Trump hat kaum mehr Chancen
Seit der Wahl ist es in den USA überraschend ruhig geblieben. Nur einer hat genau das gemacht, was befürchtet wurde: der Präsident.
Die US-Wahl ist geschlagen, das Ergebnis wird immer deutlicher. Aller Voraussicht nach wird Donald Trump einer der wenigen Präsidenten der amerikanischen Geschichte sein, die nach der ersten Amtszeit abgewählt wurden.
Noch ist Geduld gefragt. „Wir sehen Demokratie in Action“, meinte ein CNN-Kommentator. Trump aber machte deutlich, dass er sich mit einer Niederlage keinesfalls abfinden will. Den Vereinigten Staaten stehen kritische Wochen bevor.
Wie steht es?
Die tagelange Auszählung von Stimmen der US-Präsidentschaftswahl hat am Freitag den demokratischen Herausforderer von Amtsinhaber Donald Trump ein großes Stück nach vorn gebracht. Biden lag in vier von fünf noch umkämpften Bundesstaaten in Führung.
Er steht bei bei 253 Wahlleuten. Trump konnte bis dahin 213 für sich verbuchen. Am Freitag lag Biden nach amtlichen Zahlen erstmals auch in Pennsylvania vorn. Die Mehrheit von 270 Wahlleuten wäre Biden sicher, wenn er diesen Bundesstaat gewinnt. Allerdings könnte sich die Auszählung noch mehrere Tage hinziehen. In Philadelphia seien noch 40.000 Stimmen auszuzählen, teilte der dortige Wahlleiter mit. Bidens Vorsprung in Pennsylvania lag zuletzt bei 14.700 Stimmen. Das bedeutet einen Anteil von 49,5 Prozent vor Trump mit 49,3 Prozent. In den beiden westlichen Staaten Nevada und Arizona beträgt Bidens Vorsprung mehr als 21.000 und mehr als 40.000 Stimmen. In Arizona hatte die Nachrichtenagentur AP bereits in der Wahlnacht einen Sieg für Biden gemeldet, allerdings konnte dort Trump deutlich aufholen.
In North Carolina, einem ebenfalls noch nicht entschiedenen Bundesstaat, lag Amtsinhaber Trump nach er Auszählung von 95 Prozent mit rund 76.000 Stimmen vorn.
In Georgia werden die Stimmen wegen des extrem knappen Ausgangs neu ausgezählt. Zuletzt lag Biden in dem konservativen Südstaat mit hauchdünner Mehrheit vor Amtsinhaber Donald Trump – laut US-Medien mit nur rund 1586 Stimmen Vorsprung.
Trumptanic
Für Donald Trump wurde es demnach eng. Er müsste jedenfalls Pennsylvania gewinnen und dazu noch mindestens drei Staaten aus dem Quartett Arizona, North Carolina, Nevada und Georgia für sich entscheiden. Danach sah es laut den veröffentlichten Wahldaten nicht aus.
Mit einem Auftritt im Weißen Haus Trump jedoch einmal mehr klar, dass ein Verlust des Weißen Haus für ihn nicht vorstellbar ist.
Der 74-Jährige stellte sich erneut Opfer systematischen Wahlbetrugs dar. Er blieb aber wiederum jeden Beweis für seine Behauptungen schuldig und verstieg sich in wilde Unterstellungen und Lügen. Mehrere US-Fernsehsender brachen daraufhin ihre Liveübertragung aus dem Weißen Haus ab.
Trumps Auftritte bringen die eigene Partei in Bedrängnis. Schon vor der Wahl gab es kritische Stimmen. Jetzt setzen sich weitere Politiker der Grand Old Party, wie sich die Republikaner so stolz nennen, von ihrem Spitzenmann ab. Doch die meisten hielten sich bedeckt. Der einflussreiche Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, verwies lediglich auf das Offensichtliche: „Jede legale Stimme sollte gezählt werden. Jeder illegal abgegebene Stimmzettel darf nicht gezählt werden.“
„Wo sind die Republikaner?“, schimpfte Trumps Sohn Eric auf Twitter: „Zeigt mehr Rückgrat, kämpft gegen diesen Betrug!“
Einige folgen dem Appell, etwa der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Senat, Lindsey Graham. Er spendete eine halbe Million Dollar an den Rechtshilfefonds, aus dem Klagen gegen Wahlergebnisse finanziert werden sollen. Auch Trumps ehemalige Sprecherin Sarah Huckabee Sanders zeigt sich überzeugt, dass ihr Ex-Chef „Führer dieser Partei“sein werde, wie immer die Wahl ausgeht. Andere aber bereiten schon ihren Sprung von der „Trumptanic“vor – das Bild von Trump auf der sinkenden „Titanic“geht gerade in den sozialen Netzwerken um.
„Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten, die unseren demokratischen Prozess untergraben“, kritisierte dagegen der republikanische Gouver
neur von Maryland, Larry Hogan. „Keine Person ist wichtiger als unsere Demokratie.“Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger fordert: „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten. Das wird langsam verrückt.“
Und der Abgeordnete William Cogswell im Landesparlament von South Carolina twitterte, er schäme sich für die Äußerungen des Präsidenten – auch als Republikaner, der gerade einen bisher von Demokraten gehaltenen Wahlkreis gewonnen habe.
Der Hausbesetzer
Das Team von Joe Biden hat im Fall eines Siegs die erzwungene Entfernung von Donald Trump aus dem Weißen Haus ins Spiel gebracht. „Die Regierung der Vereinigten Staaten ist durchaus in der Lage, Eindringlinge aus dem Weißen Haus zu eskortieren“, sagte Sprecher Andrew Bates übereinstimmenden Berichten zufolge. Er reagierte damit auf Befürchtungen, dass Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren würde. „Diese Wahl ist nicht vorbei“, betonte dagen Matt Morgan, Leiter der Rechtsabteilung im Team Trump. Die Prognosen von Wahlsiegen Bidens in den Swing States beruhten auf vorläufigen Ergebnissen. „Sobald die Wahl abgeschlossen ist, wird Präsident Trump wiedergewählt sein“, fügte Morgan hinzu.
Warum so lang?
Zum Teil müssen Wahlhelfer bis zu drei Umschläge öffnen, um an den Wahlzettel zu kommen. Dann müssen die Unterschriften auf den Umschlägen mit denen auf der Wählerregistrierung verglichen werden. Das alles nimmt Zeit in Anspruch. Die Stimmen aus den Wahllokalen dagegen lagen dank Zählmaschine rasch vor.
Trump zweifelt die Briefwahl seit Monaten an. Das ist der Grund, warum mehrheitlich Republikaner in die Wahllokale strömten, um ihre Stimme dort abzugeben. Und das ist auch der Grund für den anfänglichen Vorsprung Trumps in den umkämpften Bundesstaaten.
Die Anhänger Joe Bidens dagegen haben nicht zuletzt aus Vorsicht vor Corona in großer Zahl die Möglichkeit der Briefwahl genutzt. Drei von vier Briefwahlstimmen kommen bislang von Demokraten, zeigen die bisherigen Auszählungen.
Insgesamt wurde die außergewöhnlich hohe Zahl von 65 Millionen Stimmen per Post abgeschickt, wie das „US Elections Project“ermittelt hat.
Die Bundesstaaten beschlossen unterschiedliche Verfahren: In Florida durften die eingegangenen Stimmzettel bereits vor dem Wahltag für die Auszählung vorbereitet werden. In Pennsylvania wurden dagegen die Umschläge erst am 3. November geöffnet – und nach den Stimmzetteln vom Wahltag ausgezählt.
Schutz für Biden
Der Secret Service entsendet zusätzliche Mitarbeiter zum Schutz von Joe Biden. Biden werde sich mindestens noch einen weiteren Tag in seinem Haus in Wilmington/Delaware aufhalten und möglicherweise bereits am Freitag eine große Rede halten, berichtete die „Washington Post“. Zudem wurde der Luftraum über dem Wohnsitz Biden gesperrt.