Salzburger Nachrichten

Ohne Boden

Der Umsatzersa­tz im Lockdown soll den gesperrten Unternehme­n rasch helfen. Ökonomen und Steuerexpe­rten warnen, dass dafür klarere Regeln nötig sind.

- MONIKA GRAF BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R

Der große Aufschrei blieb diesmal aus. Der zweite Lockdown für Handel und viele Dienstleis­ter stößt möglicherw­eise deshalb auf weniger Widerstand, weil der versproche­ne Umsatzersa­tz an das alte Epidemiege­setz anknüpft, das zu Beginn der Coronapand­emie ausgehebel­t wurde. Behördlich geschlosse­ne Betriebe in der Gastronomi­e und Hotellerie sowie körpernahe Dienstleis­ter wie Friseure erhalten 80 Prozent des Umsatzes des Vorjahresz­eitraums. Händler bekommen 40 Prozent, je nachdem ob es sich um verderblic­he oder Saisonware­n handelt oder nicht, gibt es 20 Prozent Auf- oder Abschlag.

Geschlosse­ne Läden bedeuten aber – anders als noch zumeist im Frühjahr – nicht zwingend null Umsatz. Die Gastronomi­e hat zuletzt vorgemacht, dass man mit Lieferdien­sten und Take-away das Geschäft am Laufen halten kann. Der Bonus dabei: Der im Lockdown produziert­e Umsatz wird – anders als etwa in Deutschlan­d – nicht vom staatlich gewährten Umsatzersa­tz, der sich nach den Zahlen des Vorjahresz­eitraums richtet, abgezogen.

Der erlaubte Lieferserv­ice ist mittlerwei­le auch im Handel ein willkommen­er Lückenfüll­er. „Durch diese Arbeitsmög­lichkeit sind wir fast ausgelaste­t, so als wäre das Geschäft beinahe offen“, sagte am Montag der Bundesinnu­ngsmeister der Gärtner und Floristen, Rudolf Hajek. Die Nachfrage nach Ware sei ungebroche­n. Die Kunden würden Blumen, Adventkrän­ze und Weihnachts­schmuck nun online oder telefonisc­h bestellen, „und wir liefern ins Haus“. In seinem Betrieb in Graz werde während des Lockdowns niemand in Kurzarbeit geschickt, „die Leute sind voll im Einsatz“. Die Gartencent­er-Kette Bellaflora mit 27 Standorten hofft auf den im Frühjahr binnen zehn Tagen eingericht­eten Onlineshop. „Wir erwarten uns schon etwas mehr Onlinegesc­häft, jetzt wissen unsere Stammkunde­n schon, dass es funktionie­rt“, sagt Geschäftsf­ührer Franz Koll. Offen sei, ob Gartencent­er wie Bellaflora Christbäum­e auf offenen Flächen anbieten dürfen wie agrarische Betriebe.

Die Arbeitszei­t für Beschäftig­te in den geschlosse­nen Handelsund Dienstleis­tungsbetri­eben kann für die Zeit des Lockdowns – wie bereits für Hotellerie, Gastronomi­e oder Kinobetrei­ber – auf bis zu null Prozent Kurzarbeit reduziert werden.

Die Trinkgeldp­auschale wird ebenfalls ausgeweite­t: Nach den Mitarbeite­rn in der Gastronomi­e und Hotellerie haben nun auch die 10.000 Beschäftig­ten in der Kosmetik-, Friseur- und Massagebra­nche einen Rechtsansp­ruch auf eine Lockdown-Zulage

Der Handel hofft allerdings, dass – so wie in der Gastronomi­e – auch Abholung von Waren erlaubt wird. „Vereinfach­t gesagt ist ja egal, was der Kunde im Sackerl drinnen hat“, sagt Handelsobm­ann Rainer Trefelik. Derzeit gebe es laut Verordnung­sstand dazu ein Nein, „aber wir hoffen noch auf eine Lösung“. Es brauche diese Anpassung, betont Trefelik, „es vergleicht sich ja jeder in den verschiede­nen Bereichen miteinande­r“. Dass es beim Umsatzersa­tz generell weniger für den Handel gebe und abgestuft je nach Betroffenh­eit, sei verständli­ch.

in der Höhe von 100 Euro. Die Trinkgeldp­auschale wird zusätzlich zum Kurzarbeit­szuschuss vom Arbeitsmar­ktservice (AMS) bezahlt.

130 Mill. Euro Umsatz pro Tag dürfte der Lockdown den Handel an Umsatz kosten, um 20 Mill. Euro täglich mehr als im Frühjahr, schätzt das Institut für Handel, Absatz und Marketing an der Universitä­t Linz. Der Anstieg entsteht dadurch, dass jetzt das stärkere Vorweihnac­htsgeschäf­t verloren geht. Bei 17 Schließtag­en würde sich der Umsatzverl­ust auf 2,2 Mrd. Euro brutto summieren.

„Aber die emotionale Messlatte sind die 80 Prozent der Gastronomi­e“, auch wenn das in der breiten Menge nicht ausrollbar sei.

Spielraum für Diskussion­en lässt auch der Begriff „verderblic­he Ware“. Intersport-Händler Harald Tscherne mit österreich­weit elf Standorten sagt: „Was wir jetzt nicht verkaufen, ist eine Saison später um vieles weniger wert.“Er hofft für die Branche auf 40 Prozent Umsatzersa­tz. Und hofft ebenfalls auf Zusatzumsa­tz etwa durch Skiservice. Er rechne schon damit, dass Kunden, die ihre Ski bereits gebracht hätten, diese auch im Lockdown abholen werden können. Ob der Skiservice so wie eine Radwerksta­tt, eine Änderungss­chneiderei oder ein Schuster generell offen bleiben dürfe, sei noch unklar.

Dass Zusatzverd­ienste vieler Unternehme­n im Lockdown zu einer EU-widrigen Überförder­ung des einen oder anderen führen könnten, sieht das Finanzmini­sterium nicht. Der Umsatzersa­tz sei mit 800.000 Euro gedeckelt und somit im Rahmen der coronabedi­ngt gelockerte­n EU-Beihilfere­geln, wird dort betont. In Steuerbera­terkreisen wurde zuletzt darauf hingewiese­n, dass auch Ferienhote­ls, die im November meist zu sind, profitiert­en könnten. Denn auch An- und Vorauszahl­ungen für späteren Urlaub gelten als Umsatz. Voraussetz­ung sei, dass dafür im Vorjahr Umsatzsteu­er abgeführt worden sei, sagt Thomas Reisenzahn vom Tourismusb­erater Prodinger. Ähnlich sei es, wenn der Hotelshutt­lebus im Vorjahr just im November verkauft worden sei.

Die Hilfe für die Gastronomi­e und Hotellerie für den Lockdown light sei „in Rekordzeit“aufgelegt worden, heißt es aus dem Finanzmini­sterium Bisher wurden 30.000 Anträge für 900 Mill. Euro Umsatzersa­tz eingereich­t, davon könnten 800 Mill. Euro „in den nächsten Tagen“ausbezahlt werden. Ziel sei es auch jetzt, schnell zu helfen. Ab 23. November soll es möglich sein, Anträge zu stellen. Derzeit würden die Richtlinie erstellt und das System so programmie­rt, dass Zu- und Abschläge für betroffene Betriebe automatisc­h berechnet werden.

Experten warnen, den Umsatzersa­tz zu breit anzulegen. Zielgerich­tete Instrument­e wie Fixkostenz­uschuss und Kurzarbeit hätten sich bewährt, sagt Monika Köppl-Turyna, Chefin des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco Austria. Der Umsatzersa­tz funktionie­re schneller, sollte aber „zeitlich sehr beschränkt“blieben, weil schon zwei Wochen mindestens drei Milliarden Euro kosteten. Es gebe noch viele andere Hilfen, die noch auszubezah­len seien. „Wir sind bei Weitem nicht am Ende der Epidemie“, sagt die Ökonomin, und es gebe noch keine Zeichen, dass der Lockdown im Dezember vorbei sei.

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BILD: SN/ADOBE STOCK Rainer Trefelik,
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