Die Coronabetten werden rasch knapp
Immer mehr schwere Coronafälle müssen ins Krankenhaus. Dort spricht man bereits von einem Lockdown, der notwendig werden könnte.
Der Geschäftsführer der Salzburger Landeskliniken, Paul Sungler, läutet im SN-Interview die Alarmglocken: Schon jetzt müsse man mit doppelt so vielen Coronapatienten im Spital rechnen wie im Frühjahr.
SN: Werden die Coronabetten in Salzburg bald knapp?
Paul Sungler: Wir werden nach den Berechnungen von hochrangigen Experten, die sich mit unseren Statistiken und Hochrechnungen decken, wahrscheinlich in 14 Tagen die Grenze von 200 Betten sprengen, wenn die derzeitigen Maßnahmen der Landesregierung nicht greifen. Möglicherweise wird man dann noch schärfere Maßnahmen setzen müssen. Von den 200 Coronapatienten werden dann rund 40 auf einer Intensivstation liegen. Das sind Zahlen, die von Statistikern der Medizinischen Hochschule Hannover und von unserer Landesstatistik kontrolliert wurden. Das sind derzeit bedauerlicherweise die Fakten.
SN: Sind diese 200 Patienten tatsächlich die Obergrenze für Salzburg?
Wir haben derzeit einen Plan für 200 Patienten im Land Salzburg. Dazu zählen aber auch die Kapazitäten der Krankenhäuser Oberndorf, Barmherzige Brüder, Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum und Tauernklinikum, die wir mit unseren Landeskliniken aufstellen können. Wir werden uns kommende Woche mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer und LH-Stv. Christian Stöckl zu Gesprächen treffen, wie wir vorgehen, wenn die Grenze überschritten wird. Der Plan steht vorerst für die nächsten 14 Tage.
SN: Für einen medizinischen Laien klingen 200 Betten für Coronapatienten nicht nach sehr viel. Hätte man nicht ein halbes Jahr Zeit gehabt, sich besser auf diese Situation vorzubereiten?
Das kann man so nicht sehen, diese Entwicklung würde jedes Spital der Welt überfordern. 200 Betten sind gut ein Fünftel aller Betten, die wir in der ChristianDoppler-Klinik und im Uniklinikum zur Verfügung haben. Also ein Fünftel der Kapazitäten, die wir für eine einzige Erkrankung reservieren. Und wir werden sicher niemanden aufnehmen, der nur positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Aufgenommen werden nur jene Patienten, die schwer krank sind und zum Beispiel Sauerstoff benötigen.
Wenn die Zahlen weiter steigen, sind wir gezwungen, Operationen in anderen Bereichen, die nicht dringend notwendig sind, zu verschieben. Wir haben weder das Personal noch die Betten, die man auch nicht in einem halben Jahr neu schaffen kann.
SN: Das heißt, es fehlt nicht nur an Betten, sondern auch an Fachärzten, Pflegepersonal und Intensivausstattung?
Die Intensivausstattung gibt es für einen gewissen Prozentsatz an intensivpflichtigen Patienten. Da sind wir sehr gut aufgestellt im Vergleich zu anderen. Aber das notwendige Personal ist von der Zahl begrenzt. Auch Fachärzte und Spezialisten haben wir für 200 Patienten. Darüber hinaus müssen wir improvisieren.
SN: Was heißt improvisieren?
Das heißt, die Leistungen im gesamten Krankenhaus auf das absolute Minimum herunterzuschrauben, dass nur noch lebensbedrohende Notfälle und Unfälle behandelt werden können. Etwas anderes wird es dann nicht mehr geben. Wir versuchen, so lange wie möglich Operationen, die notwendig, aber nicht wirklich dringend sind, noch zu machen. Dazu gehören auch eine Hüftoder eine Knieprothese. Die können wir jetzt noch unter Umständen machen. Wenn es aber so weitergeht, müssen wir diese Eingriffe wieder verschieben.
SN: Steuern wir damit auf eine ähnliche Situation zu wie im Frühjahr?
Von den Zahlen her ja, wenn sich nicht demnächst etwas tut. Der Lockdown vor acht Monaten hat dazu geführt, dass die Zahl der Neuinfektionen Gott sei Dank innerhalb von 14 Tagen nachgelassen hat. Das heißt, wir reden erneut von 14 Tagen. Wenn die Bevölkerung nicht realisiert, dass sich jetzt etwas ändern muss, wenn die sinnlosen Demonstrationen gegen die Maske und die Einschränkungen nicht aufhören und die Menschen glauben, dass es so weitergehen kann, dann wird es ein wirklich ernstes Ende nehmen. Nach den Berechnungen, auch der Hannover Experten, müssen wir jetzt mit dem mehr als Doppelten der Maximalzahl an Erkrankten vom Frühjahr rechnen.
