Genesen, aber noch nicht fit
Auch Monate nach einer Infektion klagen einige über Atembeschwerden oder Müdigkeit. Was man über Langzeitfolgen von Corona weiß.
INNSBRUCK, LINZ. Von einer Sekunde auf die andere geht ihr die Kraft aus. Das Kaffeehäferl wird zu schwer. Die Stufen in die Wohnung im dritten Stock scheinen endlos. Bei der 31-jährigen Andrea wurde Anfang Oktober Covid-19 festgestellt. Den Verlauf beschreibt sie als mild – Fieber, Husten, Kopfweh sowie Geruchs- und Geschmacksverlust dominierten. Aber: „Ich war absolut kraftlos und so fühle ich mich heute oft immer noch“, sagt sie acht Wochen später. Damit ist die Steirerin, die in Salzburg wohnt, nicht allein. Mediziner schätzen, dass rund die Hälfte der Covid-19-Patienten an dieser speziellen Form der Erschöpfung leiden, im Fachjargon auch „Fatigue“genannt.
Acht Monate nach Ausbruch der Coronapandemie lassen sich mögliche Langzeitfolgen der Erkrankung nur in Ansätzen erkennen. Fatigue zählt laut einer Studie des Londoner Kings College zu den bisher am häufigsten festgestellten Folgen. Dazu kommen Atemwegsbeschwerden wie Husten und Kurzatmigkeit, diffuse Symptome wie Darm- und Herzbeschwerden oder neuronale Folgen wie Konzentrationsstörungen oder Depressionen.
„Viele sprechen auch von PostCovid-Syndromen“, sagt Konrad Schulz, Medizinischer Direktor der Klinik Bad Reichenhall. Die spezielle Form der Müdigkeit kenne man zum Beispiel von anderen Virusinfektionen. Ob der Ursachen stochern Forscher noch im Dunklen. Eine abschließende Erklärung dafür gebe es nicht.
Noch sei es zu früh, über wirkliche Langzeitfolgen von Covid-19 zu sprechen, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Kepler-Uniklinikums in Linz. Ein Blick nach Asien und der SARS-Epidemie aus dem Jahr 2003 könnte jedoch Hinweise für die aktuelle Pandemie liefern.
Dabei fiel auf, dass einige Menschen auch Monate und Jahre nach der Infektion mit dem Virus noch Probleme hatten. 60 Prozent von 117 Befragten berichteten in einer Studie aus Toronto, wo es den größten Ausbruch außerhalb Asiens gegeben hatte, dass sie noch ein Jahr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus an Fatigue litten. Kann dieses Schicksal auch SARS-CoV-2Patienten blühen?
„Im Moment sieht es aus, als sei das nicht in so hohem Prozentsatz der Fall“, sagt Lamprecht. Generell sei es schwierig, zwischen unmittelbaren Effekten einer Virusinfektion oder Auswirkungen zum Beispiel eines längeren Krankenhausaufenthalts zu unterscheiden.
Bei Viren, die vor allem Lungenzellen angreifen, liegt es auf der Hand, auch in diese Richtung zu schauen. Die Studie zu SARS-1 zeigte: Bei 30 Prozent der Patienten wurden in relevantem Ausmaß Veränderungen an der Lungenfunktion festgestellt, davon war bei der Hälfte die Gasaustauschfähigkeit der Lunge betroffen. „Bei der überwiegenden Zahl der schweren Coronafälle haben sich Veränderungen an der Lunge, die in der Akutphase entstanden sind, aber zurückgebildet“, sagt Lamprecht.
Die Rückbildung sei zeitaufwendig. Auch bei normalen Lungenentzündungen müsse man etwa sechs Wochen Regeneration einberechnen. Deshalb sollte man nach einer Coronainfektion besonders vorsichtig sein: Leide man drei Monate nach der Akutphase noch an Atemnot, rät der Experte zu einem Gang zum Facharzt.
Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen der Schwere der Erkrankung und potenziellen Spätfolgen? „Wenn ein Patient intensivpflichtig ist und künstlich beatmet werden muss, ist die Wahrscheinlichkeit für Restschäden im Lungenund Nervensystem höher“, sagt Lungenfachärztin Judith Löffler-Ragg von der MedUni Innsbruck. Bei 60 Prozent der Patienten mit einem krankenhauspflichtigen Verlauf wurden auch nach drei Monaten noch Veränderungen an der Lunge festgestellt. Doch auch Löffler-Ragg gibt Anlass zur Hoffnung: „Vor allem durch gute Rehabilitation bildeten sich die meisten Veränderungen an der Lunge im Laufe der Zeit deutlich zurück.“Für langfristige Vernarbungen der Lunge gebe es keine Hinweise.
Was die lang anhaltende Schlappheit nach einer Coronainfektion betrifft, vermutet Schultz: „Je stärker die Leute erkranken, desto eher scheinen sie von dieser Müdigkeit betroffen zu sein.“Ein eindeutiger Zusammenhang sei jedoch nicht belegt.
Fest steht, dass Corona wohl ein Risiko für den ganzen Körper darstellt, das bestätigen auch die Mediziner. „Durchblutungsstörungen, die mit einer Coronainfektion einhergehen, sowie Sauerstoffmangel und akute Entzündungen können letzten Endes allen Organen zusetzen“, sagt Lamprecht.
Wer mit höherer Wahrscheinlichkeit an Langzeitfolgen leiden wird, ist ungewiss. Die Studie des Kings College aus London liefert Hinweise: Rund zehn Prozent der 18- bis 49-Jährigen waren demnach von Langzeitfolgen betroffen, bei den über 70-Jährigen sogar 22 Prozent. Sowohl das Gewicht als auch spezielle Vorbelastungen wie Asthma spielten eine Rolle. Und: Frauen waren der Studie nach eher betroffen als Männer.
Die Ärzte sind sich einig, dass eine gezielte, multidisziplinäre Rehabilitation Langzeitfolgen bessern kann. „Es gibt ermutigende Daten, dass auch Fatigue bei diesen Patienten besser wird“, sagt Schultz.
Die 31-jährige Andrea lässt es langsam angehen. Der hohe Puls bei leichten Tätigkeiten wird seltener. „Nach größeren Spazierrunden spüre ich aber immer noch jeden Herzschlag.“Ein Rat, den sich Betroffene zu Herzen nehmen sollten? Symptome ernst nehmen und vom Arzt abklären lassen.