„Wir gehen nicht zur Arbeit“
Seit Mittwoch streiken viele Menschen in Polen gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts. Die nationalkonservative PiS-Regierung hat die Stimmung im Land unterschätzt.
Die Oberbürgermeisterin von Polens drittgrößter Stadt Łódź ging mit eigenem Beispiel voran. „Bin außerhalb des Büros“, schrieb Hanna Zdanowska auf Twitter und postete ein Foto ihres leeren Schreibtischsessels. Viele Frauen, aber auch Männer in ganz Polen taten es ihr am Mittwoch gleich. Aus Protest gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts blieben sie der Arbeit fern – häufig mit Billigung ihrer Vorgesetzten.
Zu der Aktion mit dem Motto „Wir gehen nicht zur Arbeit“hatte die Organisation Allpolnischer Frauenstreik aufgerufen. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genau mitmachten, lässt sich zwar nicht überprüfen. Nur so viel steht fest: Viele sind wütend. Seit Tagen gehen sie auf die Straße.
Auslöser für die Proteste ist ein umstrittenes Urteil des Verfassungsgerichts. In der vergangenen Woche entschieden die Richter, dass Frauen auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn ihr ungeborenes Kind schwere Fehlbildungen hat. Ein entsprechender Passus im bisherigen Abtreibungsrecht sei verfassungswidrig. Dies kommt de facto einem Abtreibungsverbot gleich. Damit sind Abtreibungen in Polen künftig nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist.
Die Entscheidung ist nicht so sehr eine verfassungsrechtliche wie eine politische. Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS hat das Verfassungsgericht längst mit den eigenen Leuten besetzt. PiS-Politiker dringen seit Jahren darauf, Abtreibungen zu verbieten. Kommentatoren in polnischen Medien werfen der Parteiführung vor, sich hinter der Entscheidung der Verfassungsrichter zu verstecken.
Umso mehr trifft die Wut der Demonstranten die PiS – und die katholische Kirche, die in Polen durch Missbrauchskandale an Autorität eingebüßt hat. Landesweit werden Kirchen beschmiert, Gottesdienste gestört und Geistliche beschimpft. Von den Protesten in die Ecke getrieben, bemüht PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczyński alte Feindbilder und Verschwörungstheorien. Der Vizeregierungschef rief seine Anhänger auf, „um jeden Preis“die Kirchen zu schützen. Offenbar hatten die PiS und ihr mächtiger Führer die Stimmung im Land völlig falsch eingeschätzt. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar zeigt: 62 Prozent der Polen finden, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen legal sein sollte; 22 Prozent sind dafür, einen Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch bis zur zwölften Woche zu ermöglichen. Nur elf Prozent der Befragten befürworten ein Abtreibungsverbot.