Am Rande des Lockdowns
Italiens Klinikpersonal warnt: Wenn die Coronazahlen weiter steigen, sind die Kapazitäten in den Spitälern bald erschöpft. Ärzte befürchten eine ähnlich dramatische Situation wie im Frühjahr.
Überfüllte Krankenhäuser, ein nationaler Lockdown, solidarischer Applaus für die Ärzte und das Pflegepersonal während der ersten Welle der Coronapandemie. Das war einmal? Wieder sind die Berichte aus Italien dramatisch und gleichen denen aus dem Frühjahr.
Die Krankenhäuser füllen sich erneut, ein nationaler Lockdown droht. Doch Ärzten und Pflegern applaudiert heute niemand mehr, sie verschaffen sich mit Mühe Gehör. „Die Krankenhäuser sind am Rande des Zusammenbruchs“, schrieb am Mittwoch ein Zusammenschluss von Internisten, Geriatern und Krankenpflegern in einem offenen Brief.
Die Kliniken befänden sich am Rande ihrer Kapazitäten „wegen zu wenig Personal und zu wenig Betten angesichts des anormalen Zustroms von Kranken aufgrund der schnellen und schwindelerregenden Verbreitung der Covid-Infektionen“, heißt es. Die Lage spitzt sich vor allem in der Lombardei zu, wo Kliniken örtlich bereits Patienten wegen Überfüllung abgeben müssen. Ähnliche Situationen wurden aus Krankenhäusern in der Toskana, in Latium, in Kampanien und im Piemont gemeldet.
Das Problem sind die steigenden Ansteckungszahlen und die Gewissheit, dass auch im Fall eines nationalen Lockdowns erst mindestens zwei Wochen vergehen müssen, bis auch die Einlieferungen in den Krankenhäusern abnehmen.
Angesichts dieses Szenarios warnte der Vorsitzende des Verbandes der italienischen Ärzteschaften, Filippo Anelli, zu Beginn der Woche vor einer dramatischen Verschlechterung der Lage bis Weihnachten. „Das Schlimmste kommt noch“, sagte er und wies auf die drohende Grippewelle hin, die die Krankenhäuser zusätzlich belasten könnte. Jedes Krankenhausbett für einen Coronapatienten werde Patienten mit anderen schweren Krankheiten vorenthalten. „Noch haben wir Zeit, das alles mit einem einmonatigen nationalen Lockdown zu verhindern. Die Alternative ist, dass das Gesundheitssystem die weiße Fahne hisst“, sagte Anelli.
Die italienische Regierung beriet auch am Mittwoch über das weitere Vorgehen. Vergangenen Freitag hatte das Gesundheitsministerium Italien in drei Zonen aufgeteilt, in denen das Coronarisiko mittel (gelb), hoch (orange) und besonders hoch (rot) ist.
Lombardei, Piemont, Kalabrien, Aostatal und Südtirol sind bereits rote Zonen, hier dürfen die Menschen ihr Zuhause nur aus dringenden Gründen verlassen, Bars und Restaurants sind geschlossen. Noch diese Woche könnten auch die Regionen Emilia-Romagna, Venetien, Friaul-Julisch Venetien und Kampanien als rote Zonen eingestuft werden. Gesundheitsminister Roberto Speranza fällt am Freitag entsprechende Entscheidungen. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, diesen Fleckerlteppich beizubehalten, wenn ein nationaler Lockdown die beste Bremse gegen den Fortgang der Pandemie ist. Doch dafür müssen aber auch die meisten wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Opfer gebracht werden.
Zuversichtlich stimmte am Dienstag, dass sowohl die Neuansteckungen wie auch die Einlieferungen ins Krankenhaus wegen Covid-19 weniger stark anstiegen als zuletzt. Am Montag wurden 2971 Intensivpatienten in Italien gezählt, eine Woche zuvor waren es 2225. Der Wochenanstieg belief sich auf 34 Prozent, in der Vorwoche hatte er 58 Prozent betragen. Beobachter führen diesen Trend auf die sukzessiven Einschränkungen im öffentlichen Leben im Oktober zurück. Ob die Maßnahmen aber ausreichen, um den Kollaps zu verhindern, ist unklar. Am Dienstag meldeten die Behörden 580 Corona-Opfer, so viele wie am 27. März.