Frankreich sucht den Weg zu einem „aufgeklärten Islam“
Dem Entsetzen nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty folgt Ratlosigkeit: Wie lässt sich gegen Extremisten vorgehen?
PARIS. Vor ein paar Tagen hatte der Sechstklässler Pape Byram einen großen Fernsehauftritt. Auf die Frage, wie er sich gefühlt habe, als er vom Tod seines Lehrers Samuel Paty erfuhr, sagte der Bursch, er habe geweint. Paty sei ein lustiger, engagierter Lehrer gewesen, der nicht einfach nur seinen Unterricht abgespult habe. Er finde es wichtig, so Pape Byram, trotz allem nach den Herbstferien zurück in die Schule zu kommen. „Wir müssen weiterlernen, sonst glauben die Terroristen, sie haben gewonnen.“
Am Mittwoch fand im Hof der Pariser Sorbonne-Universität eine nationale Ehrung des Lehrers statt. „Samuel Paty wurde am Freitag zum Gesicht der Republik“, sagte Präsident Emmanuel Macron. Der 47jährige Paty wurde Freitag in Conflans-Sainte-Honorine, einem Städtchen 30 Kilometer nordwestlich von Paris, bestialisch ermordet. Ein 18-jähriger gebürtiger Tschetschene hatte Paty aufgelauert, ihn mit einem Messer angegriffen und enthauptet. Grund: Der Lehrer hatte im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt. Mittlerweile befinden sich ein Dutzend Personen, darunter Familienmitglieder des Täters, in Haft. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin versicherte, es werde „keine Minute der Verschnaufpause für die Feinde der Republik“geben. 231 auffällige Personen will er ausweisen lassen. Mehrere als radikal eingestufte Verbände und Organisationen sollen verboten werden. Der Kampf gegen Hassbotschaften im Internet wird verschärft. Erst Anfang Oktober stellte Präsident Emmanuel Macron seine Strategie für einen „aufgeklärten Islam Frankreichs“vor, mit Maßnahmen wie der Ausbildung von Imamen im Land.
Aber bekommt man das Problem mit diesem Aktivismus an der Wurzel zu fassen? Patys Mörder hatte wie die meisten anderen Urheber der Attentate der letzten Jahre in Frankreich gelebt, Schulen besucht, war Teil der Gesellschaft – und stand doch außerhalb.
Der Historiker, Lehrer und Mitglied des französischen Rates der Weisen zur Laizität, Iannis Roder, sagt, er habe schon vor Jahren Alarm geschlagen. „Die Lehrer stehen an vorderster Front. Sie kämpfen Tag für Tag darum, die Werte der Republik geltend zu machen. Ich habe es befürchtet, dass sie zur Zielscheibe werden.“In einer Umfrage sagten 29 Prozent der französischen Muslime, der islamische Glaube sei unvereinbar mit der Republik. Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“verweigerten manche muslimische Schüler die Schweigeminute für die Opfer.
Das entspricht aber nicht der offiziellen Linie der muslimischen Vertreter. Viele Imame und Moscheen verurteilten auch jetzt den Mord an Paty unmissverständlich.