Gezieltes Impfen ohne Pflicht, Gesunde entscheiden selbst
SALZBURG. Der Salzburger Hygienefacharzt Markus Hell reagiert ausweichend auf die Frage, ob er sich gleich im ersten Turnus impfen lassen wird. Als leitender Hygieniker des Klinikums Schwarzach, Mikrobiologe von Medilab und Lehrkoordinator für Infektiologie an der PMU, beschäftigt er sich seit Anbeginn der Pandemie intensiv mit dem Virus. Die beiden Impfstoffe, die Österreich in großer Menge vorbestellt hat, sieht er noch mit etwas Skepsis.
Das Vakzin aus dem Hause Biontech und Pfizer sei technisch faszinierend, so der Mikrobiologe. Damit impfen lassen werde er sich aber vorerst nicht. „Erst wenn es die prominenten Kollegen Allerberger, Weiß und Kollaritsch vor laufender Kamera vormachen, denke ich drüber nach.“Wie viele Wissenschafter sei auch er skeptisch, zumal genetisches Material in die Zellen eingeschleust werde. Außerdem sei das Handling des Impfstoffs enorm schwierig. „Es ist eine durchgehende Kühlung auf minus 70 Grad nötig. Wenn da etwas schiefgeht, dann ist die ganze Impfung wirkungslos.“
Während der Wirkungsgrad des Biontech-Impfstoffs mit bis zu 95 Prozent angegeben wird, kommt die Konkurrenz von AstraZeneca auf etwa 70 bis 90 Prozent, je nach Dosierung. Das wiederum ist Hell zu wenig für einen ungezielten, breiten Einsatz. „Bei den Nebenwirkungen hätte ich weniger Bedenken, weil dieser Wirkstoff auf bestehenden Techniken aufsetzt.“
Es sei auch absolut sinnvoll zu impfen, wenn auch nicht flächendeckend. Er plädiert für eine Strategie ähnlich der InfluenzaImpfung. Im Falle von Gesundheitspersonal, älteren Menschen und Vorerkrankten sei er durchaus positiv eingestellt. „Als Privatperson sage ich, wenn ich 70+ und nicht fit bin, dann lasse ich mich sofort impfen. Egal mit welchem der beiden Impfstoffe.“
Gesunde und jüngere Menschen würde er selbst entscheiden lassen, wobei eine Impfpflicht in Österreich ohnehin nicht zur Debatte steht. Eine Durchimpfung der Gesellschaft sei an zu hohe Erwartungen geknüpft. „Von Beginn an agiert man, als hätten wir es mit Ebola zu tun. SARS-CoV-2 ist aber kein Killervirus.“Die anfänglich befürchtete Sterblichkeitsrate von 30 Prozent habe sich bei Weitem nicht bestätigt. Die Letalität liege unverändert bei 0,3 Prozent aller Infizierten. Das sei immerhin drei Mal so hoch wie bei der echten
Grippe. Er sieht eine Durchimpfungsrate von 30 Prozent als realistisch erreichbar an. „Kombiniert mit jenen, die eine Infektion durchgemacht haben, wäre in Richtung Durchseuchung und Herdenimmunität schon viel gewonnen.“Die Zahl bereits immuner Personen schätzt Hell auf das Zehnfache der positiv Getesteten (österreichweit 260.000) Die Gefahr von Mehrfachinfektionen mit dem aktuell zirkulierenden Virusstamm sei nach jüngsten Studien eher vernachlässigbar.
Eine gesetzlich verordnete Impfpflicht oder auch eine durch die Hintertür – via Einschränkungen für Nichtgeimpfte – sieht Hell kritisch. „Das würde einen negativen Rebound-Effekt bringen und eine zunehmende Skepsis gegenüber anderen Impfungen, die dringend nötig sind.“
Die niedrige Impfmoral bei Influenza will er nicht auf Corona umlegen. „Bei der Grippe kommen wir auf maximal zehn Prozent, auch viele im medizinischen Bereich Tätige lassen sich nicht impfen. Ich denke aber, dass die Bereitschaft im Fall von Corona sicher höher ist.“
Gelinge es, das richtige Drittel der Bevölkerung zu impfen, dann sei eine langsame Rückkehr zur Normalität gut machbar. Das Virus auszurotten werde wohl nicht gelingen. Mit dem Coronavirus als einem von vielen respiratorischen (die Atmung betreffend, Anm.) Erregern müsse man dauerhaft rechnen. Dass es durch Mutationen noch gefährlicher werde, sei unwahrscheinlich. Hell: „Aus mikrobiologischer Sicht will das Virus mit uns leben und uns nicht killen.“