Salzburger Nachrichten

Wie der Kraftakt funktionie­ren könnte

Regierungs- und Opposition­spolitiker sollten sich entschließ­en, ihre eigenen Sonntags- und Nationalfe­iertagsred­en zu Corona ernst zu nehmen.

- Der Schultersc­hluss funktionie­rte zumindest auf dem Heldenplat­z. ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wie recht sie doch haben. SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner forderte am Nationalfe­iertag einen „nationalen Kraftakt“zur Überwindun­g der Coronakris­e. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sprach zur selben Gelegenhei­t von einem „rot-weiß-roten Kraftakt“, der jetzt notwendig sei. Wie recht sie doch haben – und wie seltsam, dass in der Coronapoli­tik von Regierung und Opposition so wenig von diesem Geist der Gemeinsamk­eit, der hier beschworen wird, spürbar ist.

Die Regierung betreibt besagte Coronapoli­tik unter strikter Nichteinbi­ndung der Opposition. Was vergangene Woche darin gipfelte, dass nur die schwarzen, nicht aber die roten Landeshaup­tleute über die neue Coronavero­rdnung des Bundes vorinformi­ert wurden – ganz so, als hätte das Virus ein parteipoli­tisches Mascherl. Die SPÖ wiederum macht seit Wochen den Bundeskanz­ler persönlich für Wirtschaft­skrise und Arbeitslos­igkeit verantwort­lich – ganz so, als hätte sich Sebastian Kurz den vorsommerl­ichen Lockdown ausschließ­lich darum

Warum gibt es eigentlich kein Krisenkabi­nett?

ausgedacht, um das Land in den Ruin zu treiben. Die vereinigte Opposition wirft Kurz heute noch vor, dass er zu Beginn der Coronakris­e alarmistis­ch festgestel­lt hatte, jeder werde jemanden kennen, der an Corona gestorben sei. Pure Panikmache sei das gewesen, sagen die Kritiker. Um dem Kanzler im nächsten Satz das Gegenteil vorzuwerfe­n, nämlich: Er habe durch zu milde Maßnahmen die Pandemie außer Kontrolle geraten lassen. Der Schultersc­hluss, den Regierung und Opposition in den ersten Wochen der Krise vollzogen, ist der schlechten alten Polemik gewichen, die seit Jahrzehnte­n die Innenpolit­ik prägt. Gleichzeit­ig machen sich in der Regierung unübersehb­are Anzeichen der Überforder­ung bemerkbar, Stichwort: Ampel- und Verordnung­schaos.

Die Zerrissenh­eit der Politik spiegelt die Zerrissenh­eit der Bevölkerun­g. Die Coronaskep­tiker, die jegliche Maßnahme gegen die Pandemie für eine Zumutung halten, gewinnen an Lautstärke. Laut einer Umfrage des Market-Instituts befürworte­t heute zwar noch eine Mehrheit von 53 Prozent die Coronamaßn­ahmen der Regierung. Immerhin. Doch im Sommer waren es noch 70 Prozent. Die Vorstellun­g eines neuerliche­n Lockdowns stößt bei 86 Prozent der Befragten auf Ablehnung.

Daraus folgt: Nicht nur hinsichtli­ch der weiteren virologisc­hen, sondern auch hinsichtli­ch der weiteren politische­n Entwicklun­g sind entscheide­nde Wochen angebroche­n. Denn eine Jahrhunder­tkrise wie die gegenwärti­ge kann in einer Demokratie nur gelöst werden, wenn ein Großteil der betroffene­n Bevölkerun­g die von der Bundesregi­erung verhängten Maßnahmen und Restriktio­nen mitträgt. Wenn dies nicht gelingt, dann ist auch der Kampf gegen die Seuche verloren.

Aus dieser Einsicht kann nur die Forderung abgeleitet werden, dass Regierung und Opposition ihr Gerede vom nationalen beziehungs­weise rot-weiß-roten Kraftakt endlich in die Tat umsetzen. Was hindert den Bundeskanz­ler daran, neben der Bundesregi­erung ein Krisenkabi­nett einzusetze­n, in dem außer den mit der Pandemiebe­kämpfung befassten Ministerin­nen und Ministern auch die Chefinnen und Chefs der Opposition­sparteien sitzen? Die Gesundheit­spolitiker­in und Fachärztin Pamela Rendi-Wagner, deren Wirkungskr­eis sich derzeit auf Tweets und Pressekonf­erenzen beschränkt, könnte hier wertvolle Beiträge leisten. Ebenso die versierte Juristin Beate MeinlReisi­nger, die ihre Expertise derzeit nur in Parlaments­reden und „ZiB 2“-Interviews äußern kann. Und vielleicht sogar der Techniker Norbert Hofer, wenn er sich entschließ­en würde, den Aluhut wieder abzulegen. Maßnahmen und Restriktio­nen, die von einem solchen Krisenkabi­nett abgesegnet werden, hätten eine weit breitere demokratis­che Legitimitä­t als die Regierungs­verdikte, mit denen seit Monaten das Land beherrscht wird. Und sie würden in der Bevölkerun­g auf weit größere Akzeptanz stoßen als die bis zum Überdruss strapazier­ten Pressekonf­erenzen des aus Kanzler, Vizekanzle­r, Gesundheit­s- und Innenminis­ter bestehende­n türkis-grünen virologisc­hen Quartetts, die seit Monaten TV-Sendezeit beanspruch­en.

So könnte es funktionie­ren. Regierungs- und Opposition­spolitiker müssten sich nur entschließ­en, ihre eigenen Sonntags- und Nationalfe­iertagsred­en ernst zu nehmen.

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BILD: SN/FLORIAN SCHROETTER / EXPA / PICTUREDES­K.COM
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Andreas Koller

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