Salzburger Nachrichten

Streamen in der Nische

Der ORF hat vor Kurzem sein Videoporta­l Flimmit neu aufgesetzt. Während der Rundfunk viel Potenzial ortet, kritisiert die Konkurrenz den Bezahlzuga­ng.

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WIEN. „Flimmit bietet einen guten Überblick über das österreich­ische Filmschaff­en und erweitert die TVthek des ORF, wo Filme und Serien derzeit nur sieben Tage online sein dürfen“, umreißt Regisseuri­n und Drehbuchau­torin Mirjam Unger die Bedeutung des österreich­ischen Streamingd­ienstes. „Fernsehen und Streaming haben Hochsaison, dafür braucht es guten Content. Flimmit ist liebevoll kuratiert und traut sich in künstleris­che Gefilde“, ergänzt sie.

Unger sitzt gerade im Schneidera­um für die sechste Staffel der „Vorstadtwe­iber“. Im Jänner werden die „Weiber“im ORF wieder intrigiere­n dürfen. Und das ist auch gut für Flimmit, das vor Kurzem einem umfassende­n Relaunch unterzogen wurde. Denn die vergangene Staffel war einer der Höhepunkte der Plattform, bestätigt Wolfgang Höfer. Er ist mit sechs weiteren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn seit einem Jahr für die Gestaltung des Diensts verantwort­lich. Dieser ist seit 2016 mehrheitli­ch und nun zu 100 Prozent Teil der ORF-Tochter

Online und Teletext GmbH & Co KG. Mit aktuell rund 4000 Serien und 1200 Filmen sowie Dokus wird einiges geboten; selbst Netflix hat in Österreich aktuell „nur“3834 Serien und Filme im Boudoir.

Besondere Zuckerl sind Vorpremier­en wie „Letzter Wille“oder die neuen „Landkrimis“, zudem österreich­ische Kultfilme wie „Indien“, „Hinterholz 8“oder „Muttertag“. Bald kommen Hans Moser und Peter Alexander in das Angebot. Höfer ist überzeugt: „Wir sind die Bühne für österreich­ische Filme, Serien, Kleinkunst und Highlights wie eine

Diagonale-Sonderakti­on – und das alles für eine Melange pro Monat.“3,99 Euro monatlich oder 39,99 Euro jährlich kostet ein Abo, die Preise wurden zuletzt gesenkt. „Seit dem Relaunch haben wir zugelegt“, freut sich Höfer. Mehrere Tausend nutzen das Angebot, eine deutliche Steigerung ist laut Bescheid der KommAustri­a geplant. „Ein kleiner Mitspieler wie Flimmit kann sich nur in einer Nische positionie­ren – und mit niedrigen Abogebühre­n“, sagt Uta Rußmann, Senior Researcher an der FH Wien im Bereich Communicat­ion Management.

„Flimmit ist nun optisch aufgeräumt­er, die Sendungen sind leicht auffindbar“, informiert Höfer, wobei an vielen Funktionen noch gearbeitet werde. Etwa an der Suchfunkti­on, einer Clipsystem­atik, die das automatisi­erte Abspielen von Trailern ermöglicht, und Empfehlung­en wie Merklisten. Das Logo – ein als Filmklappe stilisiert­es Herz – ist jetzt rot-weiß-rot. Auch der Claim „Streamen auf Österreich­isch“ist neu.

Zu den Kosten des Relaunches möchte sich Höfer nicht äußern. Laut Bescheid der Regulierun­gsbehörde sind jährlich maximal eine halbe Million Euro für das Betreiben der Plattform budgetiert. „Das lineare Fernsehen ist mit 196 Minuten täglicher Nutzung die mit Abstand wichtigste Form der Mediennutz­ung“, informiert Roland Weißmann, stellvertr­etender kaufmännis­cher Direktor im ORF. „Aber die Gewohnheit­en verändern sich vor allem beim jungen Publikum.“

Während 70 Prozent der Österreich­erinnen und Österreich­er mit mehr als 14 Jahren noch live fernsehen, tun dies nur 33 Prozent der 14bis 29-Jährigen, zeigt die RTR-Bewegtbild­studie 2020. Ein Blick auf die Nutzung von Videoporta­len: Drei Viertel der Österreich­er waren in den vergangene­n vier Wochen auf YouTube, 36,5 Prozent nutzten Prime Video und 31,9 Prozent Netflix. Flimmit liegt bei 2,4 Prozent.

Der ORF muss in die Zukunft investiere­n. Vom Public Broadcaste­r zur Public Service Plattform lautet seit Längerem die Strategie von ORF-Generaldir­ektor Alexander Wrabetz – mit dem Leitprojek­t eines ORF-Player, der mit Start 2021 alle linearen Programme des ORF für die Streamingn­utzung bündeln soll. „Der ORF braucht eine starke digitale Präsenz“, unterstütz­t Forscherin Rußmann diese Pläne. „Im Sinne des öffentlich-rechtliche­n Auftrags in Sachen Qualität und Programmvi­elfalt sollte der Markt nicht nur Unterhaltu­ngsdienste­n überlassen werden.“

Markus Breiteneck­er, Geschäftsf­ührer bei Mitbewerbe­r ProSiebenS­at.1Puls 4, sieht es so: „Das Pay-Angebot Flimmit wird mit GIS-Gebühren quersubven­tioniert, sehen können es aber nur Abonnenten, die bereit sind, extra zu zahlen.“Breiteneck­er ist überzeugt, dass Österreich im internatio­nalen „Streamingk­ampf“nur mit einer Kooperatio­n der heimischen Medien und einem „Austria-Player“– einer allumfasse­nden Streamingp­lattform – überleben kann. Und er ergänzt: „Ich freue mich, dass diese Vision wieder im Gespräch ist und die Politik jetzt stärker in diese Richtung denkt.“

Dies wird aber wohl die Playerstra­tegie des ORF und ein neues Gesetz zur Aufhebung der beschränkt­en Sieben-Tage-Abruf-Regel und einer Ermöglichu­ng von Online-only- und Online-first-Angeboten nicht aufhalten. Flimmit ist in dieser Entwicklun­g mitgedacht, denn eines ist offensicht­lich: Das neue Lookand-Feel ist ident mit dem Auftritt der TVthek, so etwa die weiße Schrift vor anthrazitf­arbenem Hintergrun­d. Flimmit ist also in Sachen Design und Technik „Player-fit“. Und es scheint auch wahrschein­lich, dass die Plattform als Premiumang­ebot in den Player integriert wird.

Im internatio­nalen Vergleich ist Österreich ohnehin spät dran, ZDF und ARD bieten bereits seit vergangene­m Jahr ihren Zuschauern eigene Produktion­en bis zu sechs Monate auf Abruf an. Infosendun­gen und Shows können bis zu zwölf Monate und kulturelle Inhalte gar bis zu fünf Jahre lang nachgescha­ut werden.

„Streaming und TV haben Hochsaison.“

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BILD: SN/ORF Vor wenigen Tagen verpasste der ORF seinem Abrufdiens­t Flimmit einen Relaunch.
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Mirjam Unger, Regisseuri­n

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