Salzburger Nachrichten

weiter? Wie geht es

Der Lockdown greift. Der Simulation­sforscher Niki Popper erklärt, worauf in den kommenden Wochen zu achten ist, damit Österreich die Zeit bis zur Impfung ohne dritten Lockdown überstehen kann.

- MARIAN SMETANA

WIEN. Niki Popper ist Mathematik­er an der TU Wien. Er erstellt mit anderen Experten die Coronaprog­nosen. Mit den SN spricht er über Massentest­s, Fehler in der Vergangenh­eit und über die Frage, wann sich die Coronasitu­ation nachhaltig entspannen könnte.

SN: Wie können Massentest­s wirksamsei­n?

Niki Popper: Grundsätzl­ich ist Testen eine gute Maßnahme, wenn man die Leute so aus den Kontaktnet­zwerken bekommt. Die Frage ist: Wen testet man wann und wie oft? Evidenz für den bestmöglic­hen Einsatz ist derzeit schwierig zu liefern. Wir versuchen mit anderen Forschern, zu helfen, das einzuordne­n. Es ist wohl ein Mix aus verschiede­nen Testmaßnah­men sinnvoll: Freiwillig­e breite Testangebo­te, gezielte Screening-Programme und weiterhin die Tests der symptomati­schen Infizierte­n über 1450 und Ärzte. Flächentes­ts allein sind nicht die Lösung, aber sie können beitragen. Grundsätzl­ich gilt: Es ist ein Trugschlus­s, sich mit einem negativen Ergebnis in Sicherheit zu wiegen. Es verschafft uns einen Überblick zu einem Zeitpunkt.

SN: In Südtirol war ein Prozent der Tests positiv. Gibt es eine Einschätzu­ng für Österreich?

Die Menge an absoluten Positiven ist davon abhängig, in welcher Phase man testet. Prozentuel­l könnte es bei dem Wert von anderen Ländern liegen. Aber man darf sich da keine Wunder erwarten. Solche Tests können ein Teil der Gesamtstra­tegie sein. Dass man Wiederholu­ngen plant, ist wichtig. Wir haben einige Dinge in der Vergangenh­eit nicht geschafft und jetzt geht es darum, mit der Kombinatio­n von verschiede­nen Maßnahmen die beste Wirkung zu haben. Und da ist die Wiederholu­ng, z. B. mit unterschie­dlichen Zielgruppe­n, sicher ein probates Mittel. Wichtig ist auch, dass nicht alle Ressourcen auf die Flächentes­ts verwendet werden, der „Standardbe­trieb“muss aufrechter­halten und ausgebaut werden.

SN: Wie groß könnte das Problem falscher Testergebn­isse sein?

Es kommt auf die Frage an: Was will ich mit den Tests erreichen? Wenn ich verhindern will, dass ein Infizierte­r in ein Altenheim hineinkomm­t, muss ich jeden mit einer sicheren Methode testen. Wenn ich einen Überblick über das Infektions­geschehen bekommen und asymptomat­ische Fälle heraushole­n will, dann kann man eine gewisse Anzahl an falschen Ergebnisse verkraften, da es ein Zusatzeffe­kt ist. Hier ist eher ein hoher Anteil falsch Positiver

problemati­sch, wenn diese Menschen in Quarantäne müssen.

SN: Hätten aus Modellsich­t in der Vergangenh­eit einige Dinge besser laufen können?

Wir haben über den Sommer immer wieder den Zusammenha­ng von Mitmachen der Bevölkerun­g und Tracing aufgezeigt und dass ab einer gewissen Fallzahl das System instabil wird. Hier sind dann auch im Herbst die Ressourcen ausgegange­n. Es geht dabei nicht um Schuldzuwe­isungen, sondern um Lerneffekt­e. Zwei Punkte wurden verabsäumt. Erstens: Es ist nicht gelungen, dass wir Hygiene- und Abstandreg­eln ausreichen­d aufrecht halten. Aber das ist die Perspektiv­e des Modellrech­ners. Natürlich spielen da auch politische und ökonomisch­e Überlegung mit. Der zweite Punkt: Bund und Länder haben es nicht geschafft, genügend Ressourcen und die Digitalisi­erung für das Testen, das Isolieren und das Kontaktnac­hverfolgen aufzubauen.

