Salzburger Nachrichten

Verhängnis­volle Europameis­terschafte­n

In der Pandemie dienen Vergleiche mit Schweden und anderen eher nur der Bestätigun­g des eigenen Weges. Das ist dumm.

- DIE SUBSTANZ Johannes Huber

Die Coronakris­e hat Europa auch insofern geschadet: Nicht nur, dass Nationen mehr oder weniger getrennt voneinande­r mit unterschie­dlichen Zugängen versuchen, das Infektions­geschehen zu kontrollie­ren. Es gibt auch eine Art Meistersch­aft, die besonders in sozialen Medien ausgetrage­n wird: Man schaut auf die Zahlen anderer und leitet davon ab, dass man noch schlechter dastehen könnte.

Sagen wir, das ist nachvollzi­ehbar. Wenn man zu einem Lockdown gezwungen ist, muss man auf sehr vieles verzichten. Ja, es ist schmerzlic­h, Freunde und Bekannte nicht mehr treffen zu können. Das soll wenigstens einen Sinn haben. Ein solcher lässt sich am einfachste­n konstruier­en, wenn man darauf verweist, dass Schweden, das keine größeren Beschränku­ngen hat, im Frühjahr viel mehr Todesfälle zu beklagen hatte oder dass die Intensivst­ationen in der Schweiz, wo es keinen flächendec­kenden Lockdown gibt, voll sind.

Der Punkt bei so schlichten Vergleiche­n ist nur, dass sie erstens irreführen­d sein können und zweitens niemanden weiterbrin­gen. Bei den Zahlen handelt es sich immer nur um Momentaufn­ahmen. Die Wellen, die die Neuinfekti­onen abbilden, verlaufen jedoch von Land zu Land versetzt. Heute ist ein Land mit seinen Werten oben, morgen unten. Man kennt das auch aus Österreich: Mitte Oktober hatte Wien die mit Abstand meisten Fälle, zurzeit sind es, gemessen an der Bevölkerun­g, die wenigsten. In Salzburg und Oberösterr­eich handelt es sich um doppelt so viele. Sehr schnell könnte sich das wieder ändern. Niemand hat Grund dazu, selbstgefä­llig zu sein.

Das gilt auch in Bezug auf Schweden. So grausam die erste Welle im hohen Norden war, so glimpflich verläuft die zweite bisher: Seit 1. Oktober gibt es nach Angaben der Gesundheit­sbehörde rund 700 Todesfälle. In Österreich sind es um etwa 1000 mehr. Die Schweiz wiederum darf sich seit Anfang November über einen starken Rückgang bestätigte­r Neuinfekti­onen freuen; das Ziel, alle zwei Wochen zu einer Halbierung zu kommen, hält vorerst.

Mag sein, dass Entwicklun­gen da und dort auch von Zufällen geprägt sind. Länderverg­leiche zur bloßen Bestätigun­g des eigenen Weges erschweren jedoch die Erkenntnis, dass andere nicht alles falsch machen. Sie versperren den Blick auf Wesentlich­es. Wenn man nur erfahren möchte, dass man alles richtig macht, ist man wohl kaum bereit zu lernen. Gerade in einer Pandemie, in der keiner so recht weiß, was zu tun ist, ist das fatal. Soll heißen:

Auch ein unvoreinge­nommenes Studium des schwedisch­en oder des eidgenössi­schen Weges wäre mit Sicherheit bereichern­d, selbst wenn nur Hinweise darauf übrig bleiben, wie man Fehler vermeidet.

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