Wie können 140 Patienten ein System gefährden?
Was viele lange nicht wahrhaben wollten, dass es überhaupt sein kann: In den Spitälern ist jetzt Feuer am Dach. Zu wenig gelernt aus Erfahrungen des Frühjahrs.
Vor zwei, drei Wochen hat man noch heftig darüber debattiert, ob wir einen Lockdown überhaupt benötigen. Seit Tagen stellt sich diese Frage nicht mehr. Weil vor allem in Salzburg und den anderen westlichen Bundesländern die Spitäler am Limit sind. Weil für die Behandlung der Coronapatienten ein akuter Pflegenotstand herrscht. Weil die Infektionszahlen nach wie vor in einem atemberaubenden Tempo steigen. Daher drängt sich jetzt zwingend die Frage auf: Müssen wir den Lockdown nicht weiter verschärfen? Und kommen wir aus diesem Kreislauf von Lockdowns und kurzen Erholungsphasen überhaupt noch heraus, wenn wir nicht die richtigen Schlüsse aus den gemachten Erfahrungen ziehen?
Zugegeben: Für die Politik ist es eine außergewöhnliche Gratwanderung, einen Mittelweg zu finden, um einerseits so viel wie möglich Menschen zu schützen und andererseits die Wirtschaft am Laufen zu halten. Länder wie Schweden oder die USA gehen hier knallhart einen anderen
Weg, indem man das Gemeinwohl, sprich vor allem die wirtschaftlichen Interessen, stärker über das Einzelwohl, also die gesundheitliche Unversehrtheit, stellt. Beide Länder haben daher auch im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl im Vergleich zu Österreich bisher rund fünf bis sechs Mal so viele Tote zu beklagen. Und auch wenn in diesem Zusammenhang oft das Argument kommt, dass es vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen trifft: Erstens sind auch das wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft, zweitens kann man beim Standard unserer Medizin mit Vorerkrankungen sehr gut leben und alt werden, und drittens hat ein Großteil der Bevölkerung über 60 Jahren irgendeine Vorerkrankung wie Bluthochdruck oder Diabetes.
Österreich hat sich nach dem sehr schnellen und sehr harten Lockdown im Frühjahr nun zu einem die Wirtschaft stärker schonenden Weg entschlossen. In der Hoffnung auf unser vielfach gepriesenes Gesundheitssystem und darauf, dass die Krankenhäuser das schon packen werden, wenn die Infektionszahlen steigen. So gut scheint unser Gesundheitssystem dann aber doch nicht zu sein, wenn in Salzburg bereits knapp 140 Covid-19-Patienten in den Spitälern (davon etwas mehr als 20 in Intensivpflege) die Nerven von Ärzten, Pflegern und Management immer mehr blank liegen lassen.
Was in Normalzeiten aufgrund von Sparzwängen und wirtschaftlichem Druck vor allem auch personell „optimiert“wurde, rächt sich in einer Pandemie. Es ist über den Sommer nicht gelungen, eine Struktur aufzubauen,
Shutdowner . . .
die ohne gröbere Verwerfungen in der Lage ist, mehr Coronapatienten gut zu versorgen. Derzeitiger Stand ist: Bereits 30 Prozent der nicht dringend notwendigen Operationen können nicht mehr stattfinden. Viele OP-Säle stehen leer, weil man die personellen Ressourcen für die aufwendige Coronapflege benötigt. Oder man weicht in der Not auf
Privatspitäler aus. Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen: Aber man muss schon fragen dürfen, ob man nicht strukturell besser hätte vorsorgen können und müssen?
Und das gilt auch für die Pflege. Der zuständige Landesrat Heinrich Schellhorn schaffte es bisher zum Beispiel nicht, das notwendige Pflegepersonal für ein Quarantänequartier von positiv getesteten Senioren in einem leer stehenden Trakt der Privatklinik Wehrle-Diakonissen aufzutreiben. Niemand wird von ihm verlangen, ein Zauberer zu sein. Aber offensichtlich ist, dass er zu lange zu wenig getan hat.
Ein Schwachpunkt war von Anfang an in Salzburg auch die Kontaktverfolgung rund um positiv getestete Menschen. Das war so lange kein großes Problem, solange die Zahl der sogenannten Cluster überschaubar war. Aber mit den steigenden Infektionszahlen ist man zu rasch überfordert gewesen. Der Hilferuf von Landeshauptmann Wilfried Haslauer am Freitag an die Gemeinden, jetzt das Contact Tracing für ihre Bürger mit zu übernehmen, ist der letzte Versuch, das System nicht völlig zusammenbrechen zu lassen.
Im Nachhinein ist man natürlich wie schon im Frühjahr klüger: Die Politik reagierte dieses Mal auf ihrer Gratwanderung zu spät und zu halbherzig. Jetzt geht es nur noch darum, den Schaden möglichst klein zu halten.