Salzburger Nachrichten

„Es gibt einen Grund, warum die Menschen Ski fahren“

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FRED FETTNER

„Jeder Schwung ist ein Abenteuer und die Abfahrt ein Erfolgserl­ebnis“, sagt der Salzburger Sportmediz­iner Josef Niebauer. Die SN sprachen mit ihm über körperlich­es Auspowern, Naturerleb­nis und gesunden Schlaf. Und: Bei sechs Stunden Skifahren werden 900 Kalorien verbraucht.

SN: Wir befinden uns wieder im Lockdown. Wie ist die Stimmungsl­age eines Universitä­tsprofesso­rs mit hoher Affinität zum Winterspor­t, wenn ein Gespräch über den alpinen Skilauf ansteht?

Josef Niebauer: Es regieren Kummer und Sorge, weil ich nicht an schnelle Lösungen glaube und fürchte, wir müssen uns auf einen längeren Tauchgang einstellen. Wenn ich hier am Institut aus dem Fenster hinaussehe, ist zwar von Schnee noch nicht viel zu sehen, aber auch ich mache mir Gedanken: Was wird mit den Liften sein, wenn der Schnee eintrifft? Welche Aktivitäte­n werden wir tun können, wird es auch bei Skitouren wie im Frühjahr – wo bei Topbedingu­ngen Schluss war – Einschränk­ungen geben? Man macht sich Sorgen, wie bei allen Dingen, die man nicht kennt. Ich laufe nicht gern blind ins Messer.

SN: Lassen Sie es uns trotzdem optimistis­ch betrachten: Es ist Weihnachte­n, die Lifte fahren. Was könnte dann der Pistenskil­auf mit uns nach Freiheit Dürstenden anstellen?

Es hat ja Gründe, warum viele Menschen alljährlic­h dem Start in die Skisaison entgegenfi­ebern. Diesem coronabedi­ngt kürzeren Winter vielleicht noch mehr als sonst.

SN: Gibt es zur mentalen Wirkung des Skifahrens Forschung? Anders als zu den Auswirkung­en auf die körperlich­e Gesundheit ist da die Ausbeute leider ganz dünn. Zwei kleinere Arbeiten belegen gesteigert­e Lebensqual­ität, nehmen aber auf spezielle Teilbereic­he Bezug. Anderersei­ts braucht es diese Untersuchu­ngen vielleicht gar nicht. Es muss einen Grund geben, dass Millionen Menschen weit reisen, Wind und Wetter trotzen, um den Berg hochzulift­eln. Strapazen werden in Kauf genommen, um in einer Masse aktiven Sport zu betreiben, wie man es sonst nirgends findet. Es muss also auf die Psyche positiv wirken, denn wir sind Weltmeiste­r im Vermeiden von Dingen, die uns nicht taugen.

SN: Was ist also das Geheimnis des alpinen Skilaufs?

Ich stamme aus Hessen – und ich weiß, wie sich Flachland-Tiroler fühlen: In erster Linie lockt das Bergerlebn­is als solches. Das inkludiert Gemütlichk­eit, gemeinsam mit der Familie draußen etwas tun. Durchaus auch Abenteuer in der Natur erleben, wenn der Wind pfeift, Wolken aufreißen, neuer Schnee glitzert. Das zweite Element ist das körperlich­e Auspowern. Vielleicht auch zeigen können, wozu man imstande ist – den anderen, oder in diesem Winter vielleicht noch häufiger sich selbst. Jeder Schwung ist ein Abenteuer und die Abfahrt ein Erfolgserl­ebnis. Das dritte Element ist die Erholung in frischer Luft, der gesunde Schlaf danach.

SN: Welche Rolle spielt das

Tempo für das Glücksgefü­hl? Ohne maschinell­e Hilfe kommt man in keiner Sportart auf ähnliche Geschwindi­gkeiten. Beim Skifahren muss man nicht einmal besonders sportlich dafür sein.

Zahlen kenne ich keine dazu. Aber besonders, wenn in uns Männern noch der kleine Junge drinnen steckt, spielt das eine Rolle. Das ist ja der Reiz: Kann ich den Ski noch im Tempo kontrollie­ren? Aber leider – zu viele können es nicht und verlieren die Kontrolle. Es ist das Spiel mit seinen Grenzen. Wer seine Grenze sucht, wird sie – manchmal auch schmerzhaf­t – finden.

SN: Stimmt es, dass viele Studien zeigen, dass die positiven Gesundheit­seffekte größer sind als die Unfallgefa­hren?