SN: Es gibt auch ernst zu nehmende Mediziner unter den sogenannten Coronakritikern, die behaupten, Österreich sei nicht mit Italien, Südeuropa, Großbritannien oder den USA vergleichbar. Unser Gesundheitssystem sei viel besser aufgestellt.
Übertreiben Sie, wenn Sie düstere Szenarien zeichnen? Dem kann ich als Geschäftsführer der größten Gesundheitseinrichtung Salzburgs nur heftigst widersprechen. Aber wirklich heftigst. Ja, wir haben im Frühjahr tolle Ergebnisse erzielt. Wir haben Gott sei Dank die Expertise eines Prof. Richard Greil und der Infektiologen. Aber auch diese Ressourcen sind begrenzt.
Ich bin kein Freund von Hysterie, ich bin alles andere als aufgeregt. Ich glaube auch, dass wir gut gerüstet sind. Aber es muss sich bei der Bevölkerung Entscheidendes ändern.
SN: Ist es nicht problematisch, wenn in Salzburg die Coronapatienten auch dezentral in anderen Spitälern versorgt werden? Wenn also nicht die geballte medizinische Kompetenz in einem Haus konzentriert wird? Riskiert man da nicht eine schlechtere Versorgung als im Frühjahr? Nein, wir haben im Frühjahr die zentrale Versorgung deshalb gemacht, weil wir erstens nicht wussten, wie wir mit diesem Problem umgehen sollen. Zweitens kannten wir die Erkrankung und ihre Dynamik nicht. Und drittens waren das Rote Kreuz und der Hubschrauberdienst nicht in der
Lage, infizierte Patienten von Zell am See oder Schwarzach zu uns zu transportieren. Deshalb haben wir damals beschlossen, wir stemmen komplett als Universitätsklinikum diese erste Welle.
Mittlerweile haben wir viel gelernt. Wenn Patienten zum Beispiel vier oder acht Liter Sauerstoff benötigen, müssen sie nicht unbedingt im Uniklinikum liegen. Da reicht es, dass man solche Patienten in einer qualifizierten Abteilung pflegt. Prof. Andreas
Valentin vom Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum zum Beispiel ist mit den Intensivbetten hervorragend ausgerüstet, er kann bis zu zehn Patienten nehmen. Und die Kooperation zwischen allen Krankenanstalten des Landes, aber auch mit gewissen Rehaeinrichtungen wie Großgmain oder Bad Vigaun ist so gut wie noch nie. Danke, dass alle so gut an einem Strang ziehen.
SN: Was ist der Notfallplan, wenn mehr als 200 Coronapatienten Spitalspflege benötigen?
Wir haben jetzt 14 Tage Zeit, uns darüber Gedanken zu machen, welche Abteilungen wir redimensionieren, also weiter zurückschrauben können. Wir haben alle Zahlen, was die Notfälle betrifft. Da müssen wir neu rechnen und uns neu aufstellen. Wir haben jetzt das Programm für 200 Patienten.
Es ist erst seit wenigen Tagen offensichtlich, dass die Zahlen weiter in der geschilderten Dynamik ansteigen werden. Wir werden in der nächsten Woche rechtzeitig wissen, wie der Plan aussieht, wenn es mehr als 200 Patienten werden.
SN: Das heißt, die Debatte über mögliche Kollateralschäden beginnt neu?
Man kann nachlesen, dass es in Salzburg keine Kollateralschäden gegeben hat. Im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren gibt es keine Übersterblichkeit. Wir stellen die dramatisierte Darstellung nicht fest. Jeder Patient mit einem Herzinfarkt, mit einer Blinddarmentzündung, mit jeder akuten Erkrankung oder einem Unfall wird behandelt.
SN: Bleibt das auch garantiert, wenn die Zahl der spitalspflichtigen Coronapatienten weiter steigt?
Das ist unser Auftrag. Entscheidend ist: Ich habe die Hysterie auf der einen Seite satt. Ich habe es aber umgekehrt auch satt, dass manche die Lage nicht ernst nehmen. Und man sollte die Situation ernst nehmen.
Ich habe Hysterie satt. Ich habe es aber auch satt, dass man nichts ernst nimmt.