Herr Linsinger und die Vermessung der Welt
Eine Pongauer Firma vermisst historische Prachtbauten von Rom bis Kuba. In der Coronazeit hat der Chef einen „Traumauftrag“an Land gezogen.
ST. JOHANN. Stefan Linsinger hat das Rennen gemacht. Wieder einmal. Sein Büro vermisst in den kommenden Jahren alle öffentlichen Gebäude in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Hamburg. „Ein Traumauftrag“, sagt der Pongauer. „Alle Schulen, Kirchen, Gefängnisse und so weiter.“Es handle sich um insgesamt fünf Millionen zu vermessende Quadratmeter. „Normalerweise machen wir zwei Millionen im Jahr.“Gemeinsam mit den bereits bestehenden Aufträgen ist das Unternehmen auf Jahre voll ausgelastet.
Es ist nicht das erste Mal, dass die St. Johanner eine große internationale Ausschreibung gewinnen. Linsinger hat eine Erklärung parat: „Wir sind das innovativste Vermessungsbüro.“Ein Selbstbewusstsein, das nicht aus der Luft gegriffen ist. Seine Firma ist in Deutschland in mehrstufigen Verfahren als Bestbieter hervorgegangen. „Nicht als Billigstbieter“, betont der Chef.
Dank der hauseigenen Forschungsund Entwicklungsabteilung sei man der Konkurrenz voraus. „Wir haben schon mehrere Patente eingereicht.“Die Arbeit geht mit modernen Lasermessgeräten vonstatten, zum Teil mit speziell ausgestatteten Drohnen. Es dauere im Schnitt zwei Tage, um eine Schule zu vermessen, sagt Linsinger. Auf leistungsfähigen Großrechnern werden aus dem Rohmaterial dreidimensionale Ansichten zusammengesetzt. Bis zu 50.000 Fotos ergeben eine 3D-Darstellung auf dem Computerbildschirm.
Übernommen hat Stefan Linsinger das Büro vor zehn Jahren von seinem Vater. Dieser hatte erste Annäherungen an den Tätigkeitsbereich Kulturgüter versucht. Mittlerweile hebt speziell die Kompetenz in diesem Bereich die Firma von der Konkurrenz ab.
Von historischen Bauten gibt es vielfach nur ungenaue oder keine Pläne. Die braucht es allerdings, wenn Renovierungsarbeiten fällig werden. An diesem Punkt kommt Linsinger ins Spiel. Immer wieder macht er mit spektakulären Aufträgen von sich reden. Seine Mitarbeiter haben von der Altstadt von Havanna über die Villa Borghese in Rom bis zur Wiener Hofburg im wahrsten Sinne die Welt vermessen. Zuletzt waren die Wehrstellungen aus dem Ersten Weltkrieg am Ortler
(Südtirol) dran. „Wir wurden mit dem Hubschrauber auf die Spitze gebracht und haben dann von oben nach unten alles aufgezeichnet.“
Linsinger hält sich nur selten im Büro auf. Er ist der Mann für die Akquise, der Weltenbummler. Von Montag bis Freitag ist er normalerweise unterwegs. Mit Erfolg: „80 Prozent der Aufträge, um die wir mitbieten, bekommen wir.“Auf dem Smartphone zeigt Linsinger sein Bewegungsprofil. Ausschläge gibt es in allen Ecken der Weltkarte – von Angola bis zum Kloster Michaelbeuern.
Dass die Arbeit auch weiterhin nicht ausgeht, scheint in Stein gemeißelt. Nun sucht Linsinger dringend Personal. „Wir haben in der Coronazeit um fünf Posten aufgestockt. Ich brauche Minimum fünf weitere Leute.“Infrage komme grundsätzlich jeder, der Job verlange keine Vorausbildung, mathematisches Verständnis sei von Vorteil – und die Bereitschaft, zu reisen. „Wir sehen die Welt“, sagt der Chef.
Auf sein bestehendes Team ist er hörbar stolz: „Die durchschnittliche Verweildauer im Betrieb liegt bei 16 Jahren. Das sagt, glaube ich, viel aus.“Mit 35 Mitarbeitern zählt die St. Johanner Firma zu den großen in der Branche. Der Weggang sei kein Thema. „Wir haben gerade das Büro um 400 Quadratmeter aufgestockt.“2021 steht das 50-JahrJubiläum auf dem Programm.
„Für Arbeit ist gesorgt, jetzt suche ich dringend neue Mitarbeiter.“