Die Proteste in Lagos finden keine Ende
Nigeria hat mehr arbeitslose Jugendliche als Österreich Einwohner: 14 Millionen.
„Hört auf, die Anführer von morgen zu töten“, „Modern zu sein ist kein Verbrechen“, „Wie sollen wir die Zukunft gestalten, wenn wir tot sind?“– die Protestplakate in Lagos, Nigerias Wirtschaftszentrum, lassen keinen Zweifel über die Identität der Erzürnten: Sie sind jung, emanzipiert – und haben Nigerias Machtelite satt. Nigeria ist mit knapp 200 Millionen Menschen Afrikas bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land. Seine Politik wird traditionell von alten Männern gestaltet. Präsident Muhammadu Buhari ist 77 Jahre alt. Das sehen viele als Problem, schließlich sind 70 Prozent der fast 200 Millionen Nigerianer jünger als 30. Von der alten Garde fühlen sie sich im besten Fall vernachlässigt, im schlechtesten verfolgt und angefeindet.
Der Aufstand begann als Protest gegen die Sondereinheit für Raubüberfälle. Diese Eliteeinheit sollte den Alltag sicherer machen, sorgte aber vor allem mit Prügelattacken und Hinrichtungen für Schlagzeilen. Allem voran machte sie Jagd auf sogenannte Yahoo Boys. So werden in Nigeria Internetbetrüger genannt. In den Augen der umstrittenen Polizeitruppe war man allerdings schon verdächtig, trug man als junger Mensch moderne Kleidung und einen Laptop unter dem Arm. Auf wachsenden Druck lösten die Machthaber die Sondereinheit für Raubüberfälle auf. Doch den Demonstranten ist das längst nicht mehr genug. Vor wenigen Tagen kam es zur Eskalation: In Lagos schossen Sicherheitskräfte in die unbewaffnete Menge, die eine kurz davor in Kraft getretene Ausgangssperre
ignorierte. Mindestens zwölf Menschen starben. Laut Augenzeugen könnte die Zahl um ein Vielfaches höher liegen. Die Tatsache, dass Kameras und Straßenbeleuchtung ausgeschaltet wurden, lässt Menschenrechtler von einem gezielten Angriff ausgehen. Nigerias Armee bestreitet, das Feuer eröffnet zu haben. Ein Anführer der Demonstranten spricht von einem „Massaker“.
Neben UNO, EU, US-Präsidentschaftskandidaten und afrikanischen Nachbarn verurteilten auch Sportler, Schauspieler und Schriftsteller das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Präsident Muhammadu Buhari appellierte für „Verständnis und Gelassenheit“, blieb jedoch Antworten schuldig. Babajide Sanwo-Olu, der Gouverneur des Bundesstaats Lagos, bestritt vorerst, dass es Tote gegeben hat. Dann beschuldigte er die Jugendlichen, die friedlichen Proteste in ein „Monster“verwandelt zu haben. Ein wütender Mob steckte daraufhin sein Kindheitshaus in Brand, wie lokale Zeitungen berichten. Auch ein Einkaufszentrum und ein Gericht seien verwüstet worden.
Unterdessen gehen die Proteste weiter. Die Lage in Lagos erschien chaotisch. Gefordert wird ein Ende von Polizeigewalt und Korruption. Demonstriert wird gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die Perspektivlosigkeit. Dazu der nigerianische Soziologe Oludayo Tade: „Das ist die Internetgeneration. Während sie von ihren Eltern Geschichten über Nigerias glorreiche Vergangenheit hört, erlebt sie die bittere Gegenwart.“
Gegen Polizeigewalt und Korruption