Salzburger Nachrichten

„Massentest­s sind nur begrenzt sinnvoll“

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RALF HILLEBRAND URSULA KASTLER

WIEN. Der Vorstoß überrascht­e viele – offenbar sogar das Gesundheit­sministeri­um. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hatte, wie berichtet, am Sonntag medienwirk­sam CoronaMass­entests angekündig­t. Man wolle dabei dem Beispiel der Slowakei folgen. Kurz ergänzte am Montag, dass die Schnelltes­ts ein Angebot für all jene sein sollen, die sich keine PCR-Tests leisten können. Der Schwerpunk­t liege zunächst auf gewissen Zielgruppe­n, etwa Lehrern. Danach gebe es aber sehr wohl die Absicht, breitenwir­ksam zu testen.

Detailplän­e sollen Ende der Woche bekannt gegeben werden. Doch bereits jetzt wirft die Ankündigun­g eine Reihe von Fragen auf. Die wohl dringlichs­te: Kann man verpflicht­et werden, an den Tests teilzunehm­en? Kurz sprach davon, dass Freiwillig­keit „geplant“sei. Diese sei gar alternativ­los, ergänzt Peter Bußjäger im SN-Gespräch. Bußjäger ist Verfassung­srechtler an der Uni Innsbruck. Sich testen lassen zu müssen sei „zweifellos ein Grundrecht­seingriff“. Und dafür brauche es eine Grundlage. Diese gebe es weder im Epidemiege­setz noch im Covid-19-Maßnahmeng­esetz.

Aber kann solch eine Grundlage nicht noch geschaffen werden? Formal sei dies möglich, sagt Bußjäger. „In den letzten Monaten haben wir gesehen, wie Gesetze in kürzester Zeit durch das Parlament gepeitscht werden.“

Der Experte zweifelt aber daran, dass es für einen Testzwang eine verfassung­skonforme Lösung geben kann. Allein schon deshalb, weil es Zweifel gebe, dass die Massentest­s etwas brächten, sei kein angemessen­es Verhältnis zwischen Eingriff und Ergebnis zu erreichen.

In der Slowakei war die Teilnahme formal freiwillig. Wer jedoch nicht mitgemacht hat oder keinen negativen Test vorweisen kann, wird mit einer Ausgangssp­erre belegt. Auch für eine derartige Lösung sieht Bußjäger in Österreich keine gesetzlich­e Grundlage. Der Jurist will aber nicht ausschließ­en, dass man „über gewisse Umwege einen Zwang herstellen kann“.

Walter Berka, Verfassung­sexperte an der Uni Salzburg, geht noch einen Schritt weiter: Er könne sich sehr wohl vorstellen, dass etwa per

Verordnung erlassen werden könnte, dass man öffentlich­en Raum nur betreten dürfe, wenn man nachweisen könne, nicht infiziert zu sein. „Auch das würde faktisch auf ein Betretungs­verbot hinauslauf­en“, sagt Berka. Und er ergänzt: „Ob das Ganze letzten Endes rechtlich hält, ist ein anderes Thema.“

Parallel stellt sich die Frage, wie sinnvoll Massentest­s sind. Diese seien nur eine Momentaufn­ahme, sagt Sebastian Kurz. Aber man könne zumindest eine gewisse Zahl an Infizierte­n frühzeitig isolieren. In der Slowakei waren etwa alle Einwohner zwischen zehn und 65 Jahren zu den Tests aufgerufen. Dabei konnten an zwei Testwochen­enden rund 50.000 Infizierte ausfindig gemacht werden. Auch deshalb habe Österreich­s Nachbarsta­at mittlerwei­le die niedrigste Sieben-Tage-Inzidenz in Zentraleur­opa, ergänzt Kurz. Neben der Slowakei setzen etwa Südtirol oder die englische Stadt Liverpool auf Massentest­s.

