Den ärmsten Europäern droht eine Hungerkrise
WIEN. 2229 Menschen sind in der Republik Moldau bereits an SARS-CoV-2 gestorben. Die Situation im ärmsten Land Europas ist aber nicht nur deshalb dramatisch. „Hinzu kommt, dass ein Großteil der Ernte ausgefallen ist. Zuerst war es sehr trocken, dann kamen heftige Unwetter, die vieles zerstört haben“, berichtet Bernhard Drumel, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Concordia, im Gespräch mit den SN.
Es bahne sich eine „stille Katastrophe“an, warnt Drumel. Still deshalb, weil es bereits zu einer traurigen Tradition gehöre, dass die Probleme Moldaus vom restlichen Europa kaum bis gar nicht wahrgenommen würden. Dem Gesundheitssystem drohe in Kürze der Kollaps: „Die Krankenhäuser müssen bereits Patienten abweisen.“Knapp 10.000 Menschen sind allein in der Hauptstadt Chişinău mit dem Coronavirus infiziert.
Was hinzukommt: Das kleine Land (knapp halb so groß wie Österreich) hat in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der desaströsen wirtschaftlichen Lage einen Großteil seiner Bevölkerung eingebüßt. Seit der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik am 27. August 1991 hat fast die Hälfte der Moldauer die Heimat verlassen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Von den einst 4,4 Millionen Einwohnern sind noch knapp 2,4 Millionen da. Der Rest versucht sein Glück im Ausland, schickt Geld nach Hause und ist so für etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich.
Zu Beginn der Pandemie im März und April kehrten 200.000 Moldauer in ihre Heimat zurück. „Ein Großteil von ihnen ist aber schon wieder weg“, sagt Concordia-Chef Drumel. Ob es die Jobs in Italien, Rumänien, Spanien oder Frankreich, die sie vor Corona hatten, noch gebe, sei zu bezweifeln. „Das bedeutet, dass sie sich irgendwie durchschlagen müssen – und dass natürlich kaum Geld da ist, das sie nach Hause schicken könnten.“
Die Republik Moldau ist durch den nicht enden wollenden Niedergang auch gesellschaftlich zerrüttet. Drumel: „Drei von vier Kindern haben in irgendeiner Form Gewalt oder Vernachlässigung erfahren.“Besonders trist ist die Situation außerhalb von Chişinău. „In den Dörfern sterben vor allem alte Menschen. Doch man weiß oft gar nicht genau, woran“, erzählt Bernhard Drumel.
Concordia hat mittlerweile in den Nothilfemodus gewechselt. Zu den 35 Suppenküchen (von denen 19 in Sozialzentren integriert sind) und 60 Sozialprojekten, die über das ganze Land verteilt sind, kamen seit dem Ausbruch der Pandemie weitere 918 Familien hinzu, die man mit Essenpaketen und Brennholz versorgt hat. Über den Winter soll diese Zahl um 230 gesteigert werden. Bernhard Drumel befürchtet, dass Corona in den kommenden Monaten nicht die einzige Gefahr bleibt: „Die Menschen werden hungern – vor allem am Land.“