weiter? Wie geht es
Der Lockdown greift. Der Simulationsforscher Niki Popper erklärt, worauf in den kommenden Wochen zu achten ist, damit Österreich die Zeit bis zur Impfung ohne dritten Lockdown überstehen kann.
WIEN. Niki Popper ist Mathematiker an der TU Wien. Er erstellt mit anderen Experten die Coronaprognosen. Mit den SN spricht er über Massentests, Fehler in der Vergangenheit und über die Frage, wann sich die Coronasituation nachhaltig entspannen könnte.
SN: Wie können Massentests wirksamsein?
Niki Popper: Grundsätzlich ist Testen eine gute Maßnahme, wenn man die Leute so aus den Kontaktnetzwerken bekommt. Die Frage ist: Wen testet man wann und wie oft? Evidenz für den bestmöglichen Einsatz ist derzeit schwierig zu liefern. Wir versuchen mit anderen Forschern, zu helfen, das einzuordnen. Es ist wohl ein Mix aus verschiedenen Testmaßnahmen sinnvoll: Freiwillige breite Testangebote, gezielte Screening-Programme und weiterhin die Tests der symptomatischen Infizierten über 1450 und Ärzte. Flächentests allein sind nicht die Lösung, aber sie können beitragen. Grundsätzlich gilt: Es ist ein Trugschluss, sich mit einem negativen Ergebnis in Sicherheit zu wiegen. Es verschafft uns einen Überblick zu einem Zeitpunkt.
SN: In Südtirol war ein Prozent der Tests positiv. Gibt es eine Einschätzung für Österreich?
Die Menge an absoluten Positiven ist davon abhängig, in welcher Phase man testet. Prozentuell könnte es bei dem Wert von anderen Ländern liegen. Aber man darf sich da keine Wunder erwarten. Solche Tests können ein Teil der Gesamtstrategie sein. Dass man Wiederholungen plant, ist wichtig. Wir haben einige Dinge in der Vergangenheit nicht geschafft und jetzt geht es darum, mit der Kombination von verschiedenen Maßnahmen die beste Wirkung zu haben. Und da ist die Wiederholung, z. B. mit unterschiedlichen Zielgruppen, sicher ein probates Mittel. Wichtig ist auch, dass nicht alle Ressourcen auf die Flächentests verwendet werden, der „Standardbetrieb“muss aufrechterhalten und ausgebaut werden.
SN: Wie groß könnte das Problem falscher Testergebnisse sein?
Es kommt auf die Frage an: Was will ich mit den Tests erreichen? Wenn ich verhindern will, dass ein Infizierter in ein Altenheim hineinkommt, muss ich jeden mit einer sicheren Methode testen. Wenn ich einen Überblick über das Infektionsgeschehen bekommen und asymptomatische Fälle herausholen will, dann kann man eine gewisse Anzahl an falschen Ergebnisse verkraften, da es ein Zusatzeffekt ist. Hier ist eher ein hoher Anteil falsch Positiver
problematisch, wenn diese Menschen in Quarantäne müssen.
SN: Hätten aus Modellsicht in der Vergangenheit einige Dinge besser laufen können?
Wir haben über den Sommer immer wieder den Zusammenhang von Mitmachen der Bevölkerung und Tracing aufgezeigt und dass ab einer gewissen Fallzahl das System instabil wird. Hier sind dann auch im Herbst die Ressourcen ausgegangen. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Lerneffekte. Zwei Punkte wurden verabsäumt. Erstens: Es ist nicht gelungen, dass wir Hygiene- und Abstandregeln ausreichend aufrecht halten. Aber das ist die Perspektive des Modellrechners. Natürlich spielen da auch politische und ökonomische Überlegung mit. Der zweite Punkt: Bund und Länder haben es nicht geschafft, genügend Ressourcen und die Digitalisierung für das Testen, das Isolieren und das Kontaktnachverfolgen aufzubauen.
SN: Ein Vorwurf ist auch, dass man zu spät reagiert habe.
Da muss man sich fragen: Was war denn die Zielgröße? Die war in der Kommunikation immer, dass wir 1000 Intensivbetten bundesweit hätten. Ich schätze es so ein, dass es politischer Konsens war, bis zu diesem Level zu versuchen, einen Lockdown auf jeden Fall zu vermeiden. Wenn man der Diskussion folgt, fragt man sich, ob wirklich 1000 Betten zur Verfügung stehen. Auch hier geht es um die Zukunft: Wie können wir besser werden, damit Menschen im Gesundheitssystem nicht an ihre Grenzen stoßen? Wir brauchen zur Planung regional differenzierte, nachvollziehbare und transparente Zahlen, die auch klar dokumentieren, welche Einschränkungen für andere Bereiche die Auslastung mit Covid zur Folge hat.
Genauso wie die Frage: Wollen wir bis zu dem Grenzwert gehen und dafür mit den Konsequenzen, also auch einer höheren Zahl an Schwerkranken und Toten, leben? Das alles natürlich in Hinblick auf gesellschaftliche, medizinische oder ökonomische Überlegungen.
SN: Der Grenzwert würde festlegen, wann ein dritter Lockdown notwendig wäre?
Genau, das muss man jetzt politisch entscheiden. Entweder wieder stärker lockern und dann eine vermeintlich notwendige Vollbremsung. Oder wir versuchen nochmal, die Ressourcen so einzusetzen, dass wir unter einem festgelegten Wert bleiben. Den sollte man sich jetzt überlegen, nicht wenn der Hut brennt. Und daran sind die meisten Länder auch international gescheitert. Man sollte sich auch noch einmal regionale Maßnahmen überlegen. Ursprünglich gab es die ja bei der Ampel. Dann müsste man sagen, in einem Bundesland sperren etwa Lokale auf und im anderen nicht. Im Modell funktioniert das, ob das realpolitisch umsetzbar ist, müssen andere entscheiden. Dass aber lokale Regeln helfen können, sieht man bei den Altenheimen. In manchen haben die Schutzkonzepte funktioniert, in manchen nicht. Man muss nicht überall alternativlos auf- und zusperren.
SN: Wie sehr sinken die Zahlen?
Seit Mittwoch gibt es eine neue Prognose und im Schnitt gehen die Zahlen klar runter. Nicht wie im März. Man sieht aber an den Mobilitätsdaten, dass die jüngsten Maßnahmen deutlicher greifen als der „soft“Lockdown. Der Vergleich zum März-Lockdown hinkt aber sowieso, weil wir dort von einem Spitzenwert von 1000 Neuinfektionen täglich und jetzt von einem Schnitt von rund 7000 kamen. Hier muss man den Menschen reinen Wein einschenken. Wir kommen zwar runter, aber wahrscheinlich nicht so stark wie im Frühjahr. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir die nächsten Monate überstehen.
SN: Also bis zu einer Impfung.
Ja, wir wissen zunächst nur, dass der Impfstoff eine Erkrankung verhindert. Ob er auch eine Weitergabe des Virus verhindert, wird man sehen. Aber es spricht viel dafür, dass wir die Sache Ende März überstanden haben. Denn wir haben auch eine gewisse Durchimmunisierung. Wenn wir dann noch eine Impfung haben, kommen wieder mehr Personen dazu, die zumindest weniger schwer erkranken. Und dann sinken im Frühling aufgrund der Temperaturen prinzipiell die Zahlen.