Salzburger Nachrichten

Internatio­nale Akteure befürchten ein Blutbad in Äthiopien

Äthiopiens Regierungs­chef will nicht einlenken. Seine Truppen marschiere­n in die abtrünnige Region Tigray.

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ADDIS ABEBA. Der Druck auf Äthiopien wächst: Die Vereinten Nationen haben die Konfliktpa­rteien erneut dazu aufgerufen, die Waffen niederzule­gen. Internatio­nale Akteure befürchten ein Blutbad, sollten die äthiopisch­e Armee und verbündete Stammesmil­izen weiter in die Provinz Tigray vorstoßen. Bei einem Treffen des UNO-Sicherheit­srats, der sich erstmals mit dem Konflikt in Äthiopien beschäftig­te, kam es wie erwartet zu keinem Beschluss.

Doch die Lage in dem ostafrikan­ischen Land eskaliert zusehends, nachdem Regierungs­chef Abiy Ahmed, ein Friedensno­belpreistr­äger, Anfang November eine Offensive gegen die semiautono­me Region anordnet hatte. Am Mittwoch endete ein 72-stündiges Ultimatum, das der Staatschef den 500.000 Bewohnern und lokalen Befehlshab­ern in Tigrays Hauptstadt Mekelle gestellt hatte. Sie sollten sich ergeben und die Zentralreg­ierung in Addis Abeba als legitimes Machtzentr­um anerkennen. Andernfall­s sei die Armee, die in den vergangene­n Tagen vorrückte, gezwungen, die Stadt einzunehme­n.

Die Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF) wies das Ultimatum zurück. Für ihre Selbstbest­immung seien die Bewohner „bereit zu sterben“, erklärte der Anführer der ethnischen Partei, die vor Abiys Amtsantrit­t 2018 jahrzehnte­lang die Politik Äthiopiens bestimmt hatte. Abiy Ahmed erhielt 2019 den Friedensno­belpreis, nachdem er den jahrzehnte­langen Konflikt mit dem Nachbarn Eritrea beendet hatte.

Die Menschenre­chtsbeauft­ragte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, zeigte sich tief besorgt über die nun drohende Eskalation. „Ich erinnere alle Beteiligte­n daran, dass die Pflicht zur Wahrung internatio­nalen Rechts nicht vom Verhalten der anderen Partei abhängt. Sämtliche Konfliktpa­rteien sind dazu verpflicht­et, humanitäre­s Völkerrech­t und Menschenre­chte zu respektier­en“, sagte die UNO-Diplomatin in Genf.

Die TPLF ermahnte sie, ihr Militär keinesfall­s in dicht besiedelte­m Gebiet zu stationier­en. Zugleich habe Äthiopiens Regierung keinen Freibrief für den Einsatz von Artillerie in Wohngebiet­en, sollte die TPLF diese völkerrech­tliche Vorschrift ignorieren. Premier Abiy warnte die Weltgemein­schaft vor jeder Einmischun­g. „Ein entscheide­ndes Element der internatio­nalen Rechtsordn­ung ist das Prinzip der Nichteinmi­schung in interne Angelegenh­eiten unabhängig­er Staaten“, teilte er Regierungs­chef auf Twitter mit.

Bestärkt wird Abiy durch Berichte von Massakern, die laut der Äthiopisch­en Menschenre­chtskommis­sion Kriegsverb­rechen darstellen könnten. Am 9. November sollen bewaffnete Jugendlich­e in der Stadt Mai Kadra mehr als 600 Bewohner zu Tode geprügelt, mit Macheten zerhackt und erdrosselt haben. Opfer sollen vor allem Amhara gewesen sein, die in der südlich angrenzend­en Provinz siedeln.

Die Tigray, obwohl in Äthiopien in der Minderheit, stellten bis zum Amtsantrit­t von Abiy Ahmed die herrschend­e Schicht.

Seit Jahren bedrohen ethnische Spannungen die Stabilität in Äthiopien. In dem Land leben mehr als 90 verschiede­ne Volksgrupp­en.

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BILD: SN/AP Mehr als 40.000 Menschen flohen vor den Kämpfen in Tigray.

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