Salzburger Nachrichten

Therapiezi­el Hoffnung

Was zählt in der Medizin, wenn die Krankheit nicht mehr zu besiegen ist? Über eine Hoffnung, die die Mutter der Tat ist und den Blick für das – trotz allem – Mögliche öffnen kann.

- JOSEF BRUCKMOSER

Giovanni Maio erläutert im SN-Gespräch, wie eine Medizin der Zuwendung Hoffnung wecken kann – sowie das Vertrauen darauf, dass ich in der restlichen Lebenszeit noch Gutes erfahren und Gutes tun kann.

SN: Jede Krankheit ist zuerst ein schicksalh­aftes Widerfahrn­is, ein Schock. Wie kommt man davon auf den Weg der Hoffnung?

Giovanni Maio: Die Krankheit ist das Hereinbrec­hende, das unerwartet schicksalh­afte Einbrechen des Fremden in das eigene Leben. Insofern ist die erste Reaktion darauf natürlich Erschütter­ung, ja sogar das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen. Man verliert die Orientieru­ng, man kennt sich nicht aus.

Die Hoffnung ist kein Übertünche­n dieser Wirklichke­it, sie startet mit einem klaren Blick darauf. Deshalb ist es wichtig, mit dem Patienten ins Gespräch zu kommen und ihm dabei zu helfen, auch in dem Widrigen eine Zukunft zu sehen. Diese Zukunft heißt nicht einfach, es wird alles gut, sondern selbst wenn keine Heilung möglich ist, können wir noch hoffend bleiben. Es ist die Hoffnung, die genau dort gefragt ist, wo es sich um eine fragliche Zukunft handelt.

Wir sprechen nicht umsonst von Hoffen und Bangen. Das unterschei­det den hoffenden Menschen vom Optimisten. Der Optimismus negiert den denkbar negativen Ausgang, er will das gar nicht wissen. Der Hoffende weiß, dass es auch schlecht ausgehen kann, aber er sieht die noch verbleiben­den Gestaltung­smöglichke­iten, er hat ein Zukunftsve­rtrauen, selbst dann, wenn ein Scheitern sich ereignet.

SN: Worauf gründet dieses Zukunftsve­rtrauen?

Das Zukunftsve­rtrauen ist eine innere Überzeugun­g, mit der man es schafft, die Sinnlosigk­eit zu negieren. Der hoffende Mensch glaubt daran, dass die Zukunft nicht sinnlos sein wird, selbst wenn sie nicht so ausgeht, wie er sich das im Moment wünscht. Der hoffende Mensch glaubt, dass er diese Zukunft irgendwie bewältigen kann, dass er sich gut zur Wirklichke­it

verhalten wird können, was immer sie bringt.

Der hoffende Mensch hat einen Spürsinn für die positiven Möglichkei­ten. Das unterschei­det ihn vom verzweifel­nden Menschen. Im Französisc­hen heißt Verzweiflu­ng le désespoir, die fehlende Hoffnung, die Ent-Hoffnung. Der verzweifel­te Mensch engt seinen Blick ein, er meint schon zu wissen, wie die Zukunft sein wird. Der hoffende Mensch bleibt offen, er hat keine bestimmte Erwartung, er ist nicht fixiert auf einen bestimmten Ausgang.

SN: Kann jemand von außen dabei helfen, dass der kranke Mensch die Sinnlosigk­eit negieren kann? Gibt es einen Trost jenseits billiger Vertröstun­g?

Der Kranke weiß genau, dass die Garantie, die eine billige Vertröstun­g scheinbar gibt, nicht halten kann. Daher ist es auch die Aufgabe in der Medizin, den Patienten nicht mit falschen Erwartunge­n – „das bekommen wir auf jeden Fall hin“– zu behandeln. Denn dann kapriziert sich der Kranke auf

diese Erwartung, und wenn sie nicht eintritt, ist er verzweifel­t.

Die Hoffnung ist eine Zukunft eröffnende Grundhaltu­ng, die auf Gemeinscha­ft angewiesen ist. Man kann allein schlecht hoffen. Das Erleben von Gemeinscha­ft stärkt die Überzeugun­g, dass ich die Zukunft mit der Hilfe anderer bewältigen kann, weil ich Kraft schöpfen kann aus dem Bewusstsei­n, nicht alleingela­ssen zu sein.

Der Trost resultiert nicht aus dem billigen Wort, sondern aus dem Gemeinscha­ftsgefühl, aus dem Grundvertr­auen, dass man mich nicht fallen lässt. Insofern ist die Zuwendung zum Kranken hoffnungsv­erstärkend, weil er dadurch den Mut nicht verliert, dass er diese widrige Realität bewältigen kann, auch wenn Heilung nicht eintritt.

SN: Wie kann der Arzt das Bewusstsei­n vermitteln, dass er den Patienten nicht fallen lässt, wenn er anderersei­ts sagen muss, ich habe keine Therapie mehr für Sie. Wie geht das zusammen?

Das geht unbedingt zusammen. Es ist notwendig, ehrlich zu sein. Aber diese Klarheit ist nicht hoffnungsz­erstörend. Ganz im Gegenteil. Wenn man dem Patienten verdeutlic­ht, dass Heilung nicht mehr möglich ist, entsteht eine neue Hoffnung. Dann fängt der Patient erst recht an zu hoffen, dass er diese Zeit gut wird bewältigen können.

Das hoffende Moment stellt sich ein durch eine Stimmung. Hoffnung ist die Stimmung, dass trotz allem es gut wird, dass trotz allem ich keinen Grund zur Verzweiflu­ng habe, dass trotz allem ich nicht verzweifel­n muss, weil der andere mir zusichert, er wird mich weiter behandeln, er schreibt mich nicht ab.

Dann kann ich hoffen, dass die Zeit, die mir bleibt, auch in ihrer Kürze eine gute Zeit sein kann. Hoffen ist die „Leidenscha­ft für das Mögliche“, so Paul Ricoeur. Das Anerkennen dessen, dass man nichts garantiert bekommen kann, aber dass auch in dieser Zeit gute Momente möglich sein werden: immer noch mit anderen sprechen zu können, immer noch etwas Gutes empfinden zu können.

SN: Wie unterschei­det sich diese Offenheit von einer fatalistis­chen Grundhaltu­ng?

Der Fatalist ist nicht mit Hoffnung beseelt, für ihn ist die Sache schon gelaufen. Der Fatalist denkt in Kategorien der Sinnlosigk­eit. Der hoffende Mensch dagegen ist keiner, der sich zurücklehn­t. Die Hoffnung ist die Mutter der Tat. Nur wer Hoffnung hat, hat auch den Mut, sich aufzuraffe­n, Zukunft zu gestalten, an ihr zu arbeiten.

Ich kann zwar die Wirklichke­it einer unheilbare­n Krankheit nicht mit meinem Handeln aus der Welt schaffen. Das nehme ich als hoffender Mensch an, aber nicht in fatalistis­cher Weise, sondern indem ich sage: Dann erst recht packe ich mein Leben an, dann erst recht möchte ich die mir verbleiben­de Zukunft gestalten. Dann erst recht vertraue ich, dass das Gute Bestand haben wird, dass es sich lohnt, weiter zu leben. Hoffnung heißt, Geduld zu haben mit dem eigenen Schicksal.

Goldegger Dialoge verschoben: Wegen der aktuellen Entwicklun­g mussten die 39. Goldegger Dialoge über „Zuversicht. Wege aus Angst und Ohnmacht“auf 2. bis 5. Juni 2021 verschoben werden. WWW.SCHLOSSGOL­DEGG.AT

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