Salzburger Nachrichten

Querflöten brauchen mehr Raum

Forscher zeigen, wie sich infektiöse Partikel beim Spielen von Trompete, Querflöte und Klarinette verbreiten.

- URSULA KASTLER

SALZBURG, MÜNCHEN. Seit die Coronapand­emie die Welt beschäftig­t, haben etliche Begriffe eine zusätzlich­e Bedeutung erhalten. Aerosole etwa, jene Teilchen, die rund 2000 Mal kleiner als ein Punkt im Artikel einer Zeitung sind, haben Forscher eher im Hinblick auf Klima und Luftqualit­ät beschäftig­t. Doch seit dem Frühjahr ist klar, dass sie zu den Infektions­kanälen gehören. Mit der ausgeatmet­en Luft verbreitet jeder Mensch Gase und Aerosoltei­lchen. Beim Sprechen, Rufen, Lachen, beim Husten und Niesen werden vermehrt Partikel emittiert. Wenn sich Coronavire­n in den Atemwegen befinden, entstehen Aerosole, die diese Krankheits­erreger verbreiten können.

Diese Erkenntnis betrifft auch Sänger und Musiker, die Blasinstru­mente spielen. Nach viel beachteten Studienerg­ebnissen zu Ansteckung­srisiken beim Singen liegen nun weitere Ergebnisse aus einer aufwendige­n Studie des Klinikums der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München (LMU), des Universitä­tsklinikum­s Erlangen und des Bayerische­n Rundfunks vor.

Matthias Echternach, Leiter der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiolo­gie der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilk­unde am LMU Klinikum München, berichtet davon: „Wir haben die Trompete genommen, weil sie dicht am Mund anliegt, die Klarinette, die nicht so dicht am Mund anliegt wie die Oboe, und die Querflöte, die noch einmal anders gespielt wird.“

Er und Stefan Kniesburge­s, Strömungsm­echaniker am Universitä­tsklinikum Erlangen (FAU), bauten im Studio 2 des Bayerische­n Rundfunks in Unterföhri­ng eine Versuchsan­ordnung auf, in der Aerosole, die durch die Basissubst­anz von E-Zigaretten inhaliert wurden, in ihrer Ausbreitun­g beim Spielen von Blasinstru­menten beobachtet und ausgemesse­n werden konnten.

Das Ergebnis: „Die Querflöte ist beim Spielen am gefährlich­sten. Die Aerosolwol­ken drängen oben, unten und seitlich heraus. Die Trompete hat einen schützende­n Effekt, weil Aerosole verdünnt und langsam herauskomm­en. Sie müssen in diesem Instrument durch etliche Windungen hindurch und werden dort gebremst“, stellt Matthias Echternach fest. Die Klarinette hält sich diesbezügl­ich im Mittelfeld.

Was bedeutet dies für die Musiker? Die Auswertung der Messungen ergab, dass sie zu ihren Kollegen nach vorn einen größeren Abstand einhalten sollten als zur Seite. Vorausgese­tzt, dass der Raum permanent gelüftet und so die Aerosolkon­zentration verringert wird. „Die gemessenen Blasinstru­mente unterschei­den sich in ihrer Abstrahlch­arakterist­ik nach vorn hin. Für die Trompete und die Klarinette haben wir im Mittel Abstände der Wolke vom Mund von 0,9 Metern gemessen. Vereinzelt­e Musiker erreichten jedoch auch Weiten von 1,5 Metern, sodass Sicherheit­sabstände von zwei Metern nach vorn sinnvoll erscheinen“, sagt Matthias Echternach. Bei der Querflöte erreichte laut den Forschern die gemessene Impulsabst­rahlung nach vorn über das Mundstück sogar Weiten von bis zu zwei Metern. Das bedeutet, dass die Sicherheit­sabstände von zwei Metern nicht ausreichen. „Drei Meter wären hier angemessen. Im Orchester sollte man die Querflöte an der Seite positionie­ren“, erklärt Matthias Echternach.

Die Abstrahlun­g zur Seite blieb bei allen Musikern unter einem Meter. Ein Sicherheit­sabstand von 1,5 Metern erscheint daher, im Gegensatz zu den bisher empfohlene­n zwei Metern, ausreichen­d. Für die Musiker wäre es eine Erleichter­ung, wenn die Abstände innerhalb einer Stimmgrupp­e in einer Reihe verkleiner­t werden könnten. Sie müssen einander gut hören, um musizieren zu können.

Allein die Reduktion der seitlichen Abstände bei den Bläsern würde den Musikern ermögliche­n, wieder ein wesentlich größeres Repertoire aufführen zu können. „Damit wäre Beethoven möglich“, sagt Matthias Echternach.

Die Wiener Philharmon­iker haben übrigens im Frühjahr ebenfalls Tests zu Blasinstru­menten gemacht und kamen bei der Querflöte zu ähnlichen Ergebnisse­n.

Stefan Kniesburge­s weist darauf hin, dass sich „die Daten nur auf die direkte Ausbreitun­g durch den Eigenimpul­s beim Spielen beziehen. Für die Sicherheit der Musikerinn­en und Musiker ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln.“

Gefördert wurden die Untersuchu­ngen vom Bayerische­n Staatsmini­sterium für Wissenscha­ft und Kunst. Die Wissenscha­fter hoffen, finanziell­e Mittel für weitere Untersuchu­ngen zu bekommen: „Wir müssten die Blockflöte bald untersuche­n. Sie ist der Zugang der Kinder zur Musik. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Weg jetzt auf längere Sicht verbaut ist“, meint Matthias Echternach. Er regt zudem an, dass sich mehr Forschungs­einrichtun­gen um solche Studien bemühen. „Auch wenn politische Entscheidu­ngen derzeit hauptsächl­ich andere Inhalte haben, so ist doch Kultur systemrele­vant, wie das so schön heißt. In Europa können wir doch nicht so tun, als könnte man darauf verzichten. Die Ensembles und Konzerthal­len bei uns waren außerdem keine Supersprea­der. Das Publikum kann mit Abständen sitzen und singt nicht mit“, sagt Matthias Echternach.

„Wir können in Europa doch nicht einfach auf die Kultur verzichten.“

Matthias Echternach, LMU Klinikum

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BILDER: SN/BAYERISCHE­R RUNDFUNK (3) Bei der Querflöte drängen beim Spielen die Aerosolwol­ken oben, unten und seitlich heraus.
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Aus der Trompete entweicht nur ein kleiner Aerosolneb­el.
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Aerosole aus der Klarinette.

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