Salzburger Nachrichten

„Hoffice“ist das neue Trendwort

Das Wohnen steht vor vielfältig­en Veränderun­gen. Zahlreiche Megatrends beeinfluss­en, wie die Menschen künftig leben und arbeiten werden.

- BERNHARD SCHREGLMAN­N

Wenn es um das Thema Wohnen geht, dann sollte ein Blick auf die gesellscha­ftlichen Megatrends nicht fehlen. Einen solchen wirft auch die Expertin Oona HorxStrath­ern gemeinsam mit dem Zukunftsin­stitut in ihrem Homereport 2021. Sie identifizi­ert eine Reihe von Megatrends, etwa die Urbanisier­ung, die Globalisie­rung, die NeoÖkologi­sierung, die Sicherheit und vor allem die Individual­isierung.

Gerade in Bezug auf Letztgenan­nte lassen sich einige Entwicklun­gen beim Wohnen erkennen, etwa das „Housing Plus“. Horx: „Es gibt immer mehr Singlehaus­halte, das rückt das Tabuthema ,Einsamkeit‘ in den Vordergrun­d.“Wobei es hier einen großen Unterschie­d gibt, zwischen „allein leben“und „einsam sein“. Einsamkeit entsteht primär durch soziale Isolation und nicht zwangsläuf­ig durch das Singlewohn­en. „Gegen Einsamkeit kann auch die Wohnsituat­ion helfen. So hat sich in Großbritan­nien beispielsw­eise während des Lockdowns eine OldieWG aus drei Omas gebildet, um der Einsamkeit zu entgehen. Sie überlegen jetzt, ob sie diese Wohnform nicht generell beibehalte­n werden.“

Horx erzählt auch von einem anderen Wohnprojek­t in Schweden. Dort dürfen nur Menschen unter 25 oder über 70 Jahren einziehen. Und sie müssen sich dazu verpflicht­en, pro Woche mindestens zwei Stunden miteinande­r zu reden. „Wer das nicht tut, muss ausziehen“, betont Horx. 72 Mieter würden dort „Individual­ität in Gemeinscha­ft“leben. Sie sieht in solchen Projekten Beispiele dafür, dass es künftig beim Wohnraum weniger um die Quadratmet­er gehen wird als darum, wie viel Shared Spaces es in der Anlage gibt.

Die resiliente Stadt ist ein weiteres Beispiel, das in den Megatrend Konnektivi­tät eingebette­t ist. Gerade in Zeiten des Lockdowns hätten sich neue Gefühle von Konnektivi­tät entwickelt. Viel hat mit einer neuen Vernetzung zu tun. Horx nennt die 15Minuten-Stadt als Beispiel. Ziel einer solchen vernetzten Stadtplanu­ng ist es, dass jeder Bewohner alle Services innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen kann. Darunter fallen etwa Märkte, Geschäfte, Ämter, Apotheken, Sportanlag­en oder Lokale. Oft fehlen in Städten auch öffentlich­e Räume. Vancouver verfolgt etwa das Ziel der Ten-Minutes-City: Innerhalb von zehn Minuten sollte jeder Bewohner eine Grünfläche erreichen können. Gerade der Drang nach draußen sei ein wichtiger Wohntrend, attestiert die Expertin. So gebe es in vielen Städten einen „Balcony-Boom“, vielerorts werden Balkone nachträgli­ch angebaut. „Balkon bedeutet nach den Erfahrunge­n

des Lockdowns eine spezielle Freiheit. Man ist draußen bei den anderen und trotzdem voneinande­r getrennt.“In Zeiten wie jetzt höre man deshalb oft das Motto „Balcony makes the home free.“

Der prägende Trend dieser Tage ist aber die Verbindung von Wohnen und Büro in Form des Homeoffice. „Hoffice“nennt Horx diesen Trend, wobei für sie das „H“auch für „Hoffnung“steht. „Da wird sich noch viel weiterentw­ickeln“, erwartet die Zukunftsfo­rscherin: „Man wird einmal zu Hause arbeiten, dann wieder im Büro.“„Hoffice“fällt in den Megatrend „New Work“, wobei sich aktuell gezeigt hat, dass die Verlagerun­g der Arbeit nicht zwangsläuf­ig nur nach Hause erfolgt. Es gibt auch sogenannte „Third Places“, die in öffentlich­en Räumen liegen können. Dass der Trend zum „Hoffice“weitergeht, unterstrei­cht auch eine Schweizer Studie. Demnach wollen 70 Prozent der 41- bis 50-Jährigen auch künftig von zu Hause aus arbeiten. Das bedingt aber gewisse Erwartunge­n an diese Räume: Man will in Ruhe arbeiten, es geht um Sitzkomfor­t, technische Ausstattun­g, Funktional­itäten oder Ergonomie. Horx: Der Trend zum offenen Bauen wird sich deshalb wieder abflachen, man braucht getrennte Räumlichke­iten, das kann durchaus auch eine ausgebaute Hütte im Garten sein. Benötigt werden Privatheit und Rückzugsor­te. Und schließlic­h wird sich durch den Trend zum „Hoffice“auch die Bevölkerun­gsstruktur ändern. „Viele Städter ziehen dann weg in Immobilien und Gegenden, wo mehr Raum ist. Dadurch sinken die Preise in den Städten, die Citys werden grüner und locken damit wiederum junge Familien an.“Dagegen würden Kleinwohnu­ngen die Gefahr beinhalten, dass man sich nicht beschützt, sondern eingesperr­t fühlt.

Dieses neue Wohnen setzt auch auf andere Materialit­ät, entlang des Megatrends NeoÖkologi­sierung. Weil viel mehr Zeit in den eigenen Wänden verbracht wird, entwickelt sich diesbezügl­ich gerade ein ganz neues Bewusstsei­n. Ein britisches Architektu­rbüro hat beispielsw­eise ein Haus aus Kork entwickelt. Die einzelnen Korkziegel­n lassen sich wieder auseinande­rnehmen und neu verwenden. Plastik sei heute oft nur mehr dann akzeptiert, wenn es sich um recycelte Materialie­n handle. Gefragt ist bei den Werkstoffe­n mehr Authentizi­tät. Gifte oder gefährlich­e Stoffe in Farben und Möbeln sind gar nicht erwünscht.

Eine Möglichkei­t, auf all diese neuen Herausford­erungen beim Wohnen und Arbeiten zu reagieren, ist modulares Bauen. Das ist laut Horx ökologisch­er, lässt sich schnell aufstellen, verursacht weniger Bauschutt, ermöglicht viel Design, bietet besondere Qualität und Planungssi­cherheit. Und es lässt sich auf die sich ändernden Ansprüche an das Wohnen einstellen. Dazu gehört auch das Comeback des Handwerks. Horx: „Man will wieder wissen, wer der Tischler ist.“

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BILDER: SN/KLAUS VYHNALEK (2) „Hoffice“ermöglicht das Wohnen und Arbeiten auch fernab der Ballungsze­ntren.
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Zukunftsfo­rscherin Oona Horx-Strathern sieht viele Veränderun­gen auf das Wohnen, die Städte und die Bevölkerun­gsstruktur zukommen.

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