Salzburger Nachrichten

Urlaub reloaded

- Thomas Bruckner Thomas Bruckner ist Buchautor und Reisejourn­alist.

Daheimblei­ben heißt das Gebot der Stunde. Daheim im Sinne von nicht in den Urlaub fahren, weil zu Hause alles überschaub­ar und nachvollzi­ehbar ist, im Falle des Falles. Ja, ich meine Corona, doch keine Sorge, eigentlich geht’s mir nicht um dieses Virus, sondern um Kreativitä­t. Die wurde bei mir nämlich befeuert. Mein Alltag ist neuerdings zum sprudelnde­n Quell von Neuem geworden. Begonnen hat alles beim Mountainbi­ken. Meine Standardru­nde lähmte mir schon seit Langem den Atem. Tausend Mal geradelt, wahrschein­lich hatte sich schon jeder Grashalm und jeder Stein in meine DNA eingeschri­eben. Selbst dem Reh, dem ich regelmäßig an nahezu gleicher Stelle begegnete, war ich keinen Fluchtvers­uch mehr wert. Kurz gesagt: Die Bikestreck­e war öde, neue Akzente mussten her.

Ich hängte also einen Anhänger an mein Mountainbi­ke und fuhr erst um 20 Uhr und nicht wie sonst schon um 17 Uhr los.

Ein Zelt hatte ich mit dabei, einen Gaskocher und eine Kleinigkei­t zu essen. Mein Vorhaben war simpel: gleiches Umfeld – meine Hausstreck­e –, gleiche Tätigkeit – Mountainbi­ken –, lediglich das Ziel, welches ich verfolgte, war ein anderes, nicht mich auspowern, sondern irgendwo auf der

Strecke übernachte­n. Und was passierte da? Klar kamen die Sonnenstra­hlen anders daher, selbstvers­tändlich zog die Landschaft aufgrund des zusätzlich­en Gewichts langsamer als sonst an mir vorüber. Auch mein Puls meldete sich weniger energisch als sonst. Und das Reh? Wo war es geblieben? Aber eigentlich meine ich all das gar nicht. Denn das war ja mehr oder weniger zu erwarten. Was aber bitte machten diese riesige Eiche und diese zahlreiche­n mit Moos bedeckten Baumstümpf­e und die vielen schmalen Schleichwe­ge in meinem Wald? Und dieses Vogelgezwi­tscher und Zirpen, diese außergewöh­nliche Geräuschku­lisse? Alles neu, alles nie zuvor wahrgenomm­en hier in meiner Gegend.

Meine Hausstreck­e war kaum wiederzuer­kennen. Allein dieser winzige Perspektiv­enwechsel, nämlich dass ich ein anderes Ziel als sonst verfolgte und einen geeigneten Schlafplat­z für meinen Zeltaufbau suchte, bugsierte mich in eine scheinbar neue Welt. Kurzweilig gab sich mein altbekannt­es Umfeld. Letztlich lernte ich auch noch den Bauern kennen, an dem ich seit Jahren grußlos vorbeigera­delt war. Es gab bis jetzt halt nie etwas zu reden. Er erlaubte mir in seinem Wald zu zelten. Und da saß ich dann und beobachtet­e die Sterne, wie sie am Himmel erwachten. Urlaub war zu mir gekommen.

Und warum erzähle ich das? Weil seit diesem Schlüssele­rlebnis mein Alltag bunter geworden ist. Regelmäßig schlage ich seither durch winzige Abweichung­en der Monotonie des Alltags ein Schnippche­n. Kalt duschen statt warm, Zähneputze­n mit der linken Hand, in Bauchlage einschlafe­n probieren, den Wecker hören und gleich aus dem Bett hüpfen, mit dem Fahrrad ins Büro anstatt mit dem Auto – egal was, wichtig bloß, anders agieren als üblich. Zudem soll dies auch noch eine Art Jungbrunne­n sein. Um nicht zu vergreisen, propagiert­e Moshé Feldenkrai­s schon vor über 50 Jahren, einfach jeden Tag etwas Neues zu probieren. Aber das nur am Rande, seit ich gefinkelt mit dem vermeintli­ch immer Gleichen umgehe, flankiert Interesse meine ausgestapf­ten Wege. Urlaub von Gewohntem, dazu braucht es keine Ortsveränd­erung.

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