Ein Schädel fragt: Wohin mit der Schuld?
Absurd und erschreckend real ist eine Theater-Performance, die das Salzburger Festival Open Mind trotz Lockdown zeigt: Als Stream im Netz.
SALZBURG. Es klingt wie ein Schauermärchen. Aber ein Blick auf Nachrichtenmeldungen der vergangenen Wochen zeigt, wie aktuell das Thema immer noch ist: „Deutschland hat vier mumifizierte Maori-Köpfe an Neuseeland zurückgegeben“, berichtete die Deutsche Presse-Agentur Anfang November. Und ein paar Tage später: „Schädel aus Indonesien – Stiftung erforscht Exponate aus Kolonialzeit“. In Europa liegen in vielen wissenschaftlichen oder musealen Sammlungen Hunderte menschliche Schädel. Sie stammen aus Ländern, die ehemals von den Kolonialmächten beherrscht wurden. Um ihre Rückführung gibt es oft ein jahrelanges Hin und Her zwischen Aktivistengruppen, Regierungen und Institutionen. Oft sind die Knochen keinen Personen mehr zuordenbar. Sie wurden nach Hinrichtungen als „Trophäen“nach Europa verfrachtet und der damaligen „Rassenforschung“zugeführt oder aus bestehenden Gräbern genommen. Ethik schien dabei keine Rolle zu spielen.
„Auch der Laie kann anthropologisches Material beschaffen“, liest Konradin Kunze am Beginn seiner Performance „Schädel X“vor. Jeder mitgebrachte Schädel sei wertvoller als eine bloße „Beschreibung des anthropologischen Typus“. Die Sätze stammen aus einer „Anleitung für ethnographische Beobachtungen und Sammlungen“von 1899.
Die Gruppe Flinnworks macht in dem Dokutheaterprojekt aus einem globalen Thema eine persönliche Spurensuche. Kunze baut Medienberichte über Rückgaben sowie eigene Recherchen und Interviews mit Forensikern oder Aktivisten in eine fiktive Familiengeschichte ein.
Beim Salzburger Festival Open Mind, das die ARGEkultur coronabedingt ins Internet verlegt hat, ist „Schädel X“als Filmversion im Netz zu sehen. Allein mit einem Totenkopf steht Kunze da auf der Bühne. Dieser sei ein schauriges Erbstück seines Urgroßonkels, der als Missionar nach Namibia gegangen sei, erzählt er. Erst als der Schauspieler es sich für ein „Hamlet“-Vorsprechen borgt, beginnt er, die Herkunft des Schädels zu hinterfragen. Er fasst den Plan, ihn zurückzubringen. Doch sein Versuch, ein Stück von der Erbschuld wiedergutzumachen, führt in einen Irrgarten zwischen medizinischen Gutachten, Restitutionspolitik und diplomatischen Verwicklungen. Immer wieder scheint es, als könne der Schädel seine letzte Ruhe finden. Immer wieder kommt er zurück zum Erzähler. Absurd komisch? Erschreckend real? Kunzes Reise mit dem Totenkopf als Begleiter ist beides.
Innerhalb des Festivals ist die Performance einer der Beiträge, die sich mit Kolonialismus-Folgen befassen. In verschiedenen Bereichen stellt Open Mind heuer die Frage „Wem gehört die Welt?“