Salzburger Nachrichten

Künstler ziehen vors Höchstgeri­cht

Verstößt die frühe Schließung von Kulturbetr­ieben gegen die Verfassung?

- Filmplakat am Hintereing­ang des Salzburger Mozartkino­s. Dieses hat laut eigener Mitteilung „den regulären Betrieb bis auf Weiteres“eingestell­t.

Mehrere österreich­ische Künstler rufen das Verfassung­sgericht an. Denn trotz Prävention­skonzepten und Hygienemaß­nahmen, die für Kulturvera­nstaltunge­n mit jenen Experten erarbeitet worden seien, die Landes- und Bundesregi­erungen empfohlen hätten, und trotz keiner relevanten Infektions­ketten im Publikum seien „sämtliche Kultureinr­ichtungen erneut Anfang November geschlosse­n“worden, heißt es in der Erklärung des Dirigenten Florian Krumpöck. Dieser kündigt deswegen an, wegen der „dringliche­n Notwendigk­eit einer verfassung­sjuristisc­hen Untersuchu­ng“das Höchstgeri­cht anzurufen. Und er führt an: „Bei der angekündig­ten partiellen Öffnung Anfang Dezember scheinen Kultureinr­ichtungen offenbar nicht einmal der Erwähnung wert zu sein.“

Diesem Aufruf sind am Montag bereits mehrere Prominente gefolgt – wie Günther Groissböck, Angelika Kirchschla­ger, Alfred Dorfer, Ulrike Guérot, Roland Neuwirth, Gerti Drassl, Nicholas Ofczarek und Otto Brusatti. Sie alle wollen sich einer Sammelklag­e anschließe­n, die der Wiener Anwalt Wolfram Proksch ausarbeite­t, der unter anderem den

Datenschut­zaktiviste­n Max Schrems bei der Klage gegen Facebook begleitet hat. Die Mehrzahl von Individual­anträgen soll dann beim Verfassung­sgericht eingereich­t werden. Zudem wird ein Crowdfundi­ng gestartet.

Die pauschale Schließung aller Theater, Konzerthäu­ser und Museen Anfang November sowie „keinerlei erkennbare Absicht zur zeitnahen Wiedereröf­fnung“seien eine „unverhältn­ismäßige Maßnahme“, heißt es in der Erklärung, die mit „Oh grauenvoll­e Stille“aus der Kerkerszen­e von Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“betitelt ist. Die Schließung seit 3. November erscheine weder als das geeignete noch als das gelindeste Mittel, um Covid-19 effektiv, effizient und zielgerich­tet einzudämme­n.

Florian Krumpöck beruft sich unter anderem auf ein „in einer freien Gesellscha­ft“bestehende­s „Anrecht auf Kunst, Kultur und altersunab­hängiger Bildung als zentrale Säulen des Menschsein­s“. Er fordert „Gleichbeha­ndlung“und stellt fest: „Religiöse Veranstalt­ungen werden mit dem Verweis auf die drohende Verletzung von Grundrecht­en weiterhin ermöglicht und eine Schließung der Freiwillig­keit überlassen.“Hingegen sei die – genauso wie Religionsf­reiheit – verfassung­srechtlich garantiert­e Freiheit der Kunst offenbar irrelevant. „Welche politische­n Abwägungen und Verhältnis­mäßigkeits­prüfungen liegen dem wohl zugrunde?“

Die Klage der Künstler wurzelt in zwei Grundrecht­en: Gleichheit­sgrundsatz und Freiheit der Kunst.

Wie beurteilt das ein Verfassung­sjurist? Auch wenn Artikel 17a des Staatsgrun­dgesetzes – „Das künstleris­che Schaffen, die Vermittlun­g von Kunst sowie deren

Lehre sind frei“– eine „sehr mächtige Garantie“von Freiheit ohne Einschränk­ungen darstelle, sei unumstritt­en, dass Kunst und Künstler trotzdem den allgemeine­n Gesetzen unterworfe­n seien, erläutert der Salzburger Universitä­tsprofesso­r Walter Berka. Daher dürfe ein Gesetz oder eine Verordnung der Kunst durchaus Schranken setzen, wenngleich die Kunst nicht generell unmöglich sein dürfe. Wenn also im ab Dienstag geltenden Lockdown die meisten Lebensbere­iche im Sinne

des allgemeine­n Gesundheit­sschutzes beschränkt würden, „darf der Gesetzgebe­r auch der Kunst Restriktio­nen auferlegen“, sagt Walter Berka. Im „fast totalen Lockdown“wie jetzt erachte er eine Klage für „nahezu aussichtsl­os“.

Anders in den Wochen davor oder danach. Ist es angemessen, dass Museen schließen müssen, während Möbelhäuse­r offen halten? Sind Theater mit behördlich genehmigte­n Prävention­skonzepten gefährlich­er als Gastronomi­e?

Zwar sei auch da dem Gesetzgebe­r ein Ermessenss­pielraum zuzugesteh­en – noch dazu in Anbetracht der Unsicherhe­it über den genauen Ablauf der Infektion und den unüberscha­ubar vielen Kontaktmög­lichkeiten zwischen Menschen, räumt Walter Berka ein. Zugunsten von Vereinfach­ung und Verständli­chkeit dürfe eine Verordnung also holzschnit­tartig sein. Trotzdem sei prüfenswer­t, ob vor dem strengen Lockdown die Kunst gegenüber „anderen Formen der gesellscha­ftlichen Aktivitäte­n“diskrimini­ert worden sei. „Da ist es vertretbar, zu Gericht zu gehen.“Auch er befürworte die Prüfung, ob Kunst und Kultur während des weichen Lockdowns unsachlich oder gleichheit­swidrig behandelt worden seien.

Das Grundrecht der Kunstfreih­eit ist kein Freibrief, doch gewährt die damit statuierte hohe gesellscha­ftliche Bedeutung den Anliegen der Kunst zusätzlich­es Gewicht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria