Ist Gaming ein Sport?
Die Bundesregierung will E-Sports offiziell als Sportart anerkennen. Und in England werden Kinder gar von der Schule genommen, damit sie zocken können. Kritiker laufen gegen den Trend Sturm.
Der Sportplatz ist kein Fußballfeld, sondern das Wohnzimmer. Der Gegner sitzt nicht in Schuss-, Wurf- oder Greifweite, sondern zumeist irgendwo auf der Welt. Und das Sportgerät ist kein Fußball, sondern Joystick oder Maus und Tastatur.
Vor Kurzem hat der niedersächsische Landtag offiziell beschlossen, „die hohe Bedeutung von virtuellen Sportarten und deren Bedeutung für den Breitensport“anzuerkennen. Ähnliche Beschlüsse werden in weiteren deutschen Landesparlamenten diskutiert, darunter in Bayern. Und nun ist die Diskussion auch in Österreich angekommen: Wie das Büro von Sportminister Werner Kogler (Grüne) auf SNAnfrage schilderte, will sich das Ministerium dafür einsetzen, „dass E-Sports als offizielle Sportart anerkannt wird“. Erste Schritte seien bereits gesetzt. Details könnten aber noch nicht verlautbart werden, da „noch nicht alle Stakeholder in den Prozess eingebunden wurden“.
Sollte E-Sports tatsächlich mit klassischen Sportarten gleichgesetzt werden? Für Manuel Haselberger, Sprecher des eSport-Verbands Österreich, geht schon der Ansatz der Debatte an der Realität vorbei. Denn hier würden zwei Dinge abgegrenzt, die nicht abgegrenzt gehörten: Basierend auf einer Definition des nationalen Olympischen Sportbunds werde etwa in Deutschland zwischen E-Sports und E-Gaming unterschieden. Zu E-Sports würden alle Sportsimulationen gezählt, also wenn ein Gamer virtuell Fußball oder Tennis spielt. Davon abgegrenzt würden alle weiteren kompetitiven Computerspiele, wie zum Beispiel „League of Legends“– ein Strategiespiel, in dem Teams gegeneinander antreten, um die jeweils andere Basis zu zerstören. „Es ist nicht notwendig, dass die Verbindung zu klassischen Sportarten da ist“, kritisiert Haselberger. Es gebe auch keine rechtlich bindende Definition des Begriffs Sport. Vielmehr sei diese gesellschaftlich festgelegt. Die Beispiele Schach oder Darts – anerkannte Sportarten – würden zeigen, dass Sport nicht mit völliger körperlicher Verausgabung gleichgesetzt werden müsse.
Philip Sinner, Kommunikationswissenschafter mit Schwerpunkt Sportkommunikation, kann die Unterteilung in E-Sports und E-Gaming zumindest aus der Sicht der
„E-Sports sollte man stärker anerkennen.“
Philip Sinner, Experte für Sportkommunikation
traditionellen Sportvereine durchaus verstehen. Diese setzten immer öfter auf eigene E-Sport-Mannschaften – um junge Menschen zu binden –, wollten dabei aber nur mit Sportspielen und nicht mit anderen Games in Verbindung gebracht werden. „Vor allem Shooter (,Schießspiele‘, Anm.) haben nach wie vor einen schlechten Ruf.“Es gebe jedoch Ausnahmen: Der deutsche Fußballverein Schalke 04 habe etwa eine eigene „League of Legends“-Mannschaft.
Rein vom Spielerischen ergibt die Unterteilung für Sinner „wenig Sinn“: „Bei beiden Spielearten drücke ich Taste A, dann Taste B etc. Das zu unterscheiden ist schwer nachvollziehbar.“Sinner will sich zwar nicht festlegen, wie genau E-Sports legislativ eingestuft werden sollte. Er spricht sich aber dafür aus, „E-Sports stärker anzuerkennen und in organisatorische Bahnen zu lenken“. Denn zum einen spreche E-Sports oder E-Gaming mittlerweile „wahnsinnig breite Bevölkerungsschichten“an. Der heimische eSport-Verband zählt rund 50.000 aktive E-Sportler; auf privates Gaming setzen gar 5,3 Millionen Österreicher – und somit grob 60 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Parallel sei ein gewisser sportlicher Aspekt mittlerweile belegt, ergänzt Sinner. E-Sportler müssten etwa regelmäßig trainieren. Zudem verbessere Gaming „massiv“die motorischen Fähigkeiten und die Reaktionszeit. Und: „Es gibt eine
Studie der Sporthochschule Köln, wonach der Herzschlag bei E-Sportlern beinahe derart nach oben geht wie bei Leistungssportlern.“
Christian Pfeiffer sieht das Ganze wesentlich kritischer. Pfeiffer ist Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Für ihn sind virtuelle Sportspiele „eine Einstiegsdroge“für andere Spiele – Stichwort E-Gaming. Und in Summe seien die Spiele ein „Leistungskiller“, vor allem für männliche Jugendliche. Als Beleg nennt Pfeiffer Zahlen aus seinem Heimatbundesland: Jeder vierte 15-Jährige würde in Niedersachsen mehr Zeit mit Computerspielen als im Schulunterricht verbringen.
Kommunikationswissenschafter Sinner will die Kritik nicht derart pauschalieren. Freilich hätte jemand, der drei Stunden am Tag Computerspiele zocke, weniger Zeit für anderes. Das gelte aber für jede exzessive Freizeitbeschäftigung. „Es ist eine Frage des Umfangs.“Und auch der Ausrichtung: In Großbritannien hat etwa eine Mutter ihren Sohn von der Schule genommen, damit dieser sich stärker auf seine Karriere als Gamer konzentrieren kann. Der 15-Jährige bekomme nun zu Hause Unterricht. Und verdient parallel gutes Geld: Allein für die Qualifikation zur Weltmeisterschaft im Spiel „Fortnite“soll der Jugendliche mehr als 27.000 Euro kassiert haben.
Durch Liveübertragungen, Werbeund Preisgeld könne man als E-Sportler gar Unsummen verdienen, ergänzt Sinner. Und der finanzielle Aspekt spiele auch bei der Diskussion um die Anerkennung von E-Sports eine Rolle: Würden ESport-Clubs als gemeinnützige Sportvereine eingestuft, gebe es eine gewisse Steuerfreiheit.
eSport-Verband-Sprecher Haselberger bestreitet nicht, dass auch dieser Punkt das Segment umtreibt. Aufgrund der fehlenden Einordnung sei vieles rechtlich unklar. Dies reiche von „der Versteuerung von Preisgeld über Jugendschutz bis hin zu der Abgrenzung von Glücksspiel“. Solche Details seien Teil eines Zehn-Punkte-Plans, den der eSport-Verband zeitnahe mit der Politik besprechen wolle. Könnten diese Punkte geklärt werden, sei es am Ende „gar nicht wichtig“, ob E-Sports auch formal als Sportart eingestuft werde, ergänzt Haselberger. Kommunikationswissenschafter Sinner glaubt indessen, dass die Diskussion andauern wird. Vor allem, da der Trend dahinter bleiben werde: „E-Sports ist nicht etwas, das kurz aufkocht und dann wieder verschwindet. Das Thema wird noch Generationen beschäftigen.“