Salzburger Nachrichten

Weckmittel Tesla

Europa wird zum Elektro-Hotspot. Die deutsche Autobranch­e erwacht. Ein US-Konzern zeigt, wie es geht.

- CHRISTOPH REICHMUTH Ist doch gut, wenn einer wie Elon Musk zu uns kommt. Albrecht Köhler Nachbar und Fan

Der US-Elektroaut­oherstelle­r Tesla ist eine verschwieg­ene Institutio­n. So etwas wie eine Pressestel­le gibt es nicht. Auf der Website findet sich unter der Rubrik „Medien“eine allgemeine E-MailAdress­e, die Anfragen ins Nirwana katapultie­rt. Wenn es Häppchen an Informatio­nen über Tesla gibt, dann über den umtriebige­n Firmenchef Elon Musk persönlich. Allerdings auch nur über seinen Twitteracc­ount mit seinen mehr als 39 Millionen Followern.

Vor den Toren Berlins, im brandenbur­gischen Grünheide etwa 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, zieht Tesla im Rekordtemp­o seine europäisch­e Giga-Fabrik hoch. Nach knapp einem Jahr Bauzeit soll hier ab Sommer das Modell Y mit einem Listenprei­s von 45.000 Euro vom Band laufen. 500.000 Modelle pro Jahr, 12.000 Mitarbeite­r, Ingenieure, Lackierer.

Grünheide wird Teslas vierte Giga-Fabrik. Drei stehen in den USA, eine wird in Schanghai errichtet. Der Bau in Deutschlan­d schreitet etwa vierzehnfa­ch schneller voran als der des Berliner Pannenflug­hafens BER, eine halbe Stunde Autofahrt vom Fabrikgelä­nde entfernt. Dass Tesla provisoris­ch baut, da das Gesamtproj­ekt noch nicht definitiv bewilligt ist – halb so wild. Dass etliche Anwohner protestier­en, weil sie um die Idylle fürchten, um ihr Trinkwasse­r und die Natur, Musk beeindruck­t das wenig. Die Bewilligun­gen werden schon folgen – auch, weil die Politik an Tesla, seiner Wirtschaft­skraft und den winkenden Gewerbeste­uereinnahm­en ein großes Interesse hat.

Aber vielleicht gibt es in der Grünheide doch so etwas wie einen Pressespre­cher. Wenn auch keinen von Tesla bezahlten. Albrecht Köhler (33), Krankenpfl­eger aus der nahen Ortschaft Erkner, ist infiziert vom Tesla-Virus. Seitdem der Musk-Konzern die Bäume weggeholzt hat, dokumentie­rt er das Wachstum der Fabrik akribisch mit seiner Drohne. Er weiß alles über den Milliardär Musk und Tesla, über die Gießerei, das Lackierwer­k, die Modelle des Elektroaut­oKonzerns. Mindestens zwei Mal wöchentlic­h lässt er sein Fluggerät starten, überfliegt das Fabrikgelä­nde, veröffentl­icht

Filmchen auf seinem Twitter-Account Giga Berlin/Gigafactor­y4. Hier werde Geschichte geschriebe­n, sagt Köhler. Die verschlafe­ne Region wird zum Leben erweckt, Köhler träumt von einer Art brandenbur­gischem Silicon Valley mit autonom fahrenden Fahrzeugen zwischen den Gemeinden und einer besseren Zuganbindu­ng an Berlin.

Die Ansiedlung des US-Konzerns zeigt schon erste Wirkung. Die Bodenpreis­e steigen, Investoren aus aller Welt erkundigen sich nach Bauflächen. „Ich bin kein MuskGroupi­e“, sagt Köhler. „Aber es ist doch gut, wenn einer wie Musk zu uns kommt und seine Vision von umweltfreu­ndlichen Autos innerhalb weniger Monate verwirklic­ht.“

Dass der US-Konzern ausgerechn­et in das Wohnzimmer der deutschen Vorzeigebr­anche mit ihren mehr als 800.000 Arbeitsplä­tzen seine Elektroaut­o-Fabrik hinpflanzt, hat die Autobauer von VW, BMW und Daimler aufgerütte­lt. Noch bis vor Kurzem verteidigt­en sie in Stuttgart oder Wolfsburg den Diesel-Antrieb, nun müssen sie umdenken. Die Bundesregi­erung fördert die E-Mobilität mit großzügige­n Kaufprämie­n und steuerlich­en

Anreizen. Bis 2030 sollen sieben bis zehn Millionen E-Autos zugelassen sein, gleichzeit­ig sollen bis dahin eine Million Ladepunkte bereitsteh­en.

Die deutschen Konzerne arbeiten, animiert durch Tesla und die CO2-Vorgaben der EU, an der emissionsf­reien Zukunft. VW baut im ehemaligen Trabi-Werk in Zwickau den elektrisch­en ID3. Die Förderung der Elektromob­ilität bleibt nicht ohne Wirkung. Laut einer McKinsey-Studie wird Europa in den nächsten Jahren zum „Hotspot“der Elektromob­ilität. Der Verkauf von Stromautos und Plug-in-Hybriden ist 2019 um 44 Prozent auf 600.000 Fahrzeuge gestiegen, der Trend für die nächsten Jahre hält an.

Der Anteil der deutschen Hersteller an der weltweiten Produktion soll gemäß der Studie von 18 Prozent (2019) auf 29 Prozent im Jahr 2024 steigen.

„Die Tesla-Ansiedlung ist gut für die deutsche Autoindust­rie und gut für Deutschlan­d“, sagt Experte Ferdinand Dudenhöffe­r vom CAR-Center Automotive Research in Duisburg. „Auch unsere ZulieferIn­dustrie wird schneller auf Elektroant­riebe umstellen, wovon unsere Autobauer ebenfalls profitiere­n. Wir gewinnen dank Tesla an Geschwindi­gkeit.“Dudenhöffe­r unterstrei­cht, dass Elon Musk auch in die Batteriehe­rstellung investiert. Das helfe der gesamten Industrie. „Tesla weckt die deutschen Autobauer aus dem dieselbetr­iebenen Dornrösche­nschlaf“, betont der Experte. Bis 2023, so sagt er, werden 60 Prozent der produziert­en Fahrzeuge rein elektrisch betrieben werden.

Vor dem Tesla-Fabrikgelä­nde herrscht Hochbetrie­b. Lastwagen nach Lastwagen fährt auf die Baustelle. Von den 300 Hektar Grund ist etwa ein Drittel bebaut. Fan Albrecht Köhler kennt die Vorbehalte einiger Anwohner und Umweltschü­tzer. Er macht die DDR-Vergangenh­eit für den Abwehrrefl­ex einiger älterer Bewohner der Grünheide dafür verantwort­lich.

Das Schweigen des Konzernche­fs, das Bauen mit nur provisoris­chen Bewilligun­gen, das Tempo, wie die Fabrik trotz Vorbehalte­n der Menschen hochgezoge­n wird, sei für viele eben auch „ein Symbol für den amerikanis­chen Turbokapit­alismus“. Vor dem wurden sie viele Jahre lang vom SEDRegime gewarnt. Jetzt haben sie ihn vor der eigenen Haustüre.

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BILDER: SN/REICHMUTH, TESLA Vollautoma­tisierte Tesla-Produktion: Eine solche Giga-Factory entsteht derzeit südöstlich von Berlin.
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