Uns plagen die Ängste der Urzeit
Angst vor Terror, vor Viren, vor dem CO2. Wir fürchten uns. Derzeit vor besonders vielen Dingen gleichzeitig. Komisch ist: Das, was uns am meisten bedroht, ängstigt uns gar nicht am meisten. Wie disziplinieren wir unser „dummes“Angstsystem?
soll, aber meistens müssen da auch konkret sichtbare, fühlbare Katastrophen passieren, bevor es wirklich zu einem Umdenken kommt.
SN: Fürchten wir uns also vor den falschen Dingen?
Das passiert zumindest häufig. Sie haben ja schon das Verhältnis dieser drei Gefahren angesprochen: Terroranschlag, Corona, Klimawandel. Da sind ausgerechnet die Todesschützen, bei denen die objektive Gefahr, getötet zu werden, die kleinste ist, der größte Angstmacher. Aber nehmen Sie doch mal die richtigen Killer: Tabak und gesättigte Fettsäuren. Sie töten jedes Jahr Millionen von Menschen auf der Welt. Trotzdem schaffen wir es kaum, mit dem Rauchen aufzuhören, und haben ewig gebraucht, es aus dem öffentlichen Raum zurückzudrängen. Mit ungesunder, fettiger Ernährung ist es dasselbe. Wir haben gewisse Gefahren einfach schon in unser unbewusstes „Lebensrisiko“eingepreist, und nehmen sie gar nicht mehr wahr.
Ja, das kann man. Beobachten
Sie nur, wie in Kabul, in Syrien Menschen leben und trotzdem ihre Lebensfreude nicht verlieren. Oder auch im Israel der 90er-Jahre, wo es fast ebenso viele Bombenanschläge gab. Wir Menschen sind anpassungsfähig. Aber diese Anpassung führt jetzt eben auch dazu, dass wir die zweite Coronawelle nicht mehr ganz so ernst nehmen – und sie deshalb schwerer einzudämmen ist.
SN: Da fragt man sich: Wie können wir unser „dummes“Angstsystem an die Leine nehmen und in die richtige Richtung lenken?
Da gibt es leider kein Patentrezept. Aber wir verfügen natürlich über rationale Vernunft, die im präfrontalen Cortex sitzt. Ebenso wie das Gewissen und die Zugriffsmöglichkeit auf gespeichertes Wissen.
In unübersichtlichen oder gefährlichen Situationen schaltet sich aber eben das schon beschriebene Angstsystem ein, das evolutionär viel älter ist. Konkret kann man nur empfehlen: Sich selbst möglichst viel Wissen und Fakten aneignen und diese auch verstehen lernen. Auf die Wissenschaft hören. Sich selbst die Fakten vorhalten, die man kennt, gründlich nachdenken. Sich irrationalen Ängsten, etwa vor öffentlichen Plätzen oder Spinnen, bewusst aussetzen. Das Vernunftgehirn kann das Angstsystem steuern – das ist eine Erkenntnis aus der Verhaltenstherapie.