Salzburger Nachrichten

EU-Mindestloh­n: Zu viel versproche­n

Die Kommission propagiert das Sozialpart­nermodell. Eine einheitlic­he Untergrenz­e kann sie aber nicht vorgeben.

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Ein europäisch­er Mindestloh­n war eines der zentralen Verspreche­n Ursula von der Leyens. Es sollte ihr im Sommer 2019 vor allem die Stimmen der europäisch­en Sozialdemo­kraten für die Wahl zur Kommission­spräsident­in im EU-Parlament sichern. Es stieß aber bei ihrer eigenen Partei, der CDU, auf große Skepsis. „Es ist Zeit, dass Arbeit sich lohnt.“Mit diesen Worten bekräftigt­e von der Leyen im September dieses Ziel abermals.

Derzeit liegen die Mindestlöh­ne in der EU weit auseinande­r – zwischen 312 Euro monatlich in Bulgarien und 2142 Euro in Luxemburg. Am Mittwoch nun präsentier­te Sozialkomm­issar Nicolas Schmit den Vorschlag zu einer EU-Richtlinie, mit der das Verspreche­n der

Chefin eingelöst werden soll. Und das ist schwierige­r als gemeinhin angenommen. Einen einheitlic­hen europäisch­en Mindestloh­n wird und kann es nämlich nicht geben. Erstens sind die arbeits- und sozialrech­tlichen Systeme in den 27 Mitgliedss­taaten unterschie­dlich. Zweitens sind Lohnniveau und Kaufkraft selbst innerhalb des Euroraums kaum vergleichb­ar. Und drittens steht in Artikel 153 des EUVertrags explizit, dass das Festsetzen von Arbeitsent­gelten Sache der Nationalst­aaten ist.

Also will Kommissar Schmit die EU-Staaten zu gemeinsame­n Standards bei der Festlegung der Mindestlöh­ne verpflicht­en. Dazu gehört, dass die niedrigste­n Einkommen regelmäßig überprüft und angehoben werden müssen, dass die Sozialpart­ner eingebunde­n werden und die Mitgliedss­taaten der Kommission Bericht erstatten müssen.

Laut Schmit leben EU-weit rund zehn Prozent der Arbeitnehm­er in Armut: „Das müssen wir ändern“, meinte der Sozialdemo­krat, der in seiner Heimat Luxemburg von 2013 bis 2018 Arbeits- und Sozialmini­ster gewesen war.

Mit diesem Vorschlag, obwohl er ein erster richtiger Schritt sei, werde das nicht gelingen. Da sind sich die Sozialdemo­kraten und Grünen im EU-Parlament einig. „Ohne verbindlic­he Vorgabe werden wir keine höheren Löhne in der EU schaffen“, meinte die österreich­ische EU-Abgeordnet­e Evelyn Regner (SPÖ). Ihre grüne Kollegin Monika Vana forderte einen „Rahmen für ein europäisch­es Mindestein­kommen“.

Bemerkensw­erterweise ermuntert die EU-Kommission alle EU-Staaten, stärker auf sozialpart­nerschaftl­iche Tarifverha­ndlungen zu setzen. In Ländern mit einer hohen kollektivv­ertraglich­en Abdeckung seien der Anteil der Geringverd­ienenden sowie die Lohnunglei­chheit tendenziel­l niedriger und die Mindestlöh­ne höher.

Nur sechs der 27 EU-Staaten bestimmen das Lohnniveau über sozialpart­nerschaftl­iche Verhandlun­gen. Neben Österreich sind das Dänemark, Schweden, Italien, Finnland und Zypern. Wobei Österreich als Paradebeis­piel dient. 98 Prozent aller Arbeitnehm­er sind durch Kollektivv­erträge abgesicher­t – ein EU-weiter Spitzenwer­t. Nur einzelne Tätigkeite­n, etwa für bestimmte Vereine oder Teile der Freizeitwi­rtschaft, fallen nicht in das Tarifsyste­m. In Österreich haben sich die Sozialpart­ner zudem darauf geeinigt, dass bis Ende dieses Jahres in allen Branchen mindestens 1500 Euro brutto (14 Mal im Jahr) bezahlt werden müssen.

Aus der größten Fraktion im EU-Parlament, der Europäisch­en Volksparte­i, kam Lob für die Kommission: Er sei froh, dass Schmit die „rot-grüne Idee eines einheitlic­hen Mindestloh­ns“nicht aufgegriff­en habe, sagte der deutsche CDU-Politiker Dennis Radtke. „Faire und gerechte Löhne werden nie vom Staat festgelegt, sondern von den Tarifvertr­agsparteie­n.“

„Zehn Prozent der Arbeitnehm­er leben unter der Armutsgren­ze.“

Nicolas Schmit, Sozialkomm­issar

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