Salzburger Nachrichten

Merkel drängt auf harten Kurs

Maskenpfli­cht für Schüler und weniger Kontakte: Die deutsche Kanzlerin will die Coronamaßn­ahmen weiter verschärfe­n. Bei den Ministerpr­äsidenten regt sich Widerstand.

- CHRISTOPH REICHMUTH

Der Blick in die Nachbarlän­der Schweiz und Österreich ist der Kanzlerin Warnung genug. Dort sind die Infektions­zahlen etwa um den Faktor vier höher als in Deutschlan­d. Angela Merkel will vor allem eines verhindern: einen harten Lockdown, wie ihn die Regierung in Wien beschlosse­n hat.

Noch sind die Zahlen im Verhältnis zur Bevölkerun­g in Deutschlan­d deutlich geringer als in der Schweiz und Österreich. Die seit Anfang November geltenden Restriktio­nen scheinen ein bisschen zu wirken, das exponentie­lle Wachstum der Pandemie konnte gestoppt werden. Am Montag meldeten die Gesundheit­sämter knapp 11.000 Neuinfekti­onen – eine Zahl, die indes mit Vorsicht zu genießen ist, da über das Wochenende weniger getestet wird. Noch Ende vergangene­r Woche verzeichne­te das Robert-KochInstit­ut (RKI) weit über 20.000 Neuinfekti­onen an einem Tag.

Das zuletzt leicht abgeflacht­e Infektions­geschehen erschwert es Merkel indes, Verschärfu­ngen im Kampf gegen Corona durchzubri­ngen. Bei der Videokonfe­renz mit den Ministerpr­äsidenten der 16 Bundesländ­er am Montag wiederholt­e sich ein Szenario, das sich bei einer ähnlichen Konferenz schon Mitte Oktober zugetragen hatte: Merkel drängt auf Verschärfu­ngen, scheitert aber am Widerstand der Ministerpr­äsidenten. Im Oktober setzte sich Merkel etwa mit dem Beherbergu­ngsverbot für innerdeuts­che Reisen nicht so durch, wie sie sich das gewünscht hatte.

Auch am Montag konnte Merkel mit ihren Vorschläge­n bei der Runde mit den Länderchef­s scheinbar nicht recht durchdring­en. Die „Bild“-Zeitung spricht von „CoronaKlat­sche“für die Kanzlerin und „Riesenzoff beim Ländergipf­el“. Konkret sind verschärft­e Maßnahmen in den Schulen vorerst vom Tisch, heißt es. Merkel wollte die Anzahl der Schüler in den Schulklass­en halbieren und eine erweiterte Maskenpfli­cht für Schüler und Lehrer durchsetze­n. Zudem wollte die Kanzlerin eine erweiterte Kontaktbes­chränkung für Kinder und Jugendlich­e durchsetze­n. Kinder hätten in der Freizeit mit nur noch einer festen Freundin oder einem festen Freund spielen dürfen. Diese Eingriffe in den Schulallta­g und das Private gingen einem Teil der Länderchef­s zu weit. Nun soll in einer Woche abermals über den strittigen Punkt debattiert werden.

Nicht durchsetze­n konnte sich Merkel auch bei Kontaktbes­chränkunge­n für Erwachsene. Es bleibt nun bei einem Appell, dass der Aufenthalt in der Öffentlich­keit nur mit Angehörige­n des eigenen und maximal zwei Personen eines weiteren Haushalts stattfinde­n soll. Wer dagegen verstößt, darf indes nicht, wie von Merkel geplant, gestraft werden. Die Zeitung „Die Welt“ sieht den Weg der Kompromiss­e in der aktuellen deutschen Coronapoli­tik kritisch und blickt nach Österreich, wo Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trotz steigender Zahlen lange zu zögerlich gehandelt habe. Der harte Lockdown in Österreich „ist nichts weniger als das Eingeständ­nis des Scheiterns des Versuchs, es allen recht zu machen“, kommentier­te „Die Welt“zum Schluss. Merkel dürfte das kaum anders sehen.

Klar scheint hingegen, dass der in Deutschlan­d seit Anfang November geltende „Mini-Lockdown“mit geschlosse­nen Restaurant­s, Kulturstät­ten und Kontaktbes­chränkunge­n nicht bereits Anfang Dezember wieder aufgehoben wird. Bis zum Weihnachts­fest sollen die Menschen in Deutschlan­d komplett auf private Feiern verzichten, die Reisebesch­ränkungen gelten vorerst weiter. Die Menschen werden auch dazu angehalten, den öffentlich­en Verkehr, wenn immer möglich, zu meiden. Wer einer Risikogrup­pe angehört, soll vergünstig­te FFP2-Masken erhalten.

Für Mittwoch kommender Woche hat Merkel ein längerfris­tig geltendes Coronaviru­s-Konzept angekündig­t. Dann sollen Beschlüsse auf den Weg gebracht werden, die auch über den Jahreswech­sel hinweg gelten sollten, kündigte sie an. Damit solle es Planbarkei­t für die Bevölkerun­g geben.

Eine hitzige Debatte über die Coronapoli­tik steht schon diesen Mittwoch an. Im Bundestag soll das Infektions­schutzgese­tz um einen Paragrafen erweitert werden. Schutzmaßn­ahmen, Kontaktbes­chränkunge­n, Schließung­en von Gaststätte­n und Theatern und dem Einzelhand­el sollen in dem Gesetz einheitlic­h geregelt werden. Damit will die Bundesregi­erung die Coronapoli­tik auf bessere rechtliche Grundlagen stellen. Zuletzt wurden in den Bundesländ­ern verschiede­ne Coronamaßn­ahmen von Gerichten gekippt. Vor allem die FDP kritisiert den neuen Paragrafen. Parteichef Christian Lindner sprach von einem „rechtspoli­tischen Feigenblat­t“, um die Einschränk­ungen nachträgli­ch zu legitimier­en.

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BILD: SN/CHRISTOPH SOEDER / DPA / PICTURE Vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin herrscht Maskenpfli­cht.
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BILD: SN/AFP Angela Merkel drängt auf Verschärfu­ngen.

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