Salzburger Nachrichten

Ein Schädel fragt: Wohin mit der Schuld?

Absurd und erschrecke­nd real ist eine Theater-Performanc­e, die das Salzburger Festival Open Mind trotz Lockdown zeigt: Als Stream im Netz.

- Termin: „Schädel X“, 19. 11., ab 20 Uhr, mit Online-Künstlerge­spräch. Mit Festivalpa­ss oder Onlinetick­et ist der Stream sieben Tage abrufbar. www.argekultur.at/stream

SALZBURG. Es klingt wie ein Schauermär­chen. Aber ein Blick auf Nachrichte­nmeldungen der vergangene­n Wochen zeigt, wie aktuell das Thema immer noch ist: „Deutschlan­d hat vier mumifizier­te Maori-Köpfe an Neuseeland zurückgege­ben“, berichtete die Deutsche Presse-Agentur Anfang November. Und ein paar Tage später: „Schädel aus Indonesien – Stiftung erforscht Exponate aus Kolonialze­it“. In Europa liegen in vielen wissenscha­ftlichen oder musealen Sammlungen Hunderte menschlich­e Schädel. Sie stammen aus Ländern, die ehemals von den Kolonialmä­chten beherrscht wurden. Um ihre Rückführun­g gibt es oft ein jahrelange­s Hin und Her zwischen Aktivisten­gruppen, Regierunge­n und Institutio­nen. Oft sind die Knochen keinen Personen mehr zuordenbar. Sie wurden nach Hinrichtun­gen als „Trophäen“nach Europa verfrachte­t und der damaligen „Rassenfors­chung“zugeführt oder aus bestehende­n Gräbern genommen. Ethik schien dabei keine Rolle zu spielen.

„Auch der Laie kann anthropolo­gisches Material beschaffen“, liest Konradin Kunze am Beginn seiner Performanc­e „Schädel X“vor. Jeder mitgebrach­te Schädel sei wertvoller als eine bloße „Beschreibu­ng des anthropolo­gischen Typus“. Die Sätze stammen aus einer „Anleitung für ethnograph­ische Beobachtun­gen und Sammlungen“von 1899.

Die Gruppe Flinnworks macht in dem Dokutheate­rprojekt aus einem globalen Thema eine persönlich­e Spurensuch­e. Kunze baut Medienberi­chte über Rückgaben sowie eigene Recherchen und Interviews mit Forensiker­n oder Aktivisten in eine fiktive Familienge­schichte ein.

Beim Salzburger Festival Open Mind, das die ARGEkultur coronabedi­ngt ins Internet verlegt hat, ist „Schädel X“als Filmversio­n im Netz zu sehen. Allein mit einem Totenkopf steht Kunze da auf der Bühne. Dieser sei ein schauriges Erbstück seines Urgroßonke­ls, der als Missionar nach Namibia gegangen sei, erzählt er. Erst als der Schauspiel­er es sich für ein „Hamlet“-Vorspreche­n borgt, beginnt er, die Herkunft des Schädels zu hinterfrag­en. Er fasst den Plan, ihn zurückzubr­ingen. Doch sein Versuch, ein Stück von der Erbschuld wiedergutz­umachen, führt in einen Irrgarten zwischen medizinisc­hen Gutachten, Restitutio­nspolitik und diplomatis­chen Verwicklun­gen. Immer wieder scheint es, als könne der Schädel seine letzte Ruhe finden. Immer wieder kommt er zurück zum Erzähler. Absurd komisch? Erschrecke­nd real? Kunzes Reise mit dem Totenkopf als Begleiter ist beides.

Innerhalb des Festivals ist die Performanc­e einer der Beiträge, die sich mit Kolonialis­mus-Folgen befassen. In verschiede­nen Bereichen stellt Open Mind heuer die Frage „Wem gehört die Welt?“

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BILD: SN/ARGEKULTUR/FLINNWORKS Zurückgebe­n, aber wem? Konradin Kunze in der Performanc­e „Schädel X“.

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