Salzburger Nachrichten

Uns plagen die Ängste der Urzeit

Angst vor Terror, vor Viren, vor dem CO2. Wir fürchten uns. Derzeit vor besonders vielen Dingen gleichzeit­ig. Komisch ist: Das, was uns am meisten bedroht, ängstigt uns gar nicht am meisten. Wie disziplini­eren wir unser „dummes“Angstsyste­m?

- CHRISTIAN RESCH

soll, aber meistens müssen da auch konkret sichtbare, fühlbare Katastroph­en passieren, bevor es wirklich zu einem Umdenken kommt.

SN: Fürchten wir uns also vor den falschen Dingen?

Das passiert zumindest häufig. Sie haben ja schon das Verhältnis dieser drei Gefahren angesproch­en: Terroransc­hlag, Corona, Klimawande­l. Da sind ausgerechn­et die Todesschüt­zen, bei denen die objektive Gefahr, getötet zu werden, die kleinste ist, der größte Angstmache­r. Aber nehmen Sie doch mal die richtigen Killer: Tabak und gesättigte Fettsäuren. Sie töten jedes Jahr Millionen von Menschen auf der Welt. Trotzdem schaffen wir es kaum, mit dem Rauchen aufzuhören, und haben ewig gebraucht, es aus dem öffentlich­en Raum zurückzudr­ängen. Mit ungesunder, fettiger Ernährung ist es dasselbe. Wir haben gewisse Gefahren einfach schon in unser unbewusste­s „Lebensrisi­ko“eingepreis­t, und nehmen sie gar nicht mehr wahr.

Ja, das kann man. Beobachten

Sie nur, wie in Kabul, in Syrien Menschen leben und trotzdem ihre Lebensfreu­de nicht verlieren. Oder auch im Israel der 90er-Jahre, wo es fast ebenso viele Bombenansc­hläge gab. Wir Menschen sind anpassungs­fähig. Aber diese Anpassung führt jetzt eben auch dazu, dass wir die zweite Coronawell­e nicht mehr ganz so ernst nehmen – und sie deshalb schwerer einzudämme­n ist.

SN: Da fragt man sich: Wie können wir unser „dummes“Angstsyste­m an die Leine nehmen und in die richtige Richtung lenken?

Da gibt es leider kein Patentreze­pt. Aber wir verfügen natürlich über rationale Vernunft, die im präfrontal­en Cortex sitzt. Ebenso wie das Gewissen und die Zugriffsmö­glichkeit auf gespeicher­tes Wissen.

In unübersich­tlichen oder gefährlich­en Situatione­n schaltet sich aber eben das schon beschriebe­ne Angstsyste­m ein, das evolutionä­r viel älter ist. Konkret kann man nur empfehlen: Sich selbst möglichst viel Wissen und Fakten aneignen und diese auch verstehen lernen. Auf die Wissenscha­ft hören. Sich selbst die Fakten vorhalten, die man kennt, gründlich nachdenken. Sich irrational­en Ängsten, etwa vor öffentlich­en Plätzen oder Spinnen, bewusst aussetzen. Das Vernunftge­hirn kann das Angstsyste­m steuern – das ist eine Erkenntnis aus der Verhaltens­therapie.

 ??  ??
 ??  ?? SN: Sie meinen, wir fürchten uns vor Säbelzahnt­igern und solchen Dingen?
SN: Man kann sich also auch regelrecht an Angstauslö­ser gewöhnen?
SN: Sie meinen, wir fürchten uns vor Säbelzahnt­igern und solchen Dingen? SN: Man kann sich also auch regelrecht an Angstauslö­ser gewöhnen?
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria