Merkel drängt auf harten Kurs
Maskenpflicht für Schüler und weniger Kontakte: Die deutsche Kanzlerin will die Coronamaßnahmen weiter verschärfen. Bei den Ministerpräsidenten regt sich Widerstand.
Der Blick in die Nachbarländer Schweiz und Österreich ist der Kanzlerin Warnung genug. Dort sind die Infektionszahlen etwa um den Faktor vier höher als in Deutschland. Angela Merkel will vor allem eines verhindern: einen harten Lockdown, wie ihn die Regierung in Wien beschlossen hat.
Noch sind die Zahlen im Verhältnis zur Bevölkerung in Deutschland deutlich geringer als in der Schweiz und Österreich. Die seit Anfang November geltenden Restriktionen scheinen ein bisschen zu wirken, das exponentielle Wachstum der Pandemie konnte gestoppt werden. Am Montag meldeten die Gesundheitsämter knapp 11.000 Neuinfektionen – eine Zahl, die indes mit Vorsicht zu genießen ist, da über das Wochenende weniger getestet wird. Noch Ende vergangener Woche verzeichnete das Robert-KochInstitut (RKI) weit über 20.000 Neuinfektionen an einem Tag.
Das zuletzt leicht abgeflachte Infektionsgeschehen erschwert es Merkel indes, Verschärfungen im Kampf gegen Corona durchzubringen. Bei der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer am Montag wiederholte sich ein Szenario, das sich bei einer ähnlichen Konferenz schon Mitte Oktober zugetragen hatte: Merkel drängt auf Verschärfungen, scheitert aber am Widerstand der Ministerpräsidenten. Im Oktober setzte sich Merkel etwa mit dem Beherbergungsverbot für innerdeutsche Reisen nicht so durch, wie sie sich das gewünscht hatte.
Auch am Montag konnte Merkel mit ihren Vorschlägen bei der Runde mit den Länderchefs scheinbar nicht recht durchdringen. Die „Bild“-Zeitung spricht von „CoronaKlatsche“für die Kanzlerin und „Riesenzoff beim Ländergipfel“. Konkret sind verschärfte Maßnahmen in den Schulen vorerst vom Tisch, heißt es. Merkel wollte die Anzahl der Schüler in den Schulklassen halbieren und eine erweiterte Maskenpflicht für Schüler und Lehrer durchsetzen. Zudem wollte die Kanzlerin eine erweiterte Kontaktbeschränkung für Kinder und Jugendliche durchsetzen. Kinder hätten in der Freizeit mit nur noch einer festen Freundin oder einem festen Freund spielen dürfen. Diese Eingriffe in den Schulalltag und das Private gingen einem Teil der Länderchefs zu weit. Nun soll in einer Woche abermals über den strittigen Punkt debattiert werden.
Nicht durchsetzen konnte sich Merkel auch bei Kontaktbeschränkungen für Erwachsene. Es bleibt nun bei einem Appell, dass der Aufenthalt in der Öffentlichkeit nur mit Angehörigen des eigenen und maximal zwei Personen eines weiteren Haushalts stattfinden soll. Wer dagegen verstößt, darf indes nicht, wie von Merkel geplant, gestraft werden. Die Zeitung „Die Welt“ sieht den Weg der Kompromisse in der aktuellen deutschen Coronapolitik kritisch und blickt nach Österreich, wo Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trotz steigender Zahlen lange zu zögerlich gehandelt habe. Der harte Lockdown in Österreich „ist nichts weniger als das Eingeständnis des Scheiterns des Versuchs, es allen recht zu machen“, kommentierte „Die Welt“zum Schluss. Merkel dürfte das kaum anders sehen.
Klar scheint hingegen, dass der in Deutschland seit Anfang November geltende „Mini-Lockdown“mit geschlossenen Restaurants, Kulturstätten und Kontaktbeschränkungen nicht bereits Anfang Dezember wieder aufgehoben wird. Bis zum Weihnachtsfest sollen die Menschen in Deutschland komplett auf private Feiern verzichten, die Reisebeschränkungen gelten vorerst weiter. Die Menschen werden auch dazu angehalten, den öffentlichen Verkehr, wenn immer möglich, zu meiden. Wer einer Risikogruppe angehört, soll vergünstigte FFP2-Masken erhalten.
Für Mittwoch kommender Woche hat Merkel ein längerfristig geltendes Coronavirus-Konzept angekündigt. Dann sollen Beschlüsse auf den Weg gebracht werden, die auch über den Jahreswechsel hinweg gelten sollten, kündigte sie an. Damit solle es Planbarkeit für die Bevölkerung geben.
Eine hitzige Debatte über die Coronapolitik steht schon diesen Mittwoch an. Im Bundestag soll das Infektionsschutzgesetz um einen Paragrafen erweitert werden. Schutzmaßnahmen, Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Gaststätten und Theatern und dem Einzelhandel sollen in dem Gesetz einheitlich geregelt werden. Damit will die Bundesregierung die Coronapolitik auf bessere rechtliche Grundlagen stellen. Zuletzt wurden in den Bundesländern verschiedene Coronamaßnahmen von Gerichten gekippt. Vor allem die FDP kritisiert den neuen Paragrafen. Parteichef Christian Lindner sprach von einem „rechtspolitischen Feigenblatt“, um die Einschränkungen nachträglich zu legitimieren.