Salzburger Nachrichten

Ischgl: Staat wirft Klägern Mitschuld vor

Bei den Klagen zum Corona-Ausbruch in Ischgl lehnt die Republik eine Haftung ab. Auf Kritik einer Tiroler Expertengr­uppe geht sie nicht ein.

-

WIEN. In mehreren Zivilverfa­hren in Wien werden die Vorgänge um die zahlreiche­n Coronainfe­ktionen in Ischgl detaillier­t aufgearbei­tet. Der Ausbruch der Covid-Erkrankung­en ab Anfang März hatte letztlich Mitte März zum vorzeitige­n Abbruch des Skibetrieb­s und der Wintersais­on in Österreich geführt, unmittelba­r danach folgte der Lockdown für das ganze Land.

Mitte September hatte der Verbrauche­rschutzver­ein, wie berichtet, vier Musterklag­en gegen die Republik Österreich eingebrach­t. Die Finanzprok­uratur stellte als Anwaltskan­zlei des Staates nun ihre Klagebeant­wortung zusammen. Der mehr als 30 Seiten umfassende Schriftsat­z, der den SN vorliegt, ist wenig überrasche­nd von einer umfassende­n Darstellun­g geprägt, dass die Behörden in allen Phasen der Entwicklun­g der Pandemie ihr Möglichste­s getan hätten, um die Ausbreitun­g des Virus hintanzuha­lten. So sei etwa die Sperre der Après-Ski-Lokale zum frühesten Zeitpunkt erfolgt, als dies nach dem Gesetz gerechtfer­tigt gewesen sei.

Zum Beweis dafür werden zahlreiche Beamte als Zeugen angeboten, allen voran der Bezirkshau­ptmann von Landeck, Markus Maas, aber auch der Ischgler Bürgermeis­ter Werner Kurz. Die behördlich­en Aktivitäte­n wurden genau analysiert, von Meldungen aus dem EUAlarmsys­tem bis hin zu Aktenverme­rken der Polizei in Ischgl.

Selbst wenn es da oder dort zu kleineren Fehlern gekommen sein sollte, begründe das keinesfall­s einen Amtshaftun­gsanspruch, argumentie­rt die Finanzprok­uratur. Denn es gelte auch nach der ständigen Rechtsprec­hung zu beurteilen, wie damals der tagesaktue­lle Informatio­nsstand der Behörden war.

Empört sind jedoch die Kläger, die vom Wiener Anwalt Andreas Klauser vertreten werden, darüber, dass den Betroffene­n auch ein Mitverschu­lden angelastet wird. Einerseits heißt es, aufgrund der allgemeine­n

„Zur Tiroler Kommission nichts gesagt.“

Andreas Klauser, Anwalt

Warnungen über die steigende Ansteckung­sgefahr hätten die Betroffene­n auch von Reisen nach Ischgl Abstand nehmen können. Anderersei­ts hätten die Kläger vor dem Saisonabbr­uch nicht aus Ischgl abreisen müssen, sondern sich dort auch in Quarantäne begeben können. Die Republik zieht überhaupt in Zweifel, dass sich die Kläger in Ischgl angesteckt haben: Das sei nicht bewiesen, es könne auch woanders erfolgt sein, denn es habe anderswo in Österreich sogar mehr Infektione­n gegeben.

Anwalt Klauser kritisiert außerdem, dass die Klagebeant­wortung mit keinem Wort auf den inzwischen vorliegend­en Bericht der Tiroler Expertenko­mmission eingeht. Wie berichtet, war darin auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wegen der durch ihn frühzeitig erfolgten Ankündigun­g der Quarantäne kritisiert worden.

Die Kläger, die in Ischgl auf Urlaub bzw. beruflich dort waren, fordern von der Republik mehr als 280.000 Euro Schmerzens­geld und Entschädig­ung für Folgeschäd­en.

 ?? BILD: SN/ROLAND MÜHLANGER / PICTUREDES­K.COM ?? Après-Ski in Ischgl trug zur Ausbreitun­g bei.
BILD: SN/ROLAND MÜHLANGER / PICTUREDES­K.COM Après-Ski in Ischgl trug zur Ausbreitun­g bei.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria