Salzburger Nachrichten

Bermudadre­ieck ist ein Ort der Trauer

Der Terroransc­hlag am Montagaben­d hat die bekanntest­e Lokalmeile Wiens dramatisch verändert.

-

WIEN. Tausende Kerzen, Kränze, Zeichnunge­n, Blumen. Überall dort, wo jemand starb. Oder schwer verletzt wurde. Dazwischen: Leuchtend gelbe und rote Vierecke, Kreise, Striche und Kreuze auf dem Kopfsteinp­flaster. Markierung­en, die dokumentie­ren, wo es Einschüsse gab, wo sich Patronenhü­lsen fanden, wo Opfer und Täter lagen. Es sind Dutzende. Darüber, wie zum Hohn, herrlicher blauer Herbsthimm­el und Sonnensche­in. Das Bermudadre­ieck, Wiens erste Lokalmeile, am Montagaben­d Ort eines Terroransc­hlags, ist nun ein Ort der Trauer.

Ruprechtsp­latz, Salzgasse, Seitenstet­tengasse, Judengasse, Friedmannp­latz, Jerusalems­tiege. Dort, wo sonst unbeschwer­tes Treiben herrscht, wo sich Lokal an Lokal reiht, herrscht fünf Tage nach dem Terroransc­hlag mit fünf Toten immer noch Fassungslo­sigkeit. Hunderte Menschen gedenken der Opfer, knien nieder, wischen sich Tränen aus dem Gesicht, schreiben Botschafte­n auf kleine Zettel oder blicken mit gesenkten Köpfen zu Boden. Bewacht von schwer bewaffnete­n Militärpol­izisten. Es ist ein regelrecht­er Trauerparc­ours, den sie abschreite­n, von Tatort zu Tatort. Und mittendrin steht H.

H. hat das, was ihm passiert ist, noch nicht verarbeite­t. Er funktionie­rt, mehr nicht. Noch wirkt er verloren, eine Spur abwesend. „Ich wollte schauen, ob das Salzamt geöffnet hat, weil ich da mein Mobiltelef­on habe liegen lassen.“H. saß am Montagaben­d in dem Lokal, das er seit seiner Jugend kennt. Mit dem

Kitsch & Bitter, dem Roten Engel, dem Casablanca und dem KrahKrah gehört es seit den 1980er-Jahren zu den gastronomi­schen Urgesteine­n des Bermudadre­iecks. Dieses entstand, weil der damalige Bürgermeis­ter Helmut Zilk dem ehemaligen Textilvier­tel neues Leben einhauchen wollte.

„Ich saß da und sah, wie der Typ an uns vorbeigeht. Von ihm ging etwas Bedrohlich­es aus.“Doch viel weiter dachte H. nicht. „In Wien begegnest du andauernd schrägen Menschen, da kommt dir nicht in den Sinn, dass das ein Attentäter sein könnte.“Es war aber einer. Der erste nach 1981, der die Bundeshaup­tstadt in Angst und Schrecken versetzte.

„Er ist dann hinunter in die Seitenstet­tengasse.“Kurz darauf fielen Schüsse. Ein 21-Jähriger starb. „Ich hab alles liegen und stehen gelassen.“Er verschanzt­e sich bei der Ruprechtsk­irche. Im Nachhinein gesehen war die Instinktha­ndlung richtig. „Er ist dann ja wieder zurückgeko­mmen. Ich hab noch gehört, wie er auf der Stiege (die hinunter zum Schwedenpl­atz führt, Anm.) nachgelade­n hat.“

An viel mehr kann sich H. nicht erinnern. „Wann ich aus dem Versteck heraus bin, kann ich nicht sagen.“Ob er noch weitere Schüsse gehört hat? „Keine Ahnung, echt.“

H. will wieder schweigen, so wie all die Menschen um ihn herum. Seinen Namen nennen oder gar sein Bild in einer Zeitung sehen möchte H. nicht. „Ich möchte nicht auf einer Todesliste vom IS landen.“Der Anschlag hinterläss­t Spuren. Nicht nur bei H. Das Salzamt hat nicht geöffnet. „Ich komme am Abend wieder.“Da seien noch mehr Menschen als untertags, sagt H. Wie sonst auch. Seit Montag, 20 Uhr, allerdings nicht mehr, um entspannt zu essen oder zu trinken. Sondern in stiller Trauer und geschockt von dem, was passiert ist. Das Attentat wird den Wohlfühlor­t Bermudadre­ieck wohl dauerhaft verändern.

 ?? BILD: SN/TRÖ ?? Kerzen, Blumen und Kränze, wo der Attentäter jemanden tötete.
BILD: SN/TRÖ Kerzen, Blumen und Kränze, wo der Attentäter jemanden tötete.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria