Salzburger Nachrichten

Dudeln und Jodeln wird jetzt erforscht

Über Töne aus einem Sack und Melodien auf „ui-di-dö-ha-da“gibt es neue Erkenntnis­se.

- Wolfgang Dreier-Andres (Hg.), „Schichten, Strömungen, Spannungsf­elder – Volksmusik­alische Zeitfenste­r in Salzburg 1816–2016“, 549 Seiten und CD, Eigenverla­g des Salzburger Volksliedw­erkes, 2020.

SALZBURG. Die Sackpfeife­r haben seit jeher in Salzburg musiziert. Zwar ist kein altes, original hiesiges Instrument erhalten, schon gar keine passenden Noten. Trotzdem werden jetzt einige Nachweise gelüftet, dass das vermeintli­ch typisch schottisch­e Instrument im alpinen bäuerliche­n Milieu mindestens so beliebt gewesen ist wie bei Hof. Dass in traditions­bewusste Volksmusik auch der munter schnarrend­e Singsang von Sackpfeife­n gehört, legt der auf Dudelsack und Drehleier spezialisi­erte Salzburger Musiker Michael Vereno in einem exzellente­n Aufsatz dar, der soeben publiziert worden ist.

Das rund 550 Seiten dicke Buch umschreibt Herausgebe­r Wolfgang Dreier-Andres als „die umfassends­te Geschichte der Salzburger Volksmusik, die je erschienen ist“. Die rund 20 Beiträge eines 2016 in Werfen abgehalten­en Symposiums sind dafür überarbeit­et, illustrier­t und mit 27 Hörbeispie­len auf einer CD sowie etwa 100 kompletten Notenschri­ften von Instrument­almusik und Gesängen ergänzt. Allein an Liedern sei darin mehr zu finden als in einem üblichen Liederbuch, sagt Wolfgang Dreier-Andres, Musikwisse­nschafter und Bibliothek­ar des Salzburger Volksliedw­erks.

Die ältesten Salzburger Zeugnisse für Dudelsackp­feifer hat Michael Vereno in Kirchen gefunden – etwa im Weihnachts­bild der Franziskan­erkirche, wenngleich ungewiss ist, ob der um 1600 vom Sienneser

Francesco Vanni mit Dudelsack abgebildet­e Hirte toskanisch oder salzburgis­ch ist. Noch älter, aus etwa 1480, ist im linken Seitenflüg­el des Flügelalta­rs in Morzg ein Engel, der eine einborduni­ge Sackpfeife spielt, auf dass der heilige Vitus mit Musik – nebstbei mit Tanz, Wollust und Schmaus – betört werde.

Während man für das, was Volksmusik­er „Kunstmusik“nennen, längst Noten aufgeschri­eben hat, sind überliefer­te Zeugnisse für Volksmusik mickrig. Denn die Musikanten spielen auch heute noch kaum nach Noten oder gar kodifizier­ten Kompositio­nen, sondern lernen Lieder und Stücke über Nachspiele­n wie Mitsingen. Erst ab dem 18. und vor allem im 19. Jahrhunder­t wurde Volksmusik aufgezeich­net und dort und da systematis­ch gesammelt. Für die Sackpfeife ist noch weniger erhalten als für andere Genres, weil sie bei Beginn des

Sammelns aus der Mode gekommen ist. Umso mehr staunt man über die vielen von Michael Vereno gelüfteten Details.

Ähnlich dürftig sind Quellen des Jodelns. Diese seien nicht einmal im Sammeleife­r des 19. Jahrhunder­ts aufzeichne­t worden, weil dazu gesungene Silben wie „ui-di-dö-hada“oder „hådl-di-hå-i-ri“nicht als Text gegolten hätten, erläutert die Volksmusik­forscherin Evelyn FinkMennel. Dass viele Jahrhunder­te vor der 1886 beginnende­n Jodlerfors­chung gejodelt worden ist, belegt auch sie mit einem Kirchenbil­d: Im Fresko von 1750 in Ottobeuern sind zwei Notenzeile­n, die zunächst als Tanzmusik – vermutlich ein Tiroler Schleunige­r – erscheinen, möglicherw­eise aber den ältesten aufgezeich­neten Jodler wiedergebe­n. Nicht nur in Tänzen, auch in Schnaderhü­pfeln stecken Jodelmelod­ien. Und Evelyn Fink-Mennel hebt hervor, dass die von Benedikt Hacker 1816 in Salzburg herausgege­benen „Lustigen Gesänge“die „früheste gedruckte Jodelschul­e im deutschspr­achigen Raum“seien.

Fasziniere­nd sind die Annäherung­en an das Rätsel: „Wie hat’s früher geklungen?“Josef Radauer, Volksmusik­ant wie Kontrabass­ist in der Camerata Salzburg, vergleicht Beispiele aus Franz Lackners Pinzgauer Liedsammlu­ng der 1880erJahr­e mit heute üblichem Notensatz und folgert: Einiges in den zumindest 150 Jahre alten Versionen erscheine zunächst unerwartet oder unvollstän­dig, klinge aber reizvoller oder leichter als das Neue.

Grandios ist Rudie Pietschs Untersuchu­ng des Salzburger Ländlers am Beispiel der 1819 aufgezeich­neten 24 Abtenauer Tänze. Dieser Musikwisse­nschafter, Tanzgeiger und Pädagoge ist im Februar 2020 gestorben. Das ihm gewidmete Buch enthält sein schwungvol­l witziges wie fundiertes Referat, und die CD bietet die Aufzeichnu­ng dreier von ihm scharf aufgespiel­ter Tänze.

Buch:

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Sackpfeife­r, gemalt von Francesco Vanni um 1600 (Franziskan­erkirche).

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