Urlaub reloaded
Daheimbleiben heißt das Gebot der Stunde. Daheim im Sinne von nicht in den Urlaub fahren, weil zu Hause alles überschaubar und nachvollziehbar ist, im Falle des Falles. Ja, ich meine Corona, doch keine Sorge, eigentlich geht’s mir nicht um dieses Virus, sondern um Kreativität. Die wurde bei mir nämlich befeuert. Mein Alltag ist neuerdings zum sprudelnden Quell von Neuem geworden. Begonnen hat alles beim Mountainbiken. Meine Standardrunde lähmte mir schon seit Langem den Atem. Tausend Mal geradelt, wahrscheinlich hatte sich schon jeder Grashalm und jeder Stein in meine DNA eingeschrieben. Selbst dem Reh, dem ich regelmäßig an nahezu gleicher Stelle begegnete, war ich keinen Fluchtversuch mehr wert. Kurz gesagt: Die Bikestrecke war öde, neue Akzente mussten her.
Ich hängte also einen Anhänger an mein Mountainbike und fuhr erst um 20 Uhr und nicht wie sonst schon um 17 Uhr los.
Ein Zelt hatte ich mit dabei, einen Gaskocher und eine Kleinigkeit zu essen. Mein Vorhaben war simpel: gleiches Umfeld – meine Hausstrecke –, gleiche Tätigkeit – Mountainbiken –, lediglich das Ziel, welches ich verfolgte, war ein anderes, nicht mich auspowern, sondern irgendwo auf der
Strecke übernachten. Und was passierte da? Klar kamen die Sonnenstrahlen anders daher, selbstverständlich zog die Landschaft aufgrund des zusätzlichen Gewichts langsamer als sonst an mir vorüber. Auch mein Puls meldete sich weniger energisch als sonst. Und das Reh? Wo war es geblieben? Aber eigentlich meine ich all das gar nicht. Denn das war ja mehr oder weniger zu erwarten. Was aber bitte machten diese riesige Eiche und diese zahlreichen mit Moos bedeckten Baumstümpfe und die vielen schmalen Schleichwege in meinem Wald? Und dieses Vogelgezwitscher und Zirpen, diese außergewöhnliche Geräuschkulisse? Alles neu, alles nie zuvor wahrgenommen hier in meiner Gegend.
Meine Hausstrecke war kaum wiederzuerkennen. Allein dieser winzige Perspektivenwechsel, nämlich dass ich ein anderes Ziel als sonst verfolgte und einen geeigneten Schlafplatz für meinen Zeltaufbau suchte, bugsierte mich in eine scheinbar neue Welt. Kurzweilig gab sich mein altbekanntes Umfeld. Letztlich lernte ich auch noch den Bauern kennen, an dem ich seit Jahren grußlos vorbeigeradelt war. Es gab bis jetzt halt nie etwas zu reden. Er erlaubte mir in seinem Wald zu zelten. Und da saß ich dann und beobachtete die Sterne, wie sie am Himmel erwachten. Urlaub war zu mir gekommen.
Und warum erzähle ich das? Weil seit diesem Schlüsselerlebnis mein Alltag bunter geworden ist. Regelmäßig schlage ich seither durch winzige Abweichungen der Monotonie des Alltags ein Schnippchen. Kalt duschen statt warm, Zähneputzen mit der linken Hand, in Bauchlage einschlafen probieren, den Wecker hören und gleich aus dem Bett hüpfen, mit dem Fahrrad ins Büro anstatt mit dem Auto – egal was, wichtig bloß, anders agieren als üblich. Zudem soll dies auch noch eine Art Jungbrunnen sein. Um nicht zu vergreisen, propagierte Moshé Feldenkrais schon vor über 50 Jahren, einfach jeden Tag etwas Neues zu probieren. Aber das nur am Rande, seit ich gefinkelt mit dem vermeintlich immer Gleichen umgehe, flankiert Interesse meine ausgestapften Wege. Urlaub von Gewohntem, dazu braucht es keine Ortsveränderung.