Frontex kämpft mit schweren Vorwürfen
Die EU-Grenzschützer sollen am illegalen Zurückdrängen von Migranten in der Ägäis beteiligt sein. Geprüft werden die Vorwürfe intern – schon seit Wochen und bislang ohne Ergebnis.
Ein überfülltes Flüchtlingsboot, daneben ein kleines Rettungsschiff der griechischen Küstenwache und in etwas Entfernung eine Patrouille der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Eine Szene wie auf dem Bild oben ist keine Seltenheit in der Ägäis. Genauso wenig offenbar wie jene Szenen, die NGOs schon seit Jahren beschreiben und kritisieren. Ihr Vorwurf lautet, die griechischen Grenzschützer würden Flüchtlinge in türkische Gewässer zurückdrängen.
Gestützt ist diese Behauptung mittlerweile durch etliche Videoaufnahmen. Vor gut einem Monat ist erstmals Material veröffentlicht worden, das eine Beteiligung von Frontex an dieser Praxis nahelegt.
Der „Spiegel“hatte nach gemeinsamen Recherchen mit den Medienplattformen Lighthouse Reports, Bellingcat, dem ARD-Magazin „Report Mainz“und dem japanischen Fernsehsender tv Asahi berichtet, Frontex sei seit April bei mindestens sechs sogenannten Pushbacks in griechischen Gewässern in unmittelbarer Nähe und bei mindestens einem selbst verwickelt gewesen. Griechische Grenzschützer hätten dabei Flüchtlingsboote abgefangen und in türkische Gewässer zurückgeschleppt.
Die Vorwürfe sind deshalb so gravierend, weil es sich bei den Zurückweisungen der Menschen in den Flüchtlingsbooten um eine Verletzung der Menschenrechte handelt, konkret um eine Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention, der sich die EU-Länder verpflichtet haben.
Sollten die Vorwürfe tatsächlich stimmen, wäre das „absolut inakzeptabel“, sagte daher die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson gleich nach deren Bekanntwerden. Die EU-Kommission ordnete umgehend eine Sondersitzung des Frontex-Rats ein, eine interne Ermittlung wurde eingeleitet. Der Direktor von Frontex, Fabrice Leggeri, müsse die volle Verantwortung übernehmen, ermitteln und eine Antwort präsentieren, was wirklich passiert sei, forderte Johansson.
Bislang ist Leggeri diese Antwort allerdings schuldig geblieben. Das auf dem Videomaterial Offensichtliche gestand auch er ein: dass Frontex-Einheiten bei den Pushbacks in der Nähe waren. Ob die Mannschaften wussten, was vor sich geht, müsse aber noch untersucht werden. Die Rede war auch von schlechten Sichtverhältnissen, weshalb Frontex möglicherweise die Rückweisungen nicht gesehen haben könnte.
Der Frontex-Rat hat von Leggeri in seiner Sondersitzung vor gut zwei Wochen eine ausführlichere schriftliche Erklärung gefordert, die beim nächsten Treffen besprochen werden sollte. Das fand am Mittwoch und Donnerstag statt. Das Zwischenergebnis der internen Ermittlungen bis dahin: „Es gibt keine Beweise einer direkten oder indirekten Teilnahme von FrontexMitarbeitern oder Offizieren, die in Frontex-Operationen eingesetzt sind, an den vorgeworfenen Pushbacks in der Ägäis“, ließ Frontex in einer Stellungnahme auf SN-Anfrage hin wissen. Die Ermittlungen seien aber noch nicht abgeschlossen. Zu allen sechs Fällen, über die in den Medien berichtet wurde, seien Fakten und Situationsberichte gesammelt worden. Interne Arbeitsgruppen sollen weiter ermitteln.
Doch es mehren sich die Zweifel, wie viel diese internen Ermittlungen bringen. Die europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly hat mittlerweile eine eigene Untersuchung gestartet. Sie will prüfen, wie gut zwei Maßnahmen funktionieren, die sie Frontex 2013 empfohlen hat: die Einrichtung eines internen Beschwerdemechanismus und die Anstellung eines Beauftragten für Grundrechte. O’Reilly hat einen Fragenkatalog an Frontex geschickt, bis Jänner soll es Antworten geben.
Am Mittwoch haben indes mehrere deutsche Medien berichtet, dass es um die internen Kontrollmechanismen bei Frontex schlecht bestellt sei. Nach diesen Regeln müssen Frontex-Beamte Pushbacks melden, die sie beobachten. Weil es keine solche Meldung gab, habe es laut Leggeri auch keine Vorfälle gegeben. „Spiegel“berichtet aber unter Berufung auf Teilnehmer der Frontex-Sondersitzung, es habe sehr wohl solche Vorfälle gegeben und eine schwedische Crew habe einen Bericht verfassen wollen. Der zuständige Frontex-Beamte habe allerdings geraten, das nicht zu tun.
„Es gibt keine Beweise für eine Teilnahme von Frontex-Mitarbeitern.“
Stellungnahme von Frontex