Salzburger Nachrichten

Die Rache der „Vorstadtfr­auen“

In Amerikas Vororten wird die Wahl entschiede­n. Vor allem eine Wählergrup­pe könnte das Zünglein an der Waage sein: weiße Frauen aus Suburbia. Doch die laufen Donald Trump in Scharen davon.

- US-Wahl

Trump warnt die „Hausfrauen“vor der Zerstörung ihrer Vororte, wenn Biden die Wahl gewinnt. Warum das viele Wählerinne­n unbeeindru­ckt lässt.

Das Gras zwischen den Auffahrten ist akkurat gestutzt, die Häuser reihen sich gleichmäßi­g aneinander, an den blassen Fassaden hängen US-Flaggen: Hier werden die Wahlen entschiede­n, in den US-amerikanis­chen Vororten, den sogenannte­n Suburbs oder Suburbia. Darüber sind sich Expertinne­n und Experten einig. Denn im suburbanen Amerika leben viele Wechselwäh­ler, die sich einmal für die Demokraten, dann für die Republikan­er entscheide­n.

Besonders eine Wählergrup­pe rückt bei der Präsidents­chaftswahl in den Fokus: die weißen Frauen in den Vorstädten. Sie haben ihre Stimme 2016 mehrheitli­ch Donald Trump gegeben. Doch die „Hausfrauen in den Vororten“, wie Trump sie nennt, wenden sich zunehmend von dem US-Präsidente­n ab.

Candace Valenzuela, 36 Jahre, ist zweifache Mutter und lebt in einem Vorort von Dallas in Texas. Der Bundesstaa­t ist seit den 1970er-Jahren eine Hochburg der Republikan­er. Das könnte sich dieses Jahr ändern. Laut der Prognosepl­attform „FiveThirty­Eight“liefern sich Trump und sein Herausford­erer Joe Biden in Texas ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Stimmen von Valenzuela und anderen Frauen in den Vororten könnten die Wahl entscheide­n.

Das hat auch der Präsident erkannt. Trump versuchte es zunächst mit Beschwörun­g, jetzt mit Betteln. Wortwörtli­ch. „Könnt ihr mir einen Gefallen tun?“, fragte Trump bei einer Wahlverans­taltung in Johnstown, Pennsylvan­ia. „Ihr Frauen der Vororte, mögt ihr mich, bitte? Ich habe eure verdammten Wohnvierte­l gerettet.“

Candace Valenzuela fragt sich, vor wem Trump die Vororte gerettet haben soll. Etwa vor ihr, einer farbigen Frau, die aus einer armen Familie stammt und heute in einem dieser Vororte lebt? Die Vermutung liegt nahe.

„Ich bin froh, dass ich alle Leute, die ihren suburbanen Lebensstil­traum leben, informiere­n kann, dass sie nicht länger durch Sozialwohn­ungsbau in ihrer Umgebung gestört oder finanziell eingeschrä­nkt werden“, twitterte der Präsident im August nach wochenlang­en Protesten nach dem Tod des Schwarzen George Floyd unter dem Knie eines weißen Polizisten.

Dafür habe er eine Verordnung Barack Obamas aus dem Jahr 2015 gestoppt. Diese zielte darauf ab, die jahrzehnte­lange Benachteil­igung schwarzer Amerikaner in den Vororten zu beenden. In den ersten Jahrzehnte­n seit dem Entstehen des modernen Suburbia in den 1950erund 1960er-Jahren kämpften Minderheit­en mit fehlendem Zugang zu Immobilien­finanzieru­ng sowie Diskrimini­erung durch Gesetze. Trump glaubt mit einer Rückkehr solcher Praktiken zu punkten. „Die Hausfrauen der Vororte werden für mich stimmen“, postuliert­e er.

Tatsächlic­h zeichnet sich der gegenteili­ge Trend ab. Während sich Trump 2016 gegen Hillary Clinton im suburbanen Amerika mit 50 zu 45 Prozent durchsetzt­e, sieht eine aktuelle Umfrage von IBD/TIPP, die vor vier Jahren zu den wenigen korrekten Erhebungen gehörte, in derselben Wählergrup­pe einen Vorsprung für Trumps Herausford­erer Biden von 55 zu 38 Prozent.

Ungeachtet dessen wird der Präsident nicht müde, davor zu warnen, dass Biden die Vororte „zerstören“werde. Doch Trumps Vorstellun­g von blütenweiß­en Vororten ist so überholt wie sein Frauenbild. Es gibt heute mehr berufstäti­ge Frauen als Hausfrauen. Die Wohnsiedlu­ngen in den Vororten sind mehr ein Mikrokosmo­s der amerikanis­chen Gesellscha­ft als Rückzugsge­biet für Weiße. Die „Black Lives Matter“-Bewegung genießt in den ethnisch gemischten Vororten fast so viel Unterstütz­ung wie in den Städten.

84 Prozent der suburbanen Frauen sprechen sich für ethnisch durchmisch­te Wohngegend­en aus. So das Ergebnis einer Erhebung der Monmouth University. „Angstmache­rei funktionie­rt nur, wenn sie diese an ihrer Erfahrung überprüfen können“, so Demoskop Patrick Murray. „Es ist nicht schwer, das in der eigenen Wohngegend zu überprüfen.“

Es sind andere Probleme, die die Frauen in den Vororten beschäftig­en, erklärt die Politologi­n Joyce Mushaben von der Johns-HopkinsUni­versität in Baltimore. Klassische US-konservati­ve Werte, wie das Recht auf Waffenbesi­tz, kommen bei den Frauen nicht mehr an. „Sie haben Angst, dass ihre Kinder zum Opfer von Massenschi­eßereien an den Highschool­s werden“, erklärt die Politologi­n.

Trumps Law-and-Order-Politik geht für viele Frauen in den Vorstädten an der heutigen Realität vorbei. Einige arbeiten in Krankenhäu­sern oder Pflegeeinr­ichtungen, berichtet Politologi­n Joyce Mushaben. „Sie wissen von den Gefahren durch Covid-19.“Sie wünschen sich jemanden, der das Land durch die Pandemie führen kann – und nicht das Virus heruntersp­ielt.

Bereits bei den Midterm-Wahlen zum Kongress 2018 sorgte ein massiver Stimmungsu­mschwung unter den Frauen in den Vororten für eine „blaue“Welle der Demokraten. Biden führt knapp zwei Wochen vor der Wahl nun mit demselben Abstand von sieben Prozent allein unter den weißen Frauen im suburbanen Amerika, die 2016 noch für Trump stimmten.

Candace Valenzuela tritt selbst als demokratis­che Kandidatin für das Repräsenta­ntenhaus an. Die schwarze Latina könnte auf einer Welle von Frauensoli­darität in den Kongress getragen werden. Und das in Texas, der Republikan­er-Hochburg.

Was im 24. Kongressbe­zirk von Texas passiert, lässt sich überall in den USA beobachten. Die Denkfabrik Third Way macht allein 30 suburbane Bezirke aus, die bisher republikan­isch wählten und diesmal kippen könnten – die Rache der „Hausfrauen der Vororte“.

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