Weckmittel Tesla
Europa wird zum Elektro-Hotspot. Die deutsche Autobranche erwacht. Ein US-Konzern zeigt, wie es geht.
Der US-Elektroautohersteller Tesla ist eine verschwiegene Institution. So etwas wie eine Pressestelle gibt es nicht. Auf der Website findet sich unter der Rubrik „Medien“eine allgemeine E-MailAdresse, die Anfragen ins Nirwana katapultiert. Wenn es Häppchen an Informationen über Tesla gibt, dann über den umtriebigen Firmenchef Elon Musk persönlich. Allerdings auch nur über seinen Twitteraccount mit seinen mehr als 39 Millionen Followern.
Vor den Toren Berlins, im brandenburgischen Grünheide etwa 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, zieht Tesla im Rekordtempo seine europäische Giga-Fabrik hoch. Nach knapp einem Jahr Bauzeit soll hier ab Sommer das Modell Y mit einem Listenpreis von 45.000 Euro vom Band laufen. 500.000 Modelle pro Jahr, 12.000 Mitarbeiter, Ingenieure, Lackierer.
Grünheide wird Teslas vierte Giga-Fabrik. Drei stehen in den USA, eine wird in Schanghai errichtet. Der Bau in Deutschland schreitet etwa vierzehnfach schneller voran als der des Berliner Pannenflughafens BER, eine halbe Stunde Autofahrt vom Fabrikgelände entfernt. Dass Tesla provisorisch baut, da das Gesamtprojekt noch nicht definitiv bewilligt ist – halb so wild. Dass etliche Anwohner protestieren, weil sie um die Idylle fürchten, um ihr Trinkwasser und die Natur, Musk beeindruckt das wenig. Die Bewilligungen werden schon folgen – auch, weil die Politik an Tesla, seiner Wirtschaftskraft und den winkenden Gewerbesteuereinnahmen ein großes Interesse hat.
Aber vielleicht gibt es in der Grünheide doch so etwas wie einen Pressesprecher. Wenn auch keinen von Tesla bezahlten. Albrecht Köhler (33), Krankenpfleger aus der nahen Ortschaft Erkner, ist infiziert vom Tesla-Virus. Seitdem der Musk-Konzern die Bäume weggeholzt hat, dokumentiert er das Wachstum der Fabrik akribisch mit seiner Drohne. Er weiß alles über den Milliardär Musk und Tesla, über die Gießerei, das Lackierwerk, die Modelle des ElektroautoKonzerns. Mindestens zwei Mal wöchentlich lässt er sein Fluggerät starten, überfliegt das Fabrikgelände, veröffentlicht
Filmchen auf seinem Twitter-Account Giga Berlin/Gigafactory4. Hier werde Geschichte geschrieben, sagt Köhler. Die verschlafene Region wird zum Leben erweckt, Köhler träumt von einer Art brandenburgischem Silicon Valley mit autonom fahrenden Fahrzeugen zwischen den Gemeinden und einer besseren Zuganbindung an Berlin.
Die Ansiedlung des US-Konzerns zeigt schon erste Wirkung. Die Bodenpreise steigen, Investoren aus aller Welt erkundigen sich nach Bauflächen. „Ich bin kein MuskGroupie“, sagt Köhler. „Aber es ist doch gut, wenn einer wie Musk zu uns kommt und seine Vision von umweltfreundlichen Autos innerhalb weniger Monate verwirklicht.“
Dass der US-Konzern ausgerechnet in das Wohnzimmer der deutschen Vorzeigebranche mit ihren mehr als 800.000 Arbeitsplätzen seine Elektroauto-Fabrik hinpflanzt, hat die Autobauer von VW, BMW und Daimler aufgerüttelt. Noch bis vor Kurzem verteidigten sie in Stuttgart oder Wolfsburg den Diesel-Antrieb, nun müssen sie umdenken. Die Bundesregierung fördert die E-Mobilität mit großzügigen Kaufprämien und steuerlichen
Anreizen. Bis 2030 sollen sieben bis zehn Millionen E-Autos zugelassen sein, gleichzeitig sollen bis dahin eine Million Ladepunkte bereitstehen.
Die deutschen Konzerne arbeiten, animiert durch Tesla und die CO2-Vorgaben der EU, an der emissionsfreien Zukunft. VW baut im ehemaligen Trabi-Werk in Zwickau den elektrischen ID3. Die Förderung der Elektromobilität bleibt nicht ohne Wirkung. Laut einer McKinsey-Studie wird Europa in den nächsten Jahren zum „Hotspot“der Elektromobilität. Der Verkauf von Stromautos und Plug-in-Hybriden ist 2019 um 44 Prozent auf 600.000 Fahrzeuge gestiegen, der Trend für die nächsten Jahre hält an.
Der Anteil der deutschen Hersteller an der weltweiten Produktion soll gemäß der Studie von 18 Prozent (2019) auf 29 Prozent im Jahr 2024 steigen.
„Die Tesla-Ansiedlung ist gut für die deutsche Autoindustrie und gut für Deutschland“, sagt Experte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research in Duisburg. „Auch unsere ZulieferIndustrie wird schneller auf Elektroantriebe umstellen, wovon unsere Autobauer ebenfalls profitieren. Wir gewinnen dank Tesla an Geschwindigkeit.“Dudenhöffer unterstreicht, dass Elon Musk auch in die Batterieherstellung investiert. Das helfe der gesamten Industrie. „Tesla weckt die deutschen Autobauer aus dem dieselbetriebenen Dornröschenschlaf“, betont der Experte. Bis 2023, so sagt er, werden 60 Prozent der produzierten Fahrzeuge rein elektrisch betrieben werden.
Vor dem Tesla-Fabrikgelände herrscht Hochbetrieb. Lastwagen nach Lastwagen fährt auf die Baustelle. Von den 300 Hektar Grund ist etwa ein Drittel bebaut. Fan Albrecht Köhler kennt die Vorbehalte einiger Anwohner und Umweltschützer. Er macht die DDR-Vergangenheit für den Abwehrreflex einiger älterer Bewohner der Grünheide dafür verantwortlich.
Das Schweigen des Konzernchefs, das Bauen mit nur provisorischen Bewilligungen, das Tempo, wie die Fabrik trotz Vorbehalten der Menschen hochgezogen wird, sei für viele eben auch „ein Symbol für den amerikanischen Turbokapitalismus“. Vor dem wurden sie viele Jahre lang vom SEDRegime gewarnt. Jetzt haben sie ihn vor der eigenen Haustüre.