Salzburger Nachrichten

Distant Socialisin­g funktionie­rt nur recht und schlecht

Sehnsucht nach dem Büro: Wer hätte das gedacht? Das Arbeiten im Homeoffice hat sich bewährt. Aber es zeigt sich auch, was fehlt.

- Richard Wiens WWW.SN.AT/WIENS

Die heillos überfüllte U-Bahn, dazu Regenwette­r, die aufreibend­e Suche nach einem Parkplatz, der Schreibtis­ch, auf dem sich die Papiere türmen, und dann die Kolleginne­n und Kollegen, die „wirklich nur ganz kurz“etwas von einem brauchen. Ein typischer Arbeitsall­tag im Büro – bis Corona kam.

Da wurden viele Arbeitnehm­er in Büroberufe­n mit einem Schlag aus dem täglichen Trott gerissen und ins Homeoffice beordert. Prima, dachten sich viele, endlich in Ruhe arbeiten können, noch dazu zu Hause. Besser geht es nicht.

Das dachten sich offenbar auch viele Unternehme­n. Beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter stellte man Mitarbeite­rn schon im Frühjahr frei, in Zukunft immer von zu Hause aus zu arbeiten. Und der Onlinehänd­ler Amazon hat seinen Mitarbeite­rn erst dieser Tage angeboten, bis Mitte nächsten Jahres im Homeoffice zu bleiben. So weit gehen nicht alle Unternehme­n, aber das Gebot, die sozialen Kontakte stark einzuschrä­nken, macht aus der Not eine Tugend.

Seit Ausbruch der Coronakris­e und jetzt wieder wird ja von allen gefordert, Abstand zu halten, um die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n. Social Distancing lautet die Devise. Das ist mit etwas gutem Willen und Vernunft leicht zu machen. Das Distant Socialisin­g will hingegen nicht so recht funktionie­ren – Telefon und Videokonfe­renzen sind für das persönlich­e Gespräch kein tauglicher Ersatz.

Das zeigen erste Erfahrungs­berichte von Betroffene­n. Je länger die Menschen von zu Hause aus arbeiten, desto mehr erkennen sie, dass ihnen vieles fehlt, was sie im Büroalltag gar nicht mehr bewusst wahrgenomm­en haben. Ja, sie vermissen sogar das, was ihnen hin und wieder auf die Nerven ging.

Es sind die spontanen Begegnunge­n auf dem Gang, in der Kaffeeküch­e, selbst in den Waschräume­n, die nicht stattfinde­n, wenn man im Homeoffice ist. Das häufig belanglose Tratschen ist nicht nur für die seelische Hygiene des Einzelnen wichtig, es ist auch aus Sicht des Unternehme­ns nicht zu unterschät­zen. Oft kommen Mitarbeite­rn gerade in diesen vermeintli­ch unprodukti­ven Arbeitspau­sen die besten Ideen. Die Coronakris­e war für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er ein Crashkurs, wie sich Arbeit anders organisier­en lässt. Vorurteile, Mitarbeite­r würden nur mehr faulenzen, wurden ebenso als falsch entlarvt wie sich das idealisier­te Bild vom gemütliche­n Homeoffice in Luft auflöste.

Die Lösung liegt daher künftig nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Damit beide Seiten möglichst stark vom Homeoffice profitiere­n, braucht es aber klare Regeln. Auf die sollten sich Politik und Sozialpart­ner rasch einigen, nicht erst im März 2021.

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