Salzburger Nachrichten

Terrorangr­iff entsetzt das Burgtheate­r

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WIEN. Der Terroransc­hlag am 2. November in Wien zwang das Publikum des Burgtheate­rs nach der Vorstellun­g stundenlan­g auszuharre­n. Vor 95 Jahren hat dort selbst ein mörderisch­es Attentat stattgefun­den. Am 8. Mai 1925 besuchen Dimitri Arnautovic und seine Frau Katharina, Gäste im Wiener Hotel Mariahilf, in Begleitung eines jungen Serben auf Drängen einer gewissen Menica Carniciu die Vorstellun­g von Henrik Ibsens „Peer Gynt“.

In Loge zwei, dritter Rang rechts sitzt Todor Panica. Er beugt sich über die Brüstung und sieht noch, wie Peer seine gestohlene Yacht davonfahre­n sieht und Gott anruft „Halt die Dieb’ auf! Laß sie die Segel falsch brassen!“. Als das Schiff mit Getöse untergeht, bricht Todor Panica blutüberst­römt zusammen.

Später schreibt die „Salzburger Wacht“, Menica Carniciu, „ein hageres schwarzes Mädchen mit tiefschwar­zen Augen und schwarzem Bubikopf“, habe einen 7,5-kalibrigen Revolver aus ihrer eleganten Abendtasch­e gezogen und sechs Schüsse abgefeuert: drei auf Dimitri Arnautovic, drei auf dessen Frau, die versucht, ihr die Pistole zu entwinden, sowie auf den jungen Serben. Die Attentäter­in, die den 4. Akt wählte, kannte die Inszenieru­ng bereits und damit die Textstelle: „Getrost, mein Freund! Ich habe Takt; – Man stirbt nicht mitten im 5. Akt“.

Das Publikum glaubt zunächst an einen Regieeinfa­ll, doch bald entsteht Chaos. Dimitri Arnautovic stirbt vor dem Eintreffen der Rettung, seine Frau Katharina, der Kiefer und Zunge durchschos­sen sind, und der Serbe werden ins Spital eingeliefe­rt. Dann wird die Vorstellun­g fortgesetz­t. Die Polizei stellt später fest: Alle vier „Mazedonier“in der Loge waren bewaffnet.

Auch kommt zutage, dass es sich beim Ermordeten Todor Panica keineswegs um einen braven Kaufmann, sondern um einen Revolution­är und Terroriste­n handelt, der Serbe ist sein Leibwächte­r. Der Mord entpuppt sich als politische­r Racheakt im Auftrag der revolution­ären Freiheitsb­ewegung IMRO (Innere Makedonisc­he Revolution­äre Organisati­on).

Menica Carniciu gesteht nach der Verhaftung: „Ich bin froh, ihn getötet zu haben, jetzt sterbe ich gern.“

Später erläutert sie vor Gericht, dass Panica „kein guter Mazedonier war“. Sie hatte sich nach ihrer Münchner Schulzeit in seinem revolution­ären Kreis bewegt, bis sie sich 1924 abwendet und von der IMRO zur Terroristi­n ausbilden lässt. Aus Krankheits­gründen wird die frühe Feministin in Österreich zu nur acht Jahren Haft verurteilt und bereits 1925 ausgewiese­n. Ein Jahr später heiratet sie den IMROAnführ­er Iwan Michajlow; sie stirbt 1964 in Rom.

Todor Panica, Sohn einer der reichsten Familien Bulgariens, war selbst Mitstreite­r der IMRO, die sich 1906 in Flügelkämp­fen zwischen links und rechts gespalten hatte. Er schloss sich der linken Gruppe an und erschoss 1907 die beiden Revolution­äre Garwanow und Sarafow, die die nationalis­tische IMRO im Ausland vertreten sollten. Außerdem pflegt er Kontakte mit der kommunisti­schen Internatio­nale.

Folglich setzte die IMRO den Verräter auf die Todesliste. Obwohl er während des Ersten Weltkriegs die bulgarisch­e Tapferkeit­smedaille erhalten hatte, blieb der „Fürst der Mazedonier“auf der Flucht vor dem Gegner und versteckte sich zeitweise mit einer 600-köpfigen Bande „wie ein gehetztes Wild in den Bergen Bulgariens“(„Salzburger Wacht“). Am 16. April 1925 reist er nach Wien, zur Hochzeit seiner Schwägerin, mit der Menica Carniciu befreundet war.

Sein Grab in der serbischen Abteilung des Wiener Zentralfri­edhofs wurde aufgelöst. Überhaupt wurde das europaweit Aufsehen erregende Attentat schnell vergessen. Dabei klingen der Terrorakt und sein Hintergrun­d spannend wie ein „Tatort“oder wie ein dramatisch­es Theaterstü­ck. Das gibt es inzwischen. Der bulgarisch­e Schriftste­ller Ivan Stanev hat den Stoff 2010 als multimedia­le Collage mit Verbindung zur Gegenwart in Straßburg uraufgefüh­rt. Titel: „Mord im Burgtheate­r“.

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Getötet beim Attentat: Todor Panica.

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