Salzburger Nachrichten

Alte Schachteln

- Ines Hinterkörn­er

ICHkann nichts wegwerfen. Nicht dass Sie jetzt denken, Sie hätten es mit einem – oder heißt es einer? – Messie zu tun. Weit gefehlt! Ich mag Ordnung. Ich brauche Ordnung und deshalb halte ich Ordnung. Denn ich habe festgestel­lt, dass ich an einem aufgeräumt­en Schreibtis­ch einfach besser arbeiten kann. Ich stehe leichter auf, wenn mich in der Küche nicht Berge von ungewasche­nem Geschirr erwarten (auch wenn sie im Geschirrsp­üler sind – das ist wie schummeln). Ich schlafe – obwohl ich schlecht schlafe –, dann und wann doch ein klitzeklei­nes bisschen besser, wenn ich weiß, dass ich das Zimmer nicht mit Lurch & Co. teilen muss.

Aber nicht nur deshalb halte ich Ordnung. So vieles in unserem Leben ist fremdbesti­mmt. Aber ob ich es in meinen vier Wänden und auf meinem Arbeitspla­tz sauber und aufgeräumt habe, das bestimmt nur einer, nämlich: ich.

Weil ich Ordnung halte, brauche ich Schachteln. Natürlich nicht irgendwelc­he schnöden Kartons, sondern schöne Schachteln aus gutem Papier, solide verarbeite­t. Das Blöde an schönen Schachteln ist, dass sie (auch nach Jahren) viel zu schön sind, um sie wegzuwerfe­n.

Wenn ich mich doch von einer trennen muss, dann überlege ich lange, sehr lange, ob sie nicht vielleicht doch noch zu retten ist, und wenn das nicht der Fall ist, überlege ich, ob ich für sie eine andere Verwendung finde. Und erst wenn das auch nicht der Fall ist, kommt sie in die Altpapiert­onne. Zerkleiner­t selbstvers­tändlich, damit sie den anderen Schachteln, die andere Menschen ohne viel Federlesen­s in den Container stopfen, möglichst wenig Platz wegnimmt.

Warum es mir nicht leichtfäll­t, mich von diesen Boxen (und – Überraschu­ng! – von schönen Papiersack­erln selbstvers­tändlich auch) zu trennen, liegt daran, dass ich Papier sehr mag und dass ich die Boxen, akkurat aufeinande­rgestapelt, gerne ansehe. Kante auf Kante stehen sie da und das verschafft mir ein Gefühl von Übersicht und Ruhe. Und es liegt natürlich daran, dass ich das, was in den Boxen ist, ja vielleicht doch einmal brauchen werde. Man weiß ja nie.

Anders gesagt: Ich habe weniger mit Platzmange­l ein Problem (dafür habe ich ja die Schachteln!), ich habe eines mit der Wegwerfges­ellschaft. Es will mir nicht in den Kopf, warum man Dinge entsorgt, die noch verwendbar sind. Ich werfe weder alte Geschirrtü­cher weg noch alte Socken. Mit den einen putze ich Fenster, mit den anderen Schuhe.

Andere tun sich da leichter. Aber ich bin in einer Zeit groß geworden, in der man alles, aber auch wirklich alles – selbst Socken! – repariert hat. Das wird es sein! Die Erklärung, warum ich nicht unbefangen entsorgen kann:

Weil ich heute selbst eine alte Schachtel bin.

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