Körpereigenen Paketdienst für Therapien nutzen
WOLFGANG MACHREICH
SALZBURG. Man braucht nur einen Buchstaben im medizinischen Fachausdruck „Vesikel“zu verändern, das „s“durch ein „h“zu ersetzen, schon kommt man der Funktion dieser kleinsten Zellteilchen im menschlichen Körper als einer Art „Vehikel“auf die Spur. „Vesikel sind ein evolutionär sehr altes Transportsystem in allen Königreichen des Lebens, eine Art FedEx im Körper“, erläutert Nicole MeisnerKober die Aufgabe und Funktionsweise ihres Forschungsgebiets. „Vesikel sind kleinste, seifenblasenartige, mit Informationen geladene Pakete, die mit den verschiedenen Arbeitsaufgaben im Körper unterwegs sind und Informationen an benachbarte Gewebe übertragen.“Dieser Mechanismus passiere immer und sei für das Funktionieren der Körperfunktionen zentral, fügt die Biowissenschafterin hinzu. Als ein wichtiges Beispiel für die Bedeutung dieses über Vesikel gesteuerten Austauschs nennt sie MutterKind-Kommunikation über die Muttermilch, mit der für das Kind gesundheitsfördernde Informationen weitergegeben werden.
Meisner-Kober ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Forschung zu extrazellulären Vesikeln (EV) und arbeitet als Professorin für chemische Biologie und biologische Wirkstoffe an der Universität Salzburg. Zudem ist sie Projektleiterin im vom Land Salzburg und der EU geförderten EV-TTZentrum, das in Partnerschaft mit der Uni Salzburg, der ParacelsusUniversität und den Salzburger Landeskliniken die Erforschung therapeutischer Einsätze von Vesikeln vorantreibt – also diese etwa als Vehikel für Medikamente stärker nutzbar machen will.
Die größte Schwierigkeit im Zuge dieser Forschungen liege „im zielgerichteten Transport“, sagt MeisnerKober. Also „sie dorthin zu bekommen, wo wir sie für eine zielgenaue Therapie haben wollen“. Die Herausforderung wird dadurch noch größer, als die Entwicklung weg von synthetischen Medikamenten hin zu biologisch inspirierten Wirkstoffen geht. Letztere sind Medikamente, die von der Natur optimiert sind. Da der menschliche Körper ihre Zusammensetzung kennt, werden sie vom Immunsystem toleriert und haben ein geringeres Risiko für Nebenwirkungen.
Die Vertrautheit des Körpers mit den Biowirkstoffen kann sich aber gleichzeitig als Nachteil herausstellen, wenn der Körper sie als mögliche Schadstoffe deutet und Barrieren gegen ihr Fortkommen im Kreislauf aufbaut. Diesen Abwehrmechanismus
versucht man jetzt mit Vesikeln zu überlisten, die biologisch inspirierte Medikamente im Huckepack an die richtigen Stellen im Körper hineinschleusen sollen. „Vesikel sind Nano-Transporteure, die die Natur dafür geschaffen hat, präzise Zellen in anderen Geweben anzusteuern und dabei körpereigene Barrieren zu überwinden. Das wollen wir hier nutzen“, sagt Meisner-Kober. Ein weiterer „großer Knackpunkt“sei es, „die Substanzen in die Vesikel hineinzuladen“.
Vor zwei Jahren startete MeisnerKober als Fakultätsmitglied an der Universität Salzburg mit dem Aufbau
ihres Forschungsteams am Department of Biosciences. Davor war sie knapp zwanzig Jahre lang in der pharmazeutischen Forschung an den Standorten Wien und Basel beschäftigt. Aufgrund ihrer Erfahrung aus beiden Welten sieht sie „enorm viel Potenzial“, wenn man die Grundlagenforschung an den Universitäten mit der angewandten Pharmaforschung „in einer frühen Phase zusammenführt“. Bis dato gebe es in diesem Bereich zu wenig Austausch in Europa. Das war mit ein Grund für ihren Wechsel an die Uni Salzburg – „um an dieser Brücke zwischen den Bereichen mitzubauen“. Außerdem, sagt MeisnerKober, „herrscht gerade ein großes Momentum am Standort Salzburg“, bei dem sie sehr gern mit dabei sei.
Dieses biowissenschaftliche Momentum haben auch das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer
Ingelheim und das Schweizer Biotech-Start-up EvoBiotiX erkannt und starteten eine Kooperation mit den Salzburger Partnern. Boehringer Ingelheim stellt seine Medikamente und Therapieexpertise für die Zusammenarbeit zur Verfügung. EvoBiotiX ist mit seinem Know-how zur Isolierung und Bereitstellung von Vesikeln als Nebenoder Abfallprodukte der Lebensmittelwirtschaft mit dabei. Beide Unternehmen zeigten sich bei der Präsentation der Kooperation zuversichtlich, „dass wir den Weg für neue Therapien ebnen können“. Und die Politik, vertreten durch Landeshauptmann Wilfried Haslauer, freute sich über den internationalen wie interdisziplinären Schulterschluss – und sieht in der Vesikelforschung „eine Chance für Salzburg, internationale Exzellenz zu erreichen“.
„Vesikel sind eine Art FedEx im Körper.“