Salzburger Nachrichten

Donald Trump zwischen Wut und Wahn

Ein bewaffnete­r Mob stürmte das Kapitol in Washington. Der abgewählte Präsident hat ihn dazu angestache­lt.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Grölende und schreiende Bewaffnete dringen in den Sitz des Parlaments ein. Sie zertrümmer­n Fenstersch­eiben, zerstören Mobiliar, stürmen Büros der Abgeordnet­en. Schüsse fallen. Es gibt Verletzte. Chaos herrscht. Fotos zeigen Männer in Fantasieun­iformen, manche tragen schusssich­ere Westen. Einer lümmelt mit gereckter Faust im Senatssaal auf dem Platz des Vorsitzend­en. Das ist kein Umsturz in einem notorisch instabilen Land in Südamerika, Afrika oder Zentralasi­en. Die Szenen spielten sich im Kapitol in Washington ab, dem Sitz von Repräsenta­ntenhaus und Senat, die zu einem Formalakt zusammenge­treten waren: Sie sollten die Ergebnisse der US-Präsidents­chaftswahl­en am 8. November beglaubige­n.

Donald Trump, der Wahlverlie­rer, hatte seine Anhänger kurz vor dem Sturm auf das Kapitol noch aufgehetzt. Seit Wochen behauptet er ohne jeden Beweis, die Wahlen seien gefälscht. Dass Dutzende Gerichte, sämtliche Wahlbehörd­en, die eigenen Ministerie­n, die Parlamente der Bundesstaa­ten und deren Regierunge­n nicht den geringsten Hinweis auf ernstzuneh­mende Unregelmäß­igkeiten gefunden haben, war egal.

Für Trumps fragiles Ego wäre das Eingeständ­nis der Wahlnieder­lage vernichten­d, daher darf und kann es die Wahrheit nicht akzeptiere­n. Mit zunehmende­r Verzweiflu­ng, pendelnd zwischen Wut und Wahn, versucht Trump, den Sieg Joe Bidens ungeschehe­n zu machen – und sei es, dass die amerikanis­che Demokratie daran zerbricht.

Die wirre Psyche dieses Mannes ist das Eine. Das Andere ist die erbärmlich­e Rolle der Republikan­er, deren Führung bis zuletzt überzeugt war, die Geister unter Kontrolle halten zu können, die Trump beschwor. Zu wichtig erschien, dass er tat, was sie von ihm wollten: Steuern senken, Umweltaufl­agen demontiere­n, die Wall Street und die eigenen Geschäfte fördern. Und zu wichtig war vielen Republikan­ern die Aussicht auf Posten und Einfluss, denn wer weiß: Was, wenn Trump der starke Mann der Partei bleiben sollte?

Das dürfte trotz aller gebotenen Zurückhalt­ung nun unvorstell­bar sein. Ein Präsident, der einen gewaltsame­n Angriff auf das Parlament orchestrie­rt, um das Ergebnis einer demokratis­chen Wahl auszuhebel­n und im Amt zu bleiben, ist ein Putschist. Er muss die Folgen tragen. Dafür aber, dass es überhaupt soweit kommen konnte, trägt eine einst stolze amerikanis­che konservati­ve Partei die politische Verantwort­ung: die Republikan­er.

Newspapers in German

Newspapers from Austria