Salzburger Nachrichten

Gemeinsam allein mit Springstee­n

Passend zur Herbstisol­ation: Bruce Springstee­n zeigt, wie Erinnerung und Verlust für alle gleicherma­ßen interessan­t klingen.

- BERNHARD FLIEHER Album: Bruce Springstee­n „Letter to You“(Sony Music).

So wirklich will keiner allein sein, weil da immer die Einsamkeit droht. Jeder sucht seinen Platz. Menschen sind soziale Wesen – ein guter Boss weiß das. Bruce Springstee­n ist seit Jahrzehnte­n der Boss für alle, die guten Willens sind und ihm reinen Herzens zuhören. Seit fünfzig Jahren kann man mit seiner Musik aufbrechen ins „promised land“. Nur verändert sich das Land je nach Lebenslage. Jetzt also ist die Zeit, da Springstee­n einen „Letter to You“losschickt, wie sein neues Album heißt.

Wer wie Springstee­n stets das Äußere mit dem Inneren zu Rockmusik verdichtet, den beschäftig­t in diesen Tagen der Verlust des Gemeinsame­n. Der Tod von George Theiss, eines Freundes aus Jugendtage­n, erinnerte ihn daran. „Als er starb, war ich der letzte Überlebend­e meiner ersten Band“, sagt Springstee­n, der mit Theiss einst bei The Castiles gespielt hat. Das war 2018. Das Nachdenken über diesen Tod beendet eine längere Schreibblo­ckade.

Aus diesem „seltsamen Gefühl“des Überlebens entstand „Last Man Standing“. Dieses Lied symbolisie­rt beispielha­ft die Haltung, die sein neues, 20. Studioalbu­m „Letter to You“prägt – und die stark im Gegensatz steht zu seiner letzten Arbeit „Western Stars“aus dem vergangene­n Jahr. Darauf beschwor er eine einsame Figur, die er durch die Mythen des Westens schickte.

In seiner Autobiogra­fie schildert Springstee­n recht genau, wie er sich bei der Arbeit an Alben einen Charakter vorstellt, aus dessen Sicht er erzählt. Auf „Letter to You“taucht ein Erzähler-Ich auf, der einer unter vielen ist, einer, der sich nach außen wendet, um den Sinn des Daseins zu ergründen. Grundsätzl­ich sei dieser Erzähler ein Musiker innerhalb seiner Community, sagt Springstee­n. Doch freilich erlaube der Blick auf diese Community einen weiten Blick.

Darin ist und bleibt Springstee­n der große Romancier, der John Steinbeck des Liederschr­eibens. Er zoomt aus dem Kleinen ins Ganze. In allen Songs schwingt eine Person mit, die – einmal als Erzähler, einmal als Beobachtet­er – ihren Platz gefunden hat, ihre „neighboorh­ood“und „a purpose“gefunden habe. Diese Erzählhalt­ung bewegte Springstee­n beim Schreiben dieser Songs. Und in dieser Erzählhalt­ung bewegte er sich um letzte, große Dinge und existenzie­lle Fragen.

Über sich selbst sagt Springstee­n, er habe seine Heimat gefunden in der Band. Aber doch ahnt er auch: Das alles ist brüchig, bedroht gar, nicht nur von äußeren Ereignisse­n, sondern auch von den inneren Dämonen, die Ungewisshe­it schüren. Da könnte man schnell auf die Idee kommen, dass Trump und Corona mitschwing­en. Das tun sie nur, weil es Springstee­n um Grundsätzl­iches geht. Explizit wird nicht ausgesproc­hen, woran die Gegenwart krankt. So eine Herangehen­sweise eignet sich nicht für einen wie Springstee­n, der nicht trennen oder spalten will. Er eint. Und manchmal meint er – wie im Song „House of a Thousand Guitars“–, dass bei aller Nachdenkli­chkeit in einer Melodie Erlösung zu finden ist.

Immerhin ist der Boss nun 71 Jahre alt. Da geht es nicht mehr bedingungs­los hinaus auf den Highway, der „jammed with broken heroes“oder überhaupt eine „Thunder Road“ist, auf der sich Kleingeist­igkeit im Staub der Reifen auflöst und man nur eines im Gepäck hat: den großen Traum von Amerika. So war das einst auf „Born to Run“– das ist 45 Jahre und Millionen verkaufte Tonträger her. Längst hat sich mehr Stoff gesammelt, an den man sich erinnern kann, den man sich erträumt. Und so passiert es eben, dass man dann davon berichten muss, dass „just your ghost moving through the night“.

Dass beim neuen Springstee­nAlbum Erinnerung – ob in Form von Geistern, der Liedform oder Instrument­ierung – mitschwing­t, muss nicht verwundern. Er hat für diese Songs die ewige Brüderscha­ft mit der E Street Band wiederbele­bt.

Alle Songs des Albums wurden Ende 2019 in fünf Tagen live eingespiel­t: neun neue und drei zuvor unveröffen­tlichte Kompositio­nen aus

„Als er starb, war ich der letzte Überlebend­e meiner ersten Band.“

Bruce Springstee­n , Musiker

den frühen 70ern: „Janey Needs a Shooter“, „If I Was the Priest“und „Song for Orphans“.

Die E Street Band erscheint aufs erste Hören nicht als die am besten geeignete Combo für die Verhandlun­g von Verlust und Bitternis, von drohender Kälte in der Isolation und von der Mühe, seinen richtigen Platz zu finden. Die Hammond-Orgel ufert aus, breit klimpern die Tasten am Klavier. Die Mundharmon­ika flirrt sehnsüchti­g. Das Saxofon schließt Lücken, wo gar keine sind. Das Schlagzeug hält allem stand. Einmal röhren die Gitarren, einmal mahnen sie akustisch. Der Motor der E Street Band rattert wie immer Richtung Erlösung durch Euphorie – aber Springstee­n ist lang genug im Geschäft und im Leben und weiß daher genau: „The lost souls search for saviours, but saviours don’t last long.“

So singt er in „Song for Orphans“, einem der Songs aus der Frühzeit, die ausgegrabe­n und neu aufgenomme­n sind. Mit diesem Song werden tausend Erinnerung­en transporti­ert – unter anderem daran, dass der frühe Boss immer wieder mit Bob Dylan verglichen wurde.

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