Auch im Lockdown rast die Zeit
Kaum war die Bremsspur der notwendigen Frühjahrs-Vollbremsung dabei zu verblassen, erwies sich für unser Land auch ein herbstliches Lockdown-Bremsmanöver als unumgänglich. Verblüffend, dass ich trotz dieser massiven Entschleunigungen meine schon vor vielen Jahren in einige knappe Gedichtzeilen gefasste Empfindung auch für das Jahr 2020 grundsätzlich noch als stimmig erachte: „Von Tag zu Tag / vergeht die Zeit // schneller“.
Vielleicht wird diese Wahrnehmung auch von meiner lebenslangen Neugier auf technologische Fortschritte mitbefeuert. Mit Sicherheit aber schwingt in den zitierten Zeilen auch etwas von der banalen Erkenntnis mit, dass die menschliche Lebenszeit stets auf nichts sonst als auf ihr unabwendbares Ende zurast! Und so verstarben im heurigen Frühjahr im Monatsrhythmus auch drei mir langjährig vertraute Menschen: Wally FoxWallner, die ungeachtet ihrer schweren Erkrankung noch im Herbst des Vorjahres erfolgreich in der Pinzgauer Gemeinde Piesendorf die Ehrung des 1938 von den Nationalsozialisten so schändlich vertriebenen jüdischen Gemeindearztes Dr. Theodor Herz initiiert hatte.
Wie auch der Filmemacher Wolfram Paulus. Mir bereits als Schmalfilme drehender
Gymnasiast bekannt, realisierten wir nach seinem Studium an der Münchner Filmakademie gemeinsam einen Fernsehfilm über das Pinzgauer Bergdorf Eschenau.
Waren die Genannten einige Jahre jünger als ich, so war der heuer als erster meiner Freunde verstorbene Musiker Harry Baierl ein paar Jahre älter. Mit ihm verband mich neben einer langjährigen freundschaftlichen Zusammenarbeit – mit seiner Musik veredelte ich eine Reihe meiner Fernsehfilme und Radioarbeiten – auch unser beider Heimatort Lend.
Unvergesslich für mich, wie er, der später als vielbeschäftigter Studiomusiker, Arrangeur und Komponist mit seinen Arbeiten weltweit in den Popmusik-Charts vertreten war und die Wände seines Hauses mit Goldund Platinschallplatten behängen konnte, in der kleinen, in den sogenannten Unteren Personalhäusern in Lend gelegenen elterlichen Arbeiterwohnung vor dem im Schlafzimmer an der Wand stehenden Pianino saß und zur Auflockerung „Lady Madonna“oder „Hey Jude“von den Beatles spielte und sang, bevor er zu seinen eigenen frühen Kompositionen überging, für die ich englische Texte schrieb. Undenkbar damals, dass Harry später nicht nur in Miami und vielen deutschen Städten, sondern auch in den legendären Abbey Road Studios der Beatles Platten einspielen sollte.
Apropos technischer Fortschritt: Heute, wo Musik über mobile Geräte überall ständig verfügbar ist, mutet diese Erinnerung museumsreif an: Ein strahlend schöner Sommerferien-Tag, als der Harry und ich unser Badevergnügen am Böndlsee zu einer unmöglichen Tageszeit beendeten, um im Laufschritt rechtzeitig vor fünfzehn Uhr nach Lend zu kommen – einer Radiosendung wegen!
Die Ö3-„Musicbox“war für uns Jugendliche die wichtigste Sendung des ORF! In ihr gab es auch die Reihe „Die ganze LP“. Und an diesem Tag stand eine komplette Langspielplatte von Jimi Hendrix auf dem Programm, deretwegen wir in der Sommerhitze heimrannten. Von dieser wunderbaren „Musicbox“auf Ö3 sollte ich übrigens, noch als Schüler, mein erstes ORF-Honorar beziehen, da meine von mir selbst eingelesene, als Retortensage bezeichnete Satire „Eine Frau mit Schnurrbart“gesendet wurde …
O. P. Zier