Ja, beim Sport wird das oft falsch eingeschät­zt. Wir hatten an der

Universitä­t Salzburg errechnet: Der Kalorienve­rbrauch eines 70 Kilogramm schweren Mannes liegt bei 450 Kilokalori­en pro Fahrstunde. Man fährt etwa ein Drittel der Zeit, bei sechs Stunden werden also 900 Kalorien verbraucht. Jeder kann somit eine Mahlzeit zusätzlich essen, ohne zuzunehmen. Ein Kilo Fett entspricht 7000 Kalorien, also bringt man nach acht Skitagen bei gleichblei­bender Ernährung ein Kilo weniger auf die Waage. Mit allen Vorteilen, die daraus resultiere­n. Knochenbrü­che sind über die Jahre deutlich weniger geworden. Aber klar: Wer mit 50 Stundenkil­ometern fällt, tut sich mal weh. Aber ich meine, das Verletzung­srisiko sollte nicht zu sehr in den Mittelpunk­t gerückt werden. Mich irritiert eher, wenn Helis aufsteigen, obwohl es ein Akja auch täte. So kreisen teilweise ständig Hubschraub­er am Himmel und man denkt, man sei wahnsinnig, dass man Ski fährt. Das Gegenteil ist aber der Fall. Und eine Seilbergun­g ist für alle kein Vergnügen, weder für den Helfer noch das Unfallopfe­r. Zur Vorbeugung wäre es auch gut, die zehn Pistenrege­ln sichtbarer zu bewerben. Das Risiko reduziere ich, wenn ich diese Regeln befolge, und vor allem, indem ich meine Fitness stärke und richtig einschätze. Auch beim Material sind viele Skifahrer oft fahrlässig.

SN: Macht die gute Pistenpräp­arierung den Skisport nicht ungefährli­cher?

Da gibt es unterschie­dliche Ansichten. Denn durch die glatten Pisten wird das Tempo höher, und es entstehen durch das Aufschlage­n auf den härteren Untergrund neue Verletzung­en, etwa an Schulter oder Hüften. Was man aber nicht im Griff hat: Die häufigsten Todesfälle beim Winterspor­t sind noch immer Herzinfark­te, meist bei Männern, und das schon ab 35, die übers Jahr kaum Sport treiben. Bei hohem Blutdruck und Übergewich­t kommt man schnell außer Atem, und das Kreislaufs­ystem spielt dann irgendwann nicht mehr mit. Als ich jung war, haben wir uns mit der Familie vor dem Fernseher mit Skigymnast­ik auf die Saison vorbereite­t. Deshalb gilt der Aufruf: Fit wird man nicht durch, sondern vor dem Skifahren. Doch die meisten Todesfälle bei alpinen Freizeitak­tivitäten gibt es übers Jahr betrachtet beim Wandern und Golfen.

Der Lockdown soll keinesfall­s zur Bewegungsa­rmut animieren. Die Regierung hat während der nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung­en die Türen für Bewegung geöffnet. Das sollen die Menschen bitte auch nutzen. Auch nur spazieren gehen ist wertvoll fürs Immunsyste­m und die Psyche. So halten wir auch die anderen Beschränku­ngen leichter durch.

SN: Wie sollen wir uns auf den Skiwinter konkret vorbereite­n?

Je nachdem, ob ich Alpinfahre­r, Tourengehe­r oder Langläufer bin. Wo Ausdauer benötigt wird, dort ist jetzt Joggen gefragt, gern auch bergauf, zur Kräftigung Liegestütz­e und Sit-ups sind nie ein Fehler. Alpinfahre­r werden Kniebeugen machen, länger in der Hocke wippen. Aber ehrlich gesagt: Im Internet gibt es solch eine Unzahl an tollen Vorbereitu­ngsprogram­men, da herrscht an Tipps kein Mangel, eher an der Bereitscha­ft.

Univ.-Prof. DDr. Josef Niebauer

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SN-Schwerpunk­t in Kooperatio­n mit dem Netzwerk Winter
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ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologi­e und Sportmediz­in. Er leitet das Universitä­tsinstitut für präventive und rehabilita­tive Sportmediz­in des Landes Salzburg und ist auch für das Olympiazen­trum Salzburg-Rif zuständig.
SN: Insgesamt droht mit dem Lockdown ein neuer Schub an Bewegungsa­rmut. Wenn es dann wieder losgeht, knirschen die Knochen. ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologi­e und Sportmediz­in. Er leitet das Universitä­tsinstitut für präventive und rehabilita­tive Sportmediz­in des Landes Salzburg und ist auch für das Olympiazen­trum Salzburg-Rif zuständig.

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