Wie der Kraftakt funktionieren könnte
Regierungs- und Oppositionspolitiker sollten sich entschließen, ihre eigenen Sonntags- und Nationalfeiertagsreden zu Corona ernst zu nehmen.
Wie recht sie doch haben. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner forderte am Nationalfeiertag einen „nationalen Kraftakt“zur Überwindung der Coronakrise. Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach zur selben Gelegenheit von einem „rot-weiß-roten Kraftakt“, der jetzt notwendig sei. Wie recht sie doch haben – und wie seltsam, dass in der Coronapolitik von Regierung und Opposition so wenig von diesem Geist der Gemeinsamkeit, der hier beschworen wird, spürbar ist.
Die Regierung betreibt besagte Coronapolitik unter strikter Nichteinbindung der Opposition. Was vergangene Woche darin gipfelte, dass nur die schwarzen, nicht aber die roten Landeshauptleute über die neue Coronaverordnung des Bundes vorinformiert wurden – ganz so, als hätte das Virus ein parteipolitisches Mascherl. Die SPÖ wiederum macht seit Wochen den Bundeskanzler persönlich für Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit verantwortlich – ganz so, als hätte sich Sebastian Kurz den vorsommerlichen Lockdown ausschließlich darum
Warum gibt es eigentlich kein Krisenkabinett?
ausgedacht, um das Land in den Ruin zu treiben. Die vereinigte Opposition wirft Kurz heute noch vor, dass er zu Beginn der Coronakrise alarmistisch festgestellt hatte, jeder werde jemanden kennen, der an Corona gestorben sei. Pure Panikmache sei das gewesen, sagen die Kritiker. Um dem Kanzler im nächsten Satz das Gegenteil vorzuwerfen, nämlich: Er habe durch zu milde Maßnahmen die Pandemie außer Kontrolle geraten lassen. Der Schulterschluss, den Regierung und Opposition in den ersten Wochen der Krise vollzogen, ist der schlechten alten Polemik gewichen, die seit Jahrzehnten die Innenpolitik prägt. Gleichzeitig machen sich in der Regierung unübersehbare Anzeichen der Überforderung bemerkbar, Stichwort: Ampel- und Verordnungschaos.
Die Zerrissenheit der Politik spiegelt die Zerrissenheit der Bevölkerung. Die Coronaskeptiker, die jegliche Maßnahme gegen die Pandemie für eine Zumutung halten, gewinnen an Lautstärke. Laut einer Umfrage des Market-Instituts befürwortet heute zwar noch eine Mehrheit von 53 Prozent die Coronamaßnahmen der Regierung. Immerhin. Doch im Sommer waren es noch 70 Prozent. Die Vorstellung eines neuerlichen Lockdowns stößt bei 86 Prozent der Befragten auf Ablehnung.
Daraus folgt: Nicht nur hinsichtlich der weiteren virologischen, sondern auch hinsichtlich der weiteren politischen Entwicklung sind entscheidende Wochen angebrochen. Denn eine Jahrhundertkrise wie die gegenwärtige kann in einer Demokratie nur gelöst werden, wenn ein Großteil der betroffenen Bevölkerung die von der Bundesregierung verhängten Maßnahmen und Restriktionen mitträgt. Wenn dies nicht gelingt, dann ist auch der Kampf gegen die Seuche verloren.
Aus dieser Einsicht kann nur die Forderung abgeleitet werden, dass Regierung und Opposition ihr Gerede vom nationalen beziehungsweise rot-weiß-roten Kraftakt endlich in die Tat umsetzen. Was hindert den Bundeskanzler daran, neben der Bundesregierung ein Krisenkabinett einzusetzen, in dem außer den mit der Pandemiebekämpfung befassten Ministerinnen und Ministern auch die Chefinnen und Chefs der Oppositionsparteien sitzen? Die Gesundheitspolitikerin und Fachärztin Pamela Rendi-Wagner, deren Wirkungskreis sich derzeit auf Tweets und Pressekonferenzen beschränkt, könnte hier wertvolle Beiträge leisten. Ebenso die versierte Juristin Beate MeinlReisinger, die ihre Expertise derzeit nur in Parlamentsreden und „ZiB 2“-Interviews äußern kann. Und vielleicht sogar der Techniker Norbert Hofer, wenn er sich entschließen würde, den Aluhut wieder abzulegen. Maßnahmen und Restriktionen, die von einem solchen Krisenkabinett abgesegnet werden, hätten eine weit breitere demokratische Legitimität als die Regierungsverdikte, mit denen seit Monaten das Land beherrscht wird. Und sie würden in der Bevölkerung auf weit größere Akzeptanz stoßen als die bis zum Überdruss strapazierten Pressekonferenzen des aus Kanzler, Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister bestehenden türkis-grünen virologischen Quartetts, die seit Monaten TV-Sendezeit beanspruchen.
So könnte es funktionieren. Regierungs- und Oppositionspolitiker müssten sich nur entschließen, ihre eigenen Sonntags- und Nationalfeiertagsreden ernst zu nehmen.