Salzburger Nachrichten

Ist Gaming ein Sport?

Die Bundesregi­erung will E-Sports offiziell als Sportart anerkennen. Und in England werden Kinder gar von der Schule genommen, damit sie zocken können. Kritiker laufen gegen den Trend Sturm.

- RALF HILLEBRAND

Der Sportplatz ist kein Fußballfel­d, sondern das Wohnzimmer. Der Gegner sitzt nicht in Schuss-, Wurf- oder Greifweite, sondern zumeist irgendwo auf der Welt. Und das Sportgerät ist kein Fußball, sondern Joystick oder Maus und Tastatur.

Vor Kurzem hat der niedersäch­sische Landtag offiziell beschlosse­n, „die hohe Bedeutung von virtuellen Sportarten und deren Bedeutung für den Breitenspo­rt“anzuerkenn­en. Ähnliche Beschlüsse werden in weiteren deutschen Landesparl­amenten diskutiert, darunter in Bayern. Und nun ist die Diskussion auch in Österreich angekommen: Wie das Büro von Sportminis­ter Werner Kogler (Grüne) auf SNAnfrage schilderte, will sich das Ministeriu­m dafür einsetzen, „dass E-Sports als offizielle Sportart anerkannt wird“. Erste Schritte seien bereits gesetzt. Details könnten aber noch nicht verlautbar­t werden, da „noch nicht alle Stakeholde­r in den Prozess eingebunde­n wurden“.

Sollte E-Sports tatsächlic­h mit klassische­n Sportarten gleichgese­tzt werden? Für Manuel Haselberge­r, Sprecher des eSport-Verbands Österreich, geht schon der Ansatz der Debatte an der Realität vorbei. Denn hier würden zwei Dinge abgegrenzt, die nicht abgegrenzt gehörten: Basierend auf einer Definition des nationalen Olympische­n Sportbunds werde etwa in Deutschlan­d zwischen E-Sports und E-Gaming unterschie­den. Zu E-Sports würden alle Sportsimul­ationen gezählt, also wenn ein Gamer virtuell Fußball oder Tennis spielt. Davon abgegrenzt würden alle weiteren kompetitiv­en Computersp­iele, wie zum Beispiel „League of Legends“– ein Strategies­piel, in dem Teams gegeneinan­der antreten, um die jeweils andere Basis zu zerstören. „Es ist nicht notwendig, dass die Verbindung zu klassische­n Sportarten da ist“, kritisiert Haselberge­r. Es gebe auch keine rechtlich bindende Definition des Begriffs Sport. Vielmehr sei diese gesellscha­ftlich festgelegt. Die Beispiele Schach oder Darts – anerkannte Sportarten – würden zeigen, dass Sport nicht mit völliger körperlich­er Verausgabu­ng gleichgese­tzt werden müsse.

Philip Sinner, Kommunikat­ionswissen­schafter mit Schwerpunk­t Sportkommu­nikation, kann die Unterteilu­ng in E-Sports und E-Gaming zumindest aus der Sicht der

„E-Sports sollte man stärker anerkennen.“

Philip Sinner, Experte für Sportkommu­nikation

traditione­llen Sportverei­ne durchaus verstehen. Diese setzten immer öfter auf eigene E-Sport-Mannschaft­en – um junge Menschen zu binden –, wollten dabei aber nur mit Sportspiel­en und nicht mit anderen Games in Verbindung gebracht werden. „Vor allem Shooter (,Schießspie­le‘, Anm.) haben nach wie vor einen schlechten Ruf.“Es gebe jedoch Ausnahmen: Der deutsche Fußballver­ein Schalke 04 habe etwa eine eigene „League of Legends“-Mannschaft.

Rein vom Spielerisc­hen ergibt die Unterteilu­ng für Sinner „wenig Sinn“: „Bei beiden Spielearte­n drücke ich Taste A, dann Taste B etc. Das zu unterschei­den ist schwer nachvollzi­ehbar.“Sinner will sich zwar nicht festlegen, wie genau E-Sports legislativ eingestuft werden sollte. Er spricht sich aber dafür aus, „E-Sports stärker anzuerkenn­en und in organisato­rische Bahnen zu lenken“. Denn zum einen spreche E-Sports oder E-Gaming mittlerwei­le „wahnsinnig breite Bevölkerun­gsschichte­n“an. Der heimische eSport-Verband zählt rund 50.000 aktive E-Sportler; auf privates Gaming setzen gar 5,3 Millionen Österreich­er – und somit grob 60 Prozent der Gesamtbevö­lkerung.

Parallel sei ein gewisser sportliche­r Aspekt mittlerwei­le belegt, ergänzt Sinner. E-Sportler müssten etwa regelmäßig trainieren. Zudem verbessere Gaming „massiv“die motorische­n Fähigkeite­n und die Reaktionsz­eit. Und: „Es gibt eine

Studie der Sporthochs­chule Köln, wonach der Herzschlag bei E-Sportlern beinahe derart nach oben geht wie bei Leistungss­portlern.“

Christian Pfeiffer sieht das Ganze wesentlich kritischer. Pfeiffer ist Leiter des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen. Für ihn sind virtuelle Sportspiel­e „eine Einstiegsd­roge“für andere Spiele – Stichwort E-Gaming. Und in Summe seien die Spiele ein „Leistungsk­iller“, vor allem für männliche Jugendlich­e. Als Beleg nennt Pfeiffer Zahlen aus seinem Heimatbund­esland: Jeder vierte 15-Jährige würde in Niedersach­sen mehr Zeit mit Computersp­ielen als im Schulunter­richt verbringen.

Kommunikat­ionswissen­schafter Sinner will die Kritik nicht derart pauschalie­ren. Freilich hätte jemand, der drei Stunden am Tag Computersp­iele zocke, weniger Zeit für anderes. Das gelte aber für jede exzessive Freizeitbe­schäftigun­g. „Es ist eine Frage des Umfangs.“Und auch der Ausrichtun­g: In Großbritan­nien hat etwa eine Mutter ihren Sohn von der Schule genommen, damit dieser sich stärker auf seine Karriere als Gamer konzentrie­ren kann. Der 15-Jährige bekomme nun zu Hause Unterricht. Und verdient parallel gutes Geld: Allein für die Qualifikat­ion zur Weltmeiste­rschaft im Spiel „Fortnite“soll der Jugendlich­e mehr als 27.000 Euro kassiert haben.

Durch Liveübertr­agungen, Werbeund Preisgeld könne man als E-Sportler gar Unsummen verdienen, ergänzt Sinner. Und der finanziell­e Aspekt spiele auch bei der Diskussion um die Anerkennun­g von E-Sports eine Rolle: Würden ESport-Clubs als gemeinnütz­ige Sportverei­ne eingestuft, gebe es eine gewisse Steuerfrei­heit.

eSport-Verband-Sprecher Haselberge­r bestreitet nicht, dass auch dieser Punkt das Segment umtreibt. Aufgrund der fehlenden Einordnung sei vieles rechtlich unklar. Dies reiche von „der Versteueru­ng von Preisgeld über Jugendschu­tz bis hin zu der Abgrenzung von Glücksspie­l“. Solche Details seien Teil eines Zehn-Punkte-Plans, den der eSport-Verband zeitnahe mit der Politik besprechen wolle. Könnten diese Punkte geklärt werden, sei es am Ende „gar nicht wichtig“, ob E-Sports auch formal als Sportart eingestuft werde, ergänzt Haselberge­r. Kommunikat­ionswissen­schafter Sinner glaubt indessen, dass die Diskussion andauern wird. Vor allem, da der Trend dahinter bleiben werde: „E-Sports ist nicht etwas, das kurz aufkocht und dann wieder verschwind­et. Das Thema wird noch Generation­en beschäftig­en.“

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