„It’s the economy, stupid“
Die Rolle der Wirtschaft im US-Wahlkampf. Unter demokratischen Präsidenten läuft die US-Wirtschaft besser. Die Gründe sind unklar.
„It’s the economy, stupid“lautete der berühmt gewordene Slogan, den der Kampagnenchef James Carville von Bill Clinton im Präsidentschaftswahlkampf 1992 formulierte. „Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf“ist die Kurzfassung der Binsenweisheit, dass die wirtschaftliche Lage im Land mit darüber entscheidet, welcher Kandidat ins Weiße Haus in Washington einzieht. Der Zustand der Wirtschaft gab in der Vergangenheit immer wieder den Ausschlag. Sogar der US-Präsident, um den sich die meisten Mythen ranken, John F. Kennedy, machte nicht wegen seiner persönlichen Strahlkraft das Rennen, sondern weil er glaubwürdiger als sein Gegenkandidat Richard Nixon verkörperte, die USA aus der Rezession zu führen. In den Jahren zuvor hatte die US-Wirtschaft unter dem republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower mehrere schwere Rückschläge erlebt. Kennedy traute man eher zu, das Land wirtschaftlich wieder aufzurichten. Jahre später sagte Nixon, er habe die Wahl gegen Kennedy seinerzeit nicht verloren, weil dieser in den TV-Debatten eine bessere Figur gemacht habe, sondern wegen der hohen Arbeitslosigkeit.
Auch wenn die Coronakrise die Hauptrolle spielt und wegen des eigenwilligen Wahlkampfstils von Präsident Donald Trump medial andere Themen dominieren, wird ihre persönliche wirtschaftliche Lage ein Wahlmotiv für die Amerikaner sein. Trump lässt keinen Superlativ aus, wenn er seine Leistungen als Wirtschaftspolitiker preist. Noch lieber warnt er vor seinem Rivalen Joe Biden. Würde der Demokrat ins Weiße Haus gewählt, triebe der mit seinen Steuerplänen Amerika in eine Depression wie 1929 und den Aktienmarkt in einen Crash.
Sagt Trump. Aber was sagen Experten? Und was sagt die Geschichte über die wirtschaftspolitische Performance von Demokraten und Republikanern? Der letzten Frage sind die beiden US-Ökonomen Alan S. Blinder und Mark. W. Watson von der Universität Princeton auf den Grund gegangen und haben eine eindeutige Antwort geliefert: „Die US-Wirtschaft entwickelt sich wesentlich besser, wenn ein Demokrat Präsident ist, als wenn es ein Republikaner ist.“Das sei zwar kein Geheimnis, die Tatsache sei aber „allgemein nicht so bekannt, wie sie sein sollte“, so Blinder und Watson.
Sie untersuchten in einer Studie die Wirtschaftsentwicklung der USA in der Nachkriegszeit. Von den 16 Präsidentschaften (die Studie beginnt mit der Wahl von Harry Truman und endet mit der ersten Amtszeit von Barack Obama, Anm.) waren in sieben Perioden Demokraten am Ruder, in neun Republikaner. Im gesamten Zeitraum betrug das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt 3,33 Prozent pro Jahr.
Wenn ein Republikaner im Weißen Haus saß, stieg das Bruttoinlandsprodukt um 2,54 Prozent pro Jahr, wenn ein Demokrat regierte, allerdings um 4,35 Prozent. Blinder und Watson stellten fest, dass sich die bessere Performance demokratischer Präsidenten durch fast alle volkswirtschaftlichen Indikatoren zieht, eine Ausnahme seien die Exporte und selbst da sei die Differenz gering. Signifikante Unterschiede gibt es hinsichtlich des Arbeitsmarkts. Während die Arbeitslosenrate in demokratischen Amtsperioden um 0,8 Prozentpunkte sank, stieg sie unter Republikanern um 1,1 Prozentpunkte. Sogar die Börse (gemessen am S&P-500-Index), die als Hort der Republikaner gilt, entwickelte sich unter Demokraten besser.
In ihrer Schlussfolgerung versetzen Watson und Blinder den Demokraten einen Dämpfer. Diese würden die Studienergebnisse sicher gerne als Bestätigung ihrer Wirtschaftspolitik sehen, aber das sei durch die Daten nicht gedeckt. Stattdessen hätten die Demokraten wohl einfach Glück gehabt, mit schwächeren Ölschocks, einem günstigeren internationalen Umfeld und zuversichtlicheren Konsumenten. Das erkläre die Hälfte der Wachstumsdifferenz, der Rest des Unterschieds bleibe vorerst ein Rätsel.
Für den bekannten US-Ökonomen Nouriel Roubini ist es dennoch höchste Zeit, den Mythos zu begraben, dass Republikaner die Wirtschaft besser steuern als Demokraten. Dass die meisten Rezessionen in die Amtszeit republikanischer Präsidenten gefallen seien, sei kein Zufall, schrieb Roubini jüngst in einem Artikel. Republikaner neigten zu lockerer Regulierung, die Folge seien Finanzkrisen und Rezessionen. Als Beispiel führt er die Amtszeit von George W. Bush an, dieser habe Barack Obama die bis dahin tiefste Rezession seit den 1930er-Jahren hinterlassen – mit mehr als zehn Prozent Arbeitslosigkeit, einem Budgetdefizit von 1,2 Bill. Dollar und einen um 60 Prozent eingebrochenen Aktienmarkt. Ungeachtet dieser Fakten könnte man Roubini als parteiisch bezeichnen, schließlich war er wirtschaftspolitischer Berater von Bill Clinton und später von Timothy Geithner, Finanzminister in Barack Obamas erster Amtszeit.
Der Vorwurf der Voreingenommenheit prallt an Paul Krugman, mit dem Nobelpreis ausgezeichnetem Ökonomen und ständigem Kolumnisten der „New York Times“, ab. Seit Trumps Amtsantritt nutzt er jede Gelegenheit, ihn als wirtschaftlichen Versager zu brandmarken. Vor Kurzem warf er Trump vor, er bringe die US-Wirtschaft aus
Trotz um. Das bezog sich darauf, dass er die Gespräche über ein weiteres Corona-Hilfspaket für Amerikas Bürger kurzfristig stoppte. Am Dienstag machte Trump eine für ihn typische Kehrtwende und forderte ein größeres Hilfspaket als die Demokraten.
Werfen wir trotz der Ablehnung, die Trump – vielfach zu Recht – entgegenschlägt, einen nüchternen Blick auf die US-Wirtschaft in seiner Amtszeit. Klammert man die Pandemie fairerweise aus, fällt die Bilanz nicht schlecht aus. Die Wirtschaft ist von 2017 bis Anfang 2020 durchschnittlich um 2,5 Prozent gewachsen und damit etwas stärker als unter Vorgänger Obama. Trump übernahm eine brummende Wirtschaft und machte daraus den längsten Boom in der Geschichte der USA. Die Arbeitslosigkeit sank zwischenzeitlich auf ein Rekordtief. Andererseits hat Trump alle Handelspartner gegen sich aufgebracht, den Preis dafür zahlen die USBürger. Und er machte eine Steuerpolitik für Reiche und Großkonzerne, die die Spaltung der US-Gesellschaft noch vertiefte.
Was würde sich für die Amerikaner unter Biden ändern? Krugman nennt als unverdächtige Quelle eine Analyse der Ratingagentur Moody’s: Bidens Pläne würden zu einem stärkeren Wachstum führen als jene von Trump. Wegen der expansiveren Fiskalpolitik würde die Wirtschaft nach der Pandemie in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu Vollbeschäftigung zurückkehren, unter Trump erst Anfang 2024. Dazu würde auch beitragen, dass Biden eine andere Handelsund Einwanderungspolitik verfolgt. Am Ende der ersten Amtszeit wäre das Bruttoinlandsprodukt unter Biden um 960 Mrd. Dollar oder 4,5 Prozent höher als bei Trump.
Die Amerikaner haben die Wahl.