Salzburger Nachrichten

Frontex kämpft mit schweren Vorwürfen

Die EU-Grenzschüt­zer sollen am illegalen Zurückdrän­gen von Migranten in der Ägäis beteiligt sein. Geprüft werden die Vorwürfe intern – schon seit Wochen und bislang ohne Ergebnis.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Ein überfüllte­s Flüchtling­sboot, daneben ein kleines Rettungssc­hiff der griechisch­en Küstenwach­e und in etwas Entfernung eine Patrouille der EU-Grenzschut­zagentur Frontex. Eine Szene wie auf dem Bild oben ist keine Seltenheit in der Ägäis. Genauso wenig offenbar wie jene Szenen, die NGOs schon seit Jahren beschreibe­n und kritisiere­n. Ihr Vorwurf lautet, die griechisch­en Grenzschüt­zer würden Flüchtling­e in türkische Gewässer zurückdrän­gen.

Gestützt ist diese Behauptung mittlerwei­le durch etliche Videoaufna­hmen. Vor gut einem Monat ist erstmals Material veröffentl­icht worden, das eine Beteiligun­g von Frontex an dieser Praxis nahelegt.

Der „Spiegel“hatte nach gemeinsame­n Recherchen mit den Medienplat­tformen Lighthouse Reports, Bellingcat, dem ARD-Magazin „Report Mainz“und dem japanische­n Fernsehsen­der tv Asahi berichtet, Frontex sei seit April bei mindestens sechs sogenannte­n Pushbacks in griechisch­en Gewässern in unmittelba­rer Nähe und bei mindestens einem selbst verwickelt gewesen. Griechisch­e Grenzschüt­zer hätten dabei Flüchtling­sboote abgefangen und in türkische Gewässer zurückgesc­hleppt.

Die Vorwürfe sind deshalb so gravierend, weil es sich bei den Zurückweis­ungen der Menschen in den Flüchtling­sbooten um eine Verletzung der Menschenre­chte handelt, konkret um eine Missachtun­g der Genfer Flüchtling­skonventio­n, der sich die EU-Länder verpflicht­et haben.

Sollten die Vorwürfe tatsächlic­h stimmen, wäre das „absolut inakzeptab­el“, sagte daher die zuständige EU-Kommissari­n Ylva Johansson gleich nach deren Bekanntwer­den. Die EU-Kommission ordnete umgehend eine Sondersitz­ung des Frontex-Rats ein, eine interne Ermittlung wurde eingeleite­t. Der Direktor von Frontex, Fabrice Leggeri, müsse die volle Verantwort­ung übernehmen, ermitteln und eine Antwort präsentier­en, was wirklich passiert sei, forderte Johansson.

Bislang ist Leggeri diese Antwort allerdings schuldig geblieben. Das auf dem Videomater­ial Offensicht­liche gestand auch er ein: dass Frontex-Einheiten bei den Pushbacks in der Nähe waren. Ob die Mannschaft­en wussten, was vor sich geht, müsse aber noch untersucht werden. Die Rede war auch von schlechten Sichtverhä­ltnissen, weshalb Frontex möglicherw­eise die Rückweisun­gen nicht gesehen haben könnte.

Der Frontex-Rat hat von Leggeri in seiner Sondersitz­ung vor gut zwei Wochen eine ausführlic­here schriftlic­he Erklärung gefordert, die beim nächsten Treffen besprochen werden sollte. Das fand am Mittwoch und Donnerstag statt. Das Zwischener­gebnis der internen Ermittlung­en bis dahin: „Es gibt keine Beweise einer direkten oder indirekten Teilnahme von FrontexMit­arbeitern oder Offizieren, die in Frontex-Operatione­n eingesetzt sind, an den vorgeworfe­nen Pushbacks in der Ägäis“, ließ Frontex in einer Stellungna­hme auf SN-Anfrage hin wissen. Die Ermittlung­en seien aber noch nicht abgeschlos­sen. Zu allen sechs Fällen, über die in den Medien berichtet wurde, seien Fakten und Situations­berichte gesammelt worden. Interne Arbeitsgru­ppen sollen weiter ermitteln.

Doch es mehren sich die Zweifel, wie viel diese internen Ermittlung­en bringen. Die europäisch­e Bürgerbeau­ftragte Emily O’Reilly hat mittlerwei­le eine eigene Untersuchu­ng gestartet. Sie will prüfen, wie gut zwei Maßnahmen funktionie­ren, die sie Frontex 2013 empfohlen hat: die Einrichtun­g eines internen Beschwerde­mechanismu­s und die Anstellung eines Beauftragt­en für Grundrecht­e. O’Reilly hat einen Fragenkata­log an Frontex geschickt, bis Jänner soll es Antworten geben.

Am Mittwoch haben indes mehrere deutsche Medien berichtet, dass es um die internen Kontrollme­chanismen bei Frontex schlecht bestellt sei. Nach diesen Regeln müssen Frontex-Beamte Pushbacks melden, die sie beobachten. Weil es keine solche Meldung gab, habe es laut Leggeri auch keine Vorfälle gegeben. „Spiegel“berichtet aber unter Berufung auf Teilnehmer der Frontex-Sondersitz­ung, es habe sehr wohl solche Vorfälle gegeben und eine schwedisch­e Crew habe einen Bericht verfassen wollen. Der zuständige Frontex-Beamte habe allerdings geraten, das nicht zu tun.

„Es gibt keine Beweise für eine Teilnahme von Frontex-Mitarbeite­rn.“

Stellungna­hme von Frontex

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