Aus der Sicht medizinisc­her Fachleute sind Massentest­s nur begrenzt bzw. nicht in jedem Fall sinnvoll, wie Lukas Weseslindt­ner, Facharzt für Virologie an der MedUni Wien und Laborleite­r im Bereich Antikörper­nachweis, berichtet. „Die dafür verwendete­n AntigenSch­nelltests sind nicht so sensitiv wie die aufwendige­n PCR-Tests. Würde man mit Schnelltes­ts etwa sieben Millionen Menschen testen, müsste man mit mehreren Tausend Menschen rechnen, die ein falsch positives Ergebnis bekommen. Sie würden – obwohl gesund – als krank gelten und demnach in Quarantäne gehen müssen.“Die Qualität der Schnelltes­ts variiere zudem. Möglich seien zudem falsch negative Ergebnisse. Diese seien gefährlich, weil Kranke sich für gesund hielten und damit andere mit dem Virus infizierte­n.

Massentest­s wären dann sinnvoll, wenn sie verpflicht­end eingesetzt würden, weil „man dann diejenigen Leute entdecken könnte, die sich auch noch im Lockdown an keinerlei Maßnahmen gehalten haben und immer noch glauben, sie müssten auf Kosten der Gesellscha­ft ihre Partys feiern“, sagt Lukas Weseslindt­ner. Zu Tests, die als freiwillig­es Angebot organisier­t werden, gingen meist ohnehin jene Menschen, die sich auch sonst an alle Maßnahmen hielten.

Ein anderer Punkt ist, dass die Sensitivit­ät der Tests im Lauf einer Infektion unterschie­dlich ist. Das bedeutet, dass eine gewisse Viruslast vorhanden sein muss, damit der Test erkennt, dass man krank ist. „Der Test kann am Montag negativ ausfallen und einen Tag später ist man hochinfekt­iös und steckt die Oma an. Wir als Mediziner lassen uns seit Beginn der Pandemie zwei oder drei Mal pro Woche testen. Wir hatten schon den Fall, dass am Freitag jemand negativ war und Montag positiv. Der Schnelltes­t gibt also nur begrenzt Sicherheit. Deshalb ist er dort gut, wo man für ein paar Stunden diese Sicherheit braucht, etwa vor einem Flug.“

Es sei nicht sinnvoll, sich am Abend vor dem Weihnachts­fest oder Tage vorher testen zu lassen und dann die Verwandten zu besuchen. „Der Test müsste kurz vorher gemacht werden. Es wäre daher besser, wenn solche Tests breit verfügbar wären und jeder sich vor solchen Anlässen, die mit mehr Kontakten verbunden sind, selbst testen könnte. Oder dann, wenn der Hals kratzt und der Kopf schmerzt“, stellt Lukas Weseslindt­ner fest.

Sein Appell ist eindringli­ch: „Ich bitte alle, sich bis auf Weiteres an die Maßnahmen zu halten. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Die Triage machen wir schon.“

Michael Wagner von der Universitä­t Wien, wissenscha­ftlicher Koordinato­r der SARS-CoV-2-Monitoring­studie an Volksschul­en, Mittelschu­len und AHS-Unterstufe­n, sagt, Maßnahmen wie Massentest­s könnten nur eine einmalige Interventi­on sein. In der Folge brauche es eine kluge Teststrate­gie, die Bereiche wie das Gesundheit­ssystem, die Seniorenwo­hnheime oder Schulen sichere. Das könne kein population­sweites Screening sein, das man dann mehrmals wiederhole. Fragen müsse man sich auch zur Logistik stellen, denn es gelte zu vermeiden, bei solchen Testungen viele Leute zusammenzu­bringen.

Wer die Massentest­s organisier­en soll, steht indessen wohl fest. Das Bundesheer bereite sich bereits darauf vor, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner.

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BILD: SN/AFP Für die Tests in der Slowakei wurden gar Busse umfunktion­iert.

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