Wie lernen wir die Erde wieder lieben?
Schlechtes Gewissen hilft in der Klimakrise nicht weiter. Es lähmt nur. Warum wir mehr Empathie und Respekt für die Natur brauchen und warum uns das selbst guttun wird.
Joachim Bauer setzt sich in seinem neuen Buch „Fühlen, was die Welt fühlt“mit der Beziehung von Menschheit und Natur auseinander. Im SN-Gespräch erläutert der renommierte Neurobiologe, Psychiater und Psychotherapeut, warum unser Verhältnis zum Planeten Erde gestört ist – und bietet einen ganz neuen Denkansatz dafür, wie es wieder heil werden kann.
Professor Bauer, Ihre bisherigen Bücher hatten den Menschen zum Thema. Warum jetzt der neue Fokus?
SN:
Joachim Bauer: Mein neues Buch handelt von der Beziehung zwischen Menschheit und Natur. Die Erde ernährt uns und gibt uns die Luft zum Atmen. Ihre Wälder haben einen erwiesenen positiven Effekt auf die körperliche und seelische Gesundheit des Menschen. Was sie uns gibt, gibt sie uns unentgeltlich. Wie danken wir ihr das? Unser Planet liegt im Fieber. Ursache ist die menschengemachte Klimaerwärmung. Therapie ist möglich. Wir handeln aber nicht.
In der Theorie ist die Einsicht groß, dass wir sorgsamer mit unserer Erde umgehen müssen. Warum geschieht es de facto nicht?
SN:
Wenn Menschen ihr Verhalten ändern sollen, muss zur verstandesmäßigen Einsicht ein emotionaler, ein gefühlter Faktor hinzukommen. Stellen Sie sich vor, ein Kind kommt zur Welt. Keine Frage, die engsten Angehörigen werden ihr Verhalten jetzt ändern und auf dieses Kind ausrichten. Sie tun das, weil sie das Kind ins Herz geschlossen haben. Wenn sie das Kind nicht mögen, wenn Kind und Angehörige emotional entfremdet sind, dann wird die Versorgung nicht klappen. Da helfen dann auch keine Säuglingsratgeber.
Meine These ist nun, dass wir Menschen uns von der Natur, von unserer Erde entfremdet haben, dass die Empathie, die Einfühlung verschüttet ist, die unsere evolutionären Vorfahren gegenüber der Natur einmal gehabt hatten.
Warum ging diese innere Verbundenheit mit der Natur verloren?
SN:
Es mag paradox klingen: Ich halte eine immer wieder auftretende Störung dieser Beziehung, eine wiederholte Entfremdung zwischen Menschheit und Natur für unvermeidlich. Die Sesshaftwerdung des Menschen vor 12.000 Jahren und der Eintritt des Menschen in die Zivilisation sind unumkehrbar. Der Mensch war damals an einem Punkt, an dem er sich von der Natur ein Stück weit emanzipieren und neue technische und kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten erschließen wollte. Heute sind wir an einem Punkt, wo wir erkennen, dass wir uns Grenzen setzen müssen, wenn unser Planet für unsere Spezies bewohnbar bleiben soll.
Die Entzauberung der Welt war offenbar die Voraussetzung für den enormen technologischen Fortschritt. Wie lässt sich dieser Pendelschlag der menschlichen Entwicklung ins
Lot bringen? Ein einfaches „Zurück zur Natur“wird es nicht geben können. Auf unserer zivilisatorischen Reise gibt es kein Zurück. Die Lösung liegt darin, dass wir als Menschheit unsere zivilisatorischen Flegeljahre hinter uns lassen, in denen wir Spaß daran hatten, sozusagen das Mobiliar der Natur zu zerschlagen. Wir müssen jetzt erwachsen werden. Wirkliche Zivilisation heute heißt, dass wir unsere technischen und kulturellen Möglichkeiten in den
Dienst der Naturerhaltung stellen und uns als Menschheit mit der Natur versöhnen.
SN:
Wie kommt die Menschheit aus ihren Flegeljahren heraus? Erhobener Zeigefinger und schlechtes Gewissen helfen offenbar nicht.
Was uns motivieren und weiterbringen kann, sind die Wiederentdeckung der Empathie und ein Bewusstsein, dass die Gesundheit
SN:
des Menschen und die Bewahrung der Natur unauflöslich miteinander verbunden sind. Empathie zur Erde bedeutet, unser Leben ökologisch zu orientieren. Weniger Auto zu fahren, weniger zu fliegen und weniger Fleisch zu essen bedeutet nicht, freudlos zu leben. Wenn wir uns mehr selbst bewegen, wandern, Rad fahren und uns vegetarisch ernähren, leisten wir nicht nur einen Beitrag zur Bewahrung der Natur, sondern auch zur eigenen Gesundheit.
Wie könnten wir Menschen des
21. Jahrhunderts neu verinnerlichen, was die Natur uns alles gibt? Heiliger Respekt vor Mutter Erde klingt heute fremd. Was wäre zeitgemäß?
Ich möchte mit meinem Buch einen Anstoß geben, dass wir zu diesem „heiligen Respekt“zurückkehren sollten! Charles Darwin kannte diesen Respekt und fand nichts falsch daran. Als er den Amazonas ein Stück flussaufwärts fuhr und den ungeheuren Urwald über sich sah, fühlte er, was in der englischen Sprache als ein Gefühl des „Awe“bezeichnet wird, er empfand eine tiefe Ehrfurcht. Albert Schweitzer sprach von der „Ehrfurcht vor dem Leben“.
Bei jedem Ausflug in die Natur sollten wir innehalten, uns bewusst machen, dass die Natur ein riesiger, uns überwölbender
Raum ist, der auch dann noch da sein wird, wenn unsere Spezies sich den Garaus gemacht haben wird. Wer die Natur in dieser Weise – sozusagen meditativ – regelmäßig auf sich wirken lässt, kann daraus spürbar Gewinn für seine seelische und körperliche Gesundheit ziehen.
SN:
Gibt es einen Zusammenhang von zwischenmenschlicher Empathie und einem naturfreundlichen Verhalten? Führt mehr Empathie in der Gesellschaft auch zu mehr Wertschätzung der Natur?
SN:
Dieser Zusammenhang zeigte sich in mehreren Studien. Wer sich viel in der Natur aufhält, verhält sich zu seinen Mitmenschen empathischer – und umgekehrt. Zwischenmenschliche Empathie innerhalb einer Gesellschaft wachsen zu lassen ist im Zeitalter der sozialen Netzwerke, in denen der Hass dominiert, keine leichte Aufgabe. Mein Buch geht ausführlich auf die vielfältigen Spaltungstendenzen in unseren westlichen Gesellschaften ein und versucht, Wege zu mehr Zusammenhalt aufzuzeigen.
SN: Sie stellen der derzeitigen weithin hedonistischen Lebensweise einen „hedonischen Verzicht“gegenüber. Was könnte das Verlockende an dieser Art von Verzicht sein?
Hedoné war das Wort der Philosophen des klassischen Griechenlands für Lebensfreude. Lebensfreude ist etwas sehr Wichtiges und Gutes. Wenn Lebensfreude aber zum einzigen Ziel und damit zum Selbstzweck wird, dann spricht man von Hedonismus. Hier besteht die Gefahr, dass die Freude das zerstört, was Freude macht. Das wäre destruktiv und krank.
Die beiden wichtigsten Aufgaben unserer Zeit sind – erstens – die Verwirklichung der Menschenrechte für alle Menschen und – zweitens – alles zu tun, um unsere Erde als lebenswerten Lebensraum zu erhalten. Sich dafür einzusetzen ist sinnvoll. Und nichts macht – wie wir bei Immanuel Kant und Viktor Frankl lernen können – auf Dauer mehr Freude, als etwas Vernünftiges und
Sinnvolles zu tun.