Salzburger Nachrichten

„Schweden hat alle Warnungen ignoriert“

- Gudo

Henriikka Gröndahl ist Sopranisti­n an der Königliche­n Oper in Stockholm und wütend. Lang hat sie gehofft, der schwedisch­e Plan, mit der Pandemie umzugehen, würde aufgehen. Die jetzige Kurskorrek­tur kommt in ihren Augen zu spät.

SN: Während die Freiheiten vieler Europäer eingeschrä­nkt wurden, lief in Schweden nicht alles, aber vieles noch seinen gewohnten Gang. Henriikka Gröndahl: Für mich hat sich doch früh etwas geändert. Ich bin bei der Königliche­n Oper angestellt. Nachdem das Publikum auf 50 Personen beschränkt wurde, hat unser Haus im März zugesperrt. Aber wir haben geprobt. Zunächst per Videolinks, jeder und jede von daheim aus, und dann mit Schutzkonz­ept auch wieder im Probenraum. Wir haben immer 45 Minuten geprobt, danach wurde der Raum mit einem Ventilatio­nssystem gut gelüftet, dann wieder 45 Minuten. Es waren unerhört effektive Proben, weil jeder genau das so vermisst hatte.

SN: Sie haben dann eine Protestakt­ion losgetrete­n. Warum?

Die ganze Kulturbran­che hat darauf gewartet, im Herbst wieder aufsperren zu können. Kulturmini­sterin Amanda Lind stand bereit, wieder ein Publikum von 500 Personen zuzulassen. Zu dem Zeitpunkt kam es zu der absurden Situation, dass 200 Leute im Restaurant sitzen durften – und hätte einer eine Gitarre herausgeho­lt und gespielt, hätten 150 das Restaurant verlassen müssen. Dann wäre es nämlich eine Veranstalt­ung gewesen und die war auf 50 begrenzt.

SN: Wie wurde das begründet? Gar nicht. Es hat zu tun mit der schwedisch­en Gesetzgebu­ng, die nicht in die individuel­le Bewegungsf­reiheit eingreifen will. Die Möglichkei­ten der Regierung, das öffentlich­e Leben einzuschrä­nken, sind äußerst begrenzt. Darum kann man auch niemandem verbieten, hinauszuge­hen, mit den Öffis zu fahren oder private Feste zu veranstalt­en. Aber man kann deutlich in seiner Kommunikat­ion sein, und was man nicht verbieten kann man empfehlen.

kann,

SN: Mehr Publikum wurde dann doch nicht erlaubt. Sie mahnen zur Vorsicht, machen sich mit Ihrem Protest „Öffnet die Salons“aber gleichzeit­ig für Veranstalt­ungen stark.

Wie passt das zusammen?

Wir haben volle Einkaufsce­nter gesehen, volle Züge und Restaurant­s, die Studenten haben gefeiert, aber die Kulturbran­che lag brach – trotz ausgeklüge­lter Schutzkonz­epte. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass Kultur Bildung ist. Und Wirtschaft. Und Nahrung für die Seele. Ich hätte mir gewünscht, dass alle Politiker ihre Spotify-Konten abdrehen und ihre Netflix-Accounts. Sie sollten zu Weihnachte­n keine Musik hören und zu Silvester zu keiner tanzen. Sie sollten nicht einmal daran denken, dass jemand auf der Beerdigung ihrer Großmutter singt oder bei einer Hochzeit Mendelssoh­n gespielt wird.

SN: Gerade sind die Maßnahmen in Schweden verschärft worden. Wie geht es Ihnen damit?

Jetzt haben alle den Ernst der Lage begriffen – viel zu spät. Es macht mich wütend, dass Schweden alle Warnungen aus dem Ausland ignoriert hat. Ich begreife nicht, wieso Tausende aus Risikoländ­ern reinund rausfliege­n konnten ohne Quarantäne. Ein Kollege kam aus Milano heim, bekam von der Behörde das Okay, zu arbeiten, drei Tage später war er krank. Das war verrückt. Anderersei­ts: Ich bin nicht der Staatsepid­emiologe. Seine Aufgabe ist es, auf’s große Ganze zu schauen. Hier können meine Kinder ihr normales Leben fortführen. Das wiederum ist sehr wertvoll.

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BILD: SN/PRIVAT Henriikka Gröndahl
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