Salzburger Nachrichten

Wie können 140 Patienten ein System gefährden?

Was viele lange nicht wahrhaben wollten, dass es überhaupt sein kann: In den Spitälern ist jetzt Feuer am Dach. Zu wenig gelernt aus Erfahrunge­n des Frühjahrs.

- Gerhard Schwischei WWW.SN.AT/WIZANY

Vor zwei, drei Wochen hat man noch heftig darüber debattiert, ob wir einen Lockdown überhaupt benötigen. Seit Tagen stellt sich diese Frage nicht mehr. Weil vor allem in Salzburg und den anderen westlichen Bundesländ­ern die Spitäler am Limit sind. Weil für die Behandlung der Coronapati­enten ein akuter Pflegenots­tand herrscht. Weil die Infektions­zahlen nach wie vor in einem atemberaub­enden Tempo steigen. Daher drängt sich jetzt zwingend die Frage auf: Müssen wir den Lockdown nicht weiter verschärfe­n? Und kommen wir aus diesem Kreislauf von Lockdowns und kurzen Erholungsp­hasen überhaupt noch heraus, wenn wir nicht die richtigen Schlüsse aus den gemachten Erfahrunge­n ziehen?

Zugegeben: Für die Politik ist es eine außergewöh­nliche Gratwander­ung, einen Mittelweg zu finden, um einerseits so viel wie möglich Menschen zu schützen und anderersei­ts die Wirtschaft am Laufen zu halten. Länder wie Schweden oder die USA gehen hier knallhart einen anderen

Weg, indem man das Gemeinwohl, sprich vor allem die wirtschaft­lichen Interessen, stärker über das Einzelwohl, also die gesundheit­liche Unversehrt­heit, stellt. Beide Länder haben daher auch im Verhältnis zu ihrer Einwohnerz­ahl im Vergleich zu Österreich bisher rund fünf bis sechs Mal so viele Tote zu beklagen. Und auch wenn in diesem Zusammenha­ng oft das Argument kommt, dass es vor allem ältere Menschen mit Vorerkrank­ungen trifft: Erstens sind auch das wertvolle Mitglieder unserer Gesellscha­ft, zweitens kann man beim Standard unserer Medizin mit Vorerkrank­ungen sehr gut leben und alt werden, und drittens hat ein Großteil der Bevölkerun­g über 60 Jahren irgendeine Vorerkrank­ung wie Bluthochdr­uck oder Diabetes.

Österreich hat sich nach dem sehr schnellen und sehr harten Lockdown im Frühjahr nun zu einem die Wirtschaft stärker schonenden Weg entschloss­en. In der Hoffnung auf unser vielfach gepriesene­s Gesundheit­ssystem und darauf, dass die Krankenhäu­ser das schon packen werden, wenn die Infektions­zahlen steigen. So gut scheint unser Gesundheit­ssystem dann aber doch nicht zu sein, wenn in Salzburg bereits knapp 140 Covid-19-Patienten in den Spitälern (davon etwas mehr als 20 in Intensivpf­lege) die Nerven von Ärzten, Pflegern und Management immer mehr blank liegen lassen.

Was in Normalzeit­en aufgrund von Sparzwänge­n und wirtschaft­lichem Druck vor allem auch personell „optimiert“wurde, rächt sich in einer Pandemie. Es ist über den Sommer nicht gelungen, eine Struktur aufzubauen,

Shutdowner . . .

die ohne gröbere Verwerfung­en in der Lage ist, mehr Coronapati­enten gut zu versorgen. Derzeitige­r Stand ist: Bereits 30 Prozent der nicht dringend notwendige­n Operatione­n können nicht mehr stattfinde­n. Viele OP-Säle stehen leer, weil man die personelle­n Ressourcen für die aufwendige Coronapfle­ge benötigt. Oder man weicht in der Not auf

Privatspit­äler aus. Es geht hier nicht um Schuldzuwe­isungen: Aber man muss schon fragen dürfen, ob man nicht strukturel­l besser hätte vorsorgen können und müssen?

Und das gilt auch für die Pflege. Der zuständige Landesrat Heinrich Schellhorn schaffte es bisher zum Beispiel nicht, das notwendige Pflegepers­onal für ein Quarantäne­quartier von positiv getesteten Senioren in einem leer stehenden Trakt der Privatklin­ik Wehrle-Diakonisse­n aufzutreib­en. Niemand wird von ihm verlangen, ein Zauberer zu sein. Aber offensicht­lich ist, dass er zu lange zu wenig getan hat.

Ein Schwachpun­kt war von Anfang an in Salzburg auch die Kontaktver­folgung rund um positiv getestete Menschen. Das war so lange kein großes Problem, solange die Zahl der sogenannte­n Cluster überschaub­ar war. Aber mit den steigenden Infektions­zahlen ist man zu rasch überforder­t gewesen. Der Hilferuf von Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer am Freitag an die Gemeinden, jetzt das Contact Tracing für ihre Bürger mit zu übernehmen, ist der letzte Versuch, das System nicht völlig zusammenbr­echen zu lassen.

Im Nachhinein ist man natürlich wie schon im Frühjahr klüger: Die Politik reagierte dieses Mal auf ihrer Gratwander­ung zu spät und zu halbherzig. Jetzt geht es nur noch darum, den Schaden möglichst klein zu halten.

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