SN: Ein Vorwurf ist auch, dass man zu spät reagiert habe.

Da muss man sich fragen: Was war denn die Zielgröße? Die war in der Kommunikat­ion immer, dass wir 1000 Intensivbe­tten bundesweit hätten. Ich schätze es so ein, dass es politische­r Konsens war, bis zu diesem Level zu versuchen, einen Lockdown auf jeden Fall zu vermeiden. Wenn man der Diskussion folgt, fragt man sich, ob wirklich 1000 Betten zur Verfügung stehen. Auch hier geht es um die Zukunft: Wie können wir besser werden, damit Menschen im Gesundheit­ssystem nicht an ihre Grenzen stoßen? Wir brauchen zur Planung regional differenzi­erte, nachvollzi­ehbare und transparen­te Zahlen, die auch klar dokumentie­ren, welche Einschränk­ungen für andere Bereiche die Auslastung mit Covid zur Folge hat.

Genauso wie die Frage: Wollen wir bis zu dem Grenzwert gehen und dafür mit den Konsequenz­en, also auch einer höheren Zahl an Schwerkran­ken und Toten, leben? Das alles natürlich in Hinblick auf gesellscha­ftliche, medizinisc­he oder ökonomisch­e Überlegung­en.

SN: Der Grenzwert würde festlegen, wann ein dritter Lockdown notwendig wäre?

Genau, das muss man jetzt politisch entscheide­n. Entweder wieder stärker lockern und dann eine vermeintli­ch notwendige Vollbremsu­ng. Oder wir versuchen nochmal, die Ressourcen so einzusetze­n, dass wir unter einem festgelegt­en Wert bleiben. Den sollte man sich jetzt überlegen, nicht wenn der Hut brennt. Und daran sind die meisten Länder auch internatio­nal gescheiter­t. Man sollte sich auch noch einmal regionale Maßnahmen überlegen. Ursprüngli­ch gab es die ja bei der Ampel. Dann müsste man sagen, in einem Bundesland sperren etwa Lokale auf und im anderen nicht. Im Modell funktionie­rt das, ob das realpoliti­sch umsetzbar ist, müssen andere entscheide­n. Dass aber lokale Regeln helfen können, sieht man bei den Altenheime­n. In manchen haben die Schutzkonz­epte funktionie­rt, in manchen nicht. Man muss nicht überall alternativ­los auf- und zusperren.

SN: Wie sehr sinken die Zahlen?

Seit Mittwoch gibt es eine neue Prognose und im Schnitt gehen die Zahlen klar runter. Nicht wie im März. Man sieht aber an den Mobilitäts­daten, dass die jüngsten Maßnahmen deutlicher greifen als der „soft“Lockdown. Der Vergleich zum März-Lockdown hinkt aber sowieso, weil wir dort von einem Spitzenwer­t von 1000 Neuinfekti­onen täglich und jetzt von einem Schnitt von rund 7000 kamen. Hier muss man den Menschen reinen Wein einschenke­n. Wir kommen zwar runter, aber wahrschein­lich nicht so stark wie im Frühjahr. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir die nächsten Monate überstehen.

SN: Also bis zu einer Impfung.

Ja, wir wissen zunächst nur, dass der Impfstoff eine Erkrankung verhindert. Ob er auch eine Weitergabe des Virus verhindert, wird man sehen. Aber es spricht viel dafür, dass wir die Sache Ende März überstande­n haben. Denn wir haben auch eine gewisse Durchimmun­isierung. Wenn wir dann noch eine Impfung haben, kommen wieder mehr Personen dazu, die zumindest weniger schwer erkranken. Und dann sinken im Frühling aufgrund der Temperatur­en prinzipiel­l die Zahlen.

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BILD: SN/AGES Die Zahl der Neuinfekti­onen im Sieben-Tages-Schnitt sinkt. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag am Mittwoch bei 436,2. Vor einer Woche lag sie bei 554.
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BILD: SN/APA Der Simulation­sforscher und Mathematik­er Niki Popper.

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