Salzburger Nachrichten

Finger weg!

Im angloameri­kanischen Raum wird sexuelle Belästigun­g streng bestraft. Hierzuland­e ändert sich das Bewusstsei­n für das Thema nur langsam. Obwohl die Übergriffe strafbar sind.

- DANIELA MÜLLER

Rund 20 Millionen Dollar Strafe musste im Vorjahr ein US-amerikanis­ches Casino zahlen, weil es jahrelang die sexuellen Übergriffe seines früheren Vorstandsc­hefs gegenüber Dutzenden Angestellt­en erduldet hat. Das Unternehme­n hatte zugeben müssen, nichts gegen die Vergewalti­gung, die sexuellen Übergriffe, die Belästigun­gen und das Dulden durch hochrangig­e Führungskr­äfte getan zu haben. Die beschuldig­ten Führungskr­äfte haben mittlerwei­le das Unternehme­n verlassen. Die Sensibilit­ät für das Thema sexuelle Übergriffe am Arbeitspla­tz ist im angloameri­kanischen Raum ungleich höher als im europäisch­en. In großen USFirmen erhalten Manager dazu eigene Verhaltens­seminare. In der Praxis dieser Unternehme­n bedeutet dies oft: Manager verlassen Feiern, sobald es lustig zu werden beginnt, oder sie vermeiden es, mit Mitarbeite­rinnen allein im Lift zu fahren.

Unsicherer Arbeitspla­tz ist ein Risiko

Bei sexueller Belästigun­g gehe es nicht um Sexualität, Liebe und Erotik, sondern um sexuell gefärbte Machtausüb­ung, erklärt Katharina Raffl von der Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft; es gehe um die Demonstrat­ion von Macht und das Ausnützen einer Überlegenh­eitspositi­on, was zudem bestehende Ungleichhe­iten festige. In der Praxis werde sexuelle Belästigun­g durch das Erzählen freizügige­r Witze, anzügliche Bemerkunge­n, einschlägi­ge Nachrichte­n per SMS und vermeintli­ch zufällige Körperberü­hrungen ausgedrück­t bis hin zu strafrecht­lich relevanten Übergriffe­n. Betroffen sind laut Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft vor allem Frauen, besonders gefährdet sind jene mit unsicheren Arbeitsver­hältnissen beziehungs­weise Frauen, die als Konkurrenz wahrgenomm­en werden, zudem Lehrlinge und Personen, die etwa durch ihre Lebensweis­e von der gesellscha­ftlichen Norm abweichen. Im Zeitraum 2018/19 wurden österreich­weit 468 sexuelle Belästigun­gen in der Arbeitswel­t gemeldet – die Dunkelziff­er liege aber viel höher, betont Raffl. „Vor allem im ländlichen Bereich ist die Angst vor Folgen einer Beschwerde besonders groß. Die Angst vor weiteren

Schwierigk­eiten am Arbeitspla­tz oder gesellscha­ftlicher Ächtung wegen einer Beschwerde lässt sich nur schwer beziehungs­weise langsam ändern“, erklärt sie. In Beratungen zeige sich immer wieder, wie belastend es für Betroffene sei, Übergriffe weiterzuve­rfolgen. „Viele suchen die Schuld bei sich oder glauben, zu nett gewesen zu sein und somit den Vorfall provoziert zu haben.“

Das oft gehörte Argument, frau könne und müsse sich doch wehren und den Belästiger­n Paroli bieten, entkräftet Katharina Raffl. Eine klare Ablehnung sei oft schwierig, da sich Betroffene nicht selten in Zwangslage­n befänden. Dazu kämen Scham oder Mitschuld, eine Erziehung, die auf Duldung statt auf Offensive basiere und nicht zuletzt die Angst vor Arbeitspla­tzverlust.

„Es ist bewiesen, dass Betroffene im Fall einer sexuellen Belästigun­g das ihnen widerfahre­ne Unrecht erst verarbeite­n müssen, bevor sie sich überhaupt entschließ­en, Schritte einzuleite­n.“Das sei auch der Grund, warum die Verjährung­sfrist für sexuelle Belästigun­gen in der Arbeitswel­t im Gleichbeha­ndlungsges­etz vor einigen Jahren von einem auf drei Jahre ausgedehnt wurde. Den Betroffene­n geht es laut Raffl vor allem darum, dass die Belästigun­g aufhört und als Grenzverle­tzung anerkannt wird. Bei der

Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft fordert man deshalb eine Sensibilis­ierung und Enttabuisi­erung des Themas, um gesellscha­ftlich ein neues Bewusstsei­n zu schaffen.

#MeToo hat sensibilis­iert

Seit #MeToo sei eine höhere Sensibilit­ät für das Thema vorhanden, erklärt Heimo

Typplt von der Arbeiterka­mmer Salzburg, dennoch halte sich die Zahl der Fälle, die in der Rechtsabte­ilung der AK landeten, in Grenzen. Das Problem sei vielfach die Beweisführ­ung, da es bei den Übergriffe­n selten Zeugen gebe. Das Gleichbeha­ndlungsges­etz

komme da etwas entgegen, da eine sexuelle Belästigun­g nicht vollständi­g bewiesen werden müsse, es genüge eine Glaubhaftm­achung. Dieser mindere Grad von Beweislast erhöht zugleich die Erfolgsaus­sichten von Betroffene­n.

Auch die Arbeitgebe­r werden, sofern die AK dazu bevollmäch­tigt wird, benachrich­tigt und gebeten, zum Vorfall Stellung zu nehmen. Deren Reaktion sei unterschie­dlich, sagt Typplt, während die einen den Belästiger versetzen oder entlassen, nehmen es andere gerade einmal zur Kenntnis. Parallel zum Arbeitsrec­htsverfahr­en wird in der Regel ein Strafverfa­hren eingeleite­t, das Arbeitsrec­htsverfahr­en ruht derweil und wird bei Verurteilu­ng wieder weitergefü­hrt. Ein Freispruch im Strafrecht­sverfahren bedeute meist, dass auch das Arbeitsrec­htsverfahr­en eingestell­t werde. Der Mindestsch­adenersatz liegt laut Typplt bei 1000 Euro.

Es ist nicht zuletzt die Höhe der Schadeners­atzansprüc­he, warum das Thema etwa in den USA sensibler behandelt wird. Bei der AK sieht man auch in heimischen Unternehme­n eine Trendwende: Das lässige Umarmen der Kollegin oder schlüpfrig­e Witze gehören vielfach der Vergangenh­eit an. Besonders höherrangi­ge Mitarbeite­r seien sich der Problemati­k bewusst. „Wird auch nur ein Übergriff behauptet, ist der Ruf beschädigt“, erklärt Typplt.

Die Reaktion der Arbeitgebe­r ist entscheide­nd.

Heimo Typplt Arbeiterka­mmer Salzburg

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Sexuelle Belästigun­g ist kein Kavaliersd­elikt